Hamburg. Der Trainer und der Sportvorstand sind die Gewinner des Derbysiegs gegen den FC St. Pauli. Beide bitten um Geduld.
Am Sonntag entspannte Steffen Baumgart bei einer Vespa-Fahrt mit seiner Tochter Emilia. Zwei Tage nach dem emotionalen Stadtderbysieg gegen den FC St. Pauli konnte der HSV-Trainer auf andere Gedanken kommen. Eine Pause, die ihm sicher gutgetan hat. Wie viel sich bei Baumgart in den vergangenen Wochen angestaut hatte, konnte man am Freitag nach dem Spiel an vielen Fronten beobachten. Der 52-Jährige ließ seinen Emotionen insbesondere im Interview bei Sky freien Lauf.
„Ich habe den Job hier. Ich mache den gerne. Und alle anderen können mich mal da, wo ich noch schöner bin“, sagte Baumgart wenige Minuten nach dem Derbysieg, der vor dem Spiel mit einer wilden Rudelbildung zwischen beiden Teams begann. Baumgart knöpfte sich wegen des Aufwärmprogramms der Gäste, das sich leicht in die Hälfte des HSV verlagerte, St. Paulis Trainerstab um Fabian Hürzeler vor („Das ist respektlos. Das ist Absicht.“), er schimpfte über das Schiedsrichterteam um Matthias Jöllenbeck („Ganz ehrlich: Die gehen mir auf den Sack. Und das meine ich auch genau so.“) und legte sich mit seinen Kritikern an („Ich weiß, dass ich ein guter Trainer bin – egal ob man Erfolg hat oder nicht. Ich weiß, was ich kann. Da brauche ich keinen von außen.“).
Es war nicht die feine hanseatische Art, mit der Baumgart Dampf abließ. Und dennoch war der HSV-Trainer an diesem Abend der große Hamburger Gewinner. Nach seinem schwierigen Start und öffentlicher Kritik unter anderem von Ex-Trainer Christoph Daum, der Baumgarts Verpflichtung als „Riesenfehler“ bezeichnet hatte, zeigte sich gegen St. Pauli, dass Baumgart womöglich doch der richtige Trainer am richtigen Ort ist.
Baumgart betreibt Eigenwerbung für die kommende Saison
In jedem Fall betrieb Baumgart Eigenwerbung, um bei einem Neustart in der neuen Saison weiterhin die Mannschaft führen zu dürfen. Dass sich dieser Neustart erneut in der Zweiten Liga ereignen wird, ist trotz des Derbysiegs gegen St. Pauli ein weiteres Stück wahrscheinlicher geworden. Der HSV braucht in den verbleibenden zwei Spielen beim SC Paderborn und gegen den 1. FC Nürnberg zwei Siege sowie zwei Ausrutscher von Fortuna Düsseldorf, um noch Relegationsplatz drei zu erreichen. „Die Euphorie, die wir heute Abend spüren, wird dem Realismus weichen“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau nach dem Spiel gegen St. Pauli.
Ehe das passierte, feierten die HSV-Spieler aber noch auf der Reeperbahn von St. Pauli den Derbysieg. „Es war keine einfache Zeit für uns, weil viel auf uns eingeprasselt ist. Aber ein Derbysieg steht erst einmal für sich“, sagte Schonlau, der noch ziemlich berauscht war von der Atmosphäre im Volkspark. „Für diese Art der Spiele lebst du. Mehr geht nicht. Diese Stimmung hast du nicht alle Tage. Das gibt uns einen Push.“
Schonlau spricht über Diskussionen um Boldt
Während Schonlau über den Derbysieg sprach, stand neben ihm Sportvorstand Jonas Boldt und beantwortete Fragen zu seiner Zukunft. Diese ungewisse Zukunft ist mittlerweile auch ein Thema in der Kabine, verriet Schonlau. „Egal wie wenig du lesen willst, es ist unmöglich, das nicht mitzukriegen“, sagte der Abwehrchef. Zuletzt hatte sich Felix Magath als möglicher Nachfolger von Boldt positioniert und via „Bild“ mit dem Spanier Raul gleich noch einen Trainerkandidaten spielen lassen.
Auch wenn dieses Szenario nicht eintreten wird, lassen solche Berichte die Mannschaft nicht kalt. „Der HSV ist einfach immer im Mittelpunkt vieler Leute. Viele Leute möchten gerne eine Meinung haben und die auch kundtun“, sagte Schonlau zu den Diskussionen.
Boldt selbst zeigte sich unbeeindruckt von den Berichten rund um Magath und eine mögliche Ablösung seiner Person. „Ich weiß, dass Felix eine Leidenschaft für den Verein hat. Viele wissen gar nicht, dass ich vor zehn Jahren fast mit ihm zusammengearbeitet habe. Seitdem stehe ich in Kontakt mit ihm, auch über die vergangenen Jahre hier beim HSV“, sagte Boldt, der selbst aber immer ausgeschlossen hat, Magath in einer verantwortlichen Position in den Volkspark zurückzuholen.
Boldt bekommt Unterstützung von den Ultras
So klar es ist, dass Magath nicht zum HSV kommt, so unklar ist weiterhin die Zukunft des Managers. Der Aufsichtsrat wollte bei seiner Analyse der Saison und der Arbeit von Boldt auch das Derby mit einfließen lassen. So gesehen konnte Boldt wieder etwas verloren gegangenen Kredit zurückholen. „Heute war es sehr schön und bezeichnend für den Weg, den wir eingeschlagen haben, dass wir Widerstände meistern und nie aufgeben. Gemeinsam mit den Fans haben wir hier maximale Identifikation und Leidenschaft“, sagte Boldt, der Unterstützung per Spruchbändern von den Ultras bekam.
Sollte sich der Aufsichtsrat trotz der bereits laufenden Suche nach einem möglichen Nachfolger doch für eine weitere Zusammenarbeit mit Boldt entscheiden, hätte auch Baumgart endlich Klarheit, wie es über die Saison hinaus weitergeht. Der Trainer fährt mittlerweile auch die Ergebnisse ein, die sich viele HSV-Fans schon früher von ihm erhofft hatten.
HSV verlor zehn Punkte gegen die letzten drei Teams der Liga
Baumgart gab zu, dass es auch seit seiner Amtsübernahme zu viele Punktverluste gab. Trainerübergreifend hat der HSV in dieser Saison unter Tim Walter, Merlin Polzin und Baumgart ganze zehn Zähler gegen die letzten drei Mannschaften der Liga liegengelassen. Mittlerweile wird die Handschrift von Baumgart aber immer deutlicher. Und vor allem erfolgreicher. „Ich habe Zeit bekommen zu arbeiten“, sagte Baumgart am Freitag und bat um weitere Geduld. „Lassen Sie mir einfach mal Zeit, dann bekommen wir auch die eine oder andere Situation hin.“
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Der Trainer glaubt daran, dass sich die Verantwortlichen im Kontrollgremium für Boldt und damit auch für Baumgart entscheiden werden. „Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand beim HSV Handlungsbedarf sieht. Unsere Zusammenarbeit im Verein ist sehr gut. Wir haben Ruhe.“ Für Baumgart am Freitag rund um das Derby galt der letzte Satz sicher nicht. Wohl aber für die Vespafahrt mit seiner Tochter am Sonntag.