Hamburg. Trotz des Derbysiegs ärgerten sich die HSV-Verantwortlichen über Matthias Jöllenbeck. Schiedsrichtersprecher begründet Entscheidung.
Steffen Baumgart hatte von diesem Moment immer geträumt. Seit seiner Kindheit ist der gebürtige Rostocker glühender HSV-Fan, am Freitagabend erlebte er erstmals einen Stadtderbysieg als Trainer seines Herzensvereins. Dementsprechend stolz und glücklich war Baumgart auch nach dem Abpfiff „Der Plan hat komplett funktioniert“, sagte er etwa bei „Sky“. „Ich habe einen geilen Job.“
Schlagartig schlechter wurde Baumgarts Laune aber, als er auf Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck angesprochen wurde. Zweimal hatte dieser dem HSV einen Treffer verweigert, aus Sicht von Baumgart hätten beide aberkannten Tore zählen müssen. „Das geht mir auf den Sack! Da ist es mir egal, ob wir heute gewonnen haben“, schimpfte der HSV-Coach.
HSV News: Schiedsrichter Jöllenbeck agiert unglücklich im Derby
Was war passiert? Bereits in der 24. Minute hatte Immanuel Pherai einen starken Steckpass auf Robert Glatzel gespielt, der bedrängt von St. Paulis Manolis Saliakas auf das Tor zulief. Bevor Glatzel verwandelte, kreuzte Saliakas aber aktiv dessen Laufweg, kam dabei zu Fall. Die Unparteiischen entschieden auf Foul, auch Videoassistent Benjamin Brand legte kein Veto ein – eine klare Fehlentscheidung. Denn dass Glatzel Saliakas überhaupt berührte, war auf den Fernsehbildern nicht zu sehen.
Auch Jonas Boldt war nach dem Spiel klarer Meinung. „Bei der ersten Entscheidung gibt es für mich nichts zu diskutieren, das ist unerklärlich, dass da keine Hilfe kommt“, sagte der HSV-Vorstand in Bezug auf den ausbleibenden Einspruch von Brand. „Es hat jeder gesehen, dass sich Saliakas selbst in die Füße stolpert.“
Das Abendblatt bat DFB-Schiedsrichter Alexander Feuerherdt um eine Stellungnahme. „In der Laufbewegung trifft Glatzel mit seinem linken Schienbein den Fuß von Saliakas, der durch diesen Kontakt zu Fall kommt. Der Schiedsrichter hat diesen Ablauf auf dem Feld genau so wahrgenommen und den Kontakt als Foulspiel bewertet“, teilt Feuerherdt mit.
Video-Assistent sah von Eingriff ab
Der Video-Assistent habe bei der Überprüfung keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung erkannt. „Da der Kontakt in den Bildern, vor allem in der Kameraeinstellung ‚Mitte flach’ klar erkennbar und zudem ursächlich für den Sturz von Saliakas war, hat er zu Recht von einem Eingriff abgesehen“, erklärt Feuerherdt.
Und dennoch, gesteht der Schiedsrichtersprecher ein: „Man mag darüber streiten, ob man den Kontakt gegen Saliakas‘ Fuß in der Laufbewegung zwingend als Foulspiel bewerten muss. Ein eindeutiger Fehler ist diese Entscheidung jedoch nicht. Klar ist auch: Hätte der Schiedsrichter das Tor gegeben, dann wäre ihm der Protest des FC St. Pauli so gewiss gewesen, wie es nun den Protest vonseiten des HSV gab.“
Königsdörffer-Treffer wurde zurückgenommen
Strapaziert wurden die Nerven der HSV-Verantwortlichen auch noch ein zweites Mal. Nach einem Kopfball von HSV-Profi Ransford Königsdörffer entschied Jöllenbeck zunächst auf Tor, erkannte den Treffer wenig später in der Review-Area aber wieder ab (67.). Diesmal hatte Videoassistent Brand ihm den Hinweis gegeben, dass Lukasz Poreba St. Paulis Torhüter Nikola Vasilj im Luftduell im Fünfmeterraum behindert hatte.
Aber war die strittige Szene auch ein strafwürdiges Foul? Baumgart hatte erwartungsgemäß eine klare Meinung. „Den Fünfmeterraum gibt es nicht mehr. Lukasz ist 1,70 Meter groß. Ein Mann mit 1,96 Meter ist nicht in der Lage, den Ball festzuhalten. Das geht mir sowas von auf die Eier“, sagte der HSV-Trainer.
Feuerherdt sah die Szene anders. „Im Sprung legt Poreba seinen linken Arm um den rechten Arm von Vasilj. Dieser Körpereinsatz stellt regeltechnisch eindeutig ein Haltevergehen dar, weil Poreba den Torhüter auf diese Weise mit regelwidrigen Mitteln daran hindert, an den Ball zu gelangen. Ein solcher Armeinsatz ist keine reguläre Spielweise“, so der Schiedsrichtersprecher.
Jonas Boldt kritisiert unklare Linie der Schiedsrichter
HSV-Sportvorstand Boldt störte sich derweil vielmehr an der aus seiner Sicht unklaren Linie der Unparteiischen. „Jede Woche wird es anders ausgelegt. Deshalb tun mir die Schiedsrichter mittlerweile leid“, sagte Boldt. „Ich spreche viel mit den Schiedsrichtern und stelle fest, dass jede Woche etwas anderes erzählt wird. Da muss ein bisschen mehr Klarheit rein. Es wird immer die eine oder andere strittige Szene geben. Aber sowas kann nicht sein.“
Boldt hatte dabei vermutlich die erst zwei Wochen alte 0:1-Heimniederlage gegen Holstein Kiel im Kopf. Bevor Kiels Tom Rothe das Tor des Tages erzielte, war HSV-Keeper Matheo Raab im Fünfmeterraum von Holstein-Profi Marko Ivezic behindert worden. Trotz wütender HSV-Proteste gab Schiedsrichter Sascha Stegemann damals den Treffer.
Stegemann-Entscheidung im Widerspruch zum Stadtderby
„Für mich war das ein handelsübliches Positionsgerangel und kein Zweikampf um den Ball. Die Sonderregel, dass der Torwart im Fünfmeterraum besonders geschützt ist, gibt es nicht mehr. Der Torwart wäre auch nicht mehr an den Ball gekommen. Die Distanz zwischen dem Torwart und dem Ball war sehr groß“, begründete Stegemann damals seine Entscheidung, worauf die Hamburger Verantwortlichen nur mit Kopfschütteln reagierten.
„Ich wurde umklammert und blockiert, meine Hände konnten nicht zum Ball. Ich habe es gerade noch mal gesehen. Für mich ist es unbegreiflich, wie man da kein Foul pfeifen kann. Bei aller Liebe, für mich ist das ein klares Foul“, schimpfte Keeper Raab damals. „Das ist für mich Wahnsinn.“
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Am Freitagabend war es wiederum St. Paulis Vasilj, der sich ähnlich stark beschwerte – und diesmal mit der Beschwerde auch Erfolg hatte. Vermutlich spielte beim Umdenken von Jöllenbeck eine Rolle, dass Vasilj diesmal näher am Ball war als Raab noch vor zwei Wochen gegen Kiel. Tatsächlich griff Poreba dem Schlussmann der Kiezkicker mit seinem Arm auf die Schulter, sodas Vasilj den Ball nicht aus der Luft pflücken konnte.
Wie gut für den HSV, dass Robert Glatzel die Rothosen in der 85. Minute doch noch zum Derbysieg schießen konnte. Bei einem Remis wäre der Ärger über Jöllenbeck noch deutlich größer gewesen.