Hamburg. Die Hamburger sollten sich nach der 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel für ein siebtes Zweitligajahr neu aufstellen. Ein Kommentar.

Früher, wenn es mal wieder so richtig schlecht beim HSV lief, ertönte zuverlässig der Schlachtruf der Fans: „Außer Hermann könnt ihr alle gehen.“ Was übersetzt hieß: Hermann Rieger, der Kultmasseur mit dem riesengroßen HSV-Herz, war natürlich unantastbar, aber die Schuldigen am jeweiligen Misserfolg sollten doch bitte schön zügig Platz machen für den x-ten Neuaufbau.

Rieger hat sich schon vor zehn Jahren von dieser Welt verabschiedet, an sein aufopferungsvolles Wirken für den Verein erinnert eine Bronzestatue vor der Nordost-Ecke des Volksparkstadions, außerdem hängt in der Nordtribüne bei den Spielen ein Banner des Fanclubs „Hermanns treue Riege“. Aktueller denn je ist aber die Frage, wer beim HSV seinen Platz räumen sollte, und das möglichst schnell.

HSV-Kommentar: Hamburger haben frühzeitig Planungssicherheit

Nach der 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel haben die Planungen für die – das muss man erst mal sacken lassen – siebte (!) Saison in der Zweiten Liga begonnen. Der „Dino der Zweitklassigkeit“, wer hätte nach dem Bundesliga-Abstieg 2018 geglaubt, dass dies der einzige, „unrühmliche“ Titel sein würde, den der HSV danach „gewinnen“ würde?

Spiele gewinnen – das ist der Auftrag für Fußballvereine, dem sich alles andere unterzuordnen hat, am sportlichen Erfolg muss sich ein Club messen lassen. Ganz nüchtern betrachtet ist der HSV jetzt sechs Jahre in Folge an der Umsetzung dieses Auftrags gescheitert. Da mag es noch so nett sein, die oft so unterhaltsame Erlebniswelt im Volkspark zu besuchen. Unterm Strich ist das alles Blendwerk und lenkt vom Kern ab.

HSV hat Schlüsselpositionen nicht richtig besetzt

Was ist jetzt zu tun? Erfolg bei Fußballclubs wird wahrscheinlich, wenn die vier Kernpositionen optimal besetzt sind und die Zusammenarbeit funktioniert: Aufsichtsratschef, Vorstandsvorsitzender, Sportchef, Trainer. Dies ist offensichtlich nicht der Fall beim HSV. Und genau deshalb muss jetzt gehandelt werden.

Michael Papenfuß (Vorsitzender), Markus Frömming, Henrik Köncke, Dr. Hans-Walter Peters, Lena Schrum und Stephan von Bülow – das sind die Namen der Mitglieder des HSV-Aufsichtsrats, die jetzt dringend gefordert sind, zu Beratungen zusammenzukommen. Die Zeit drängt: Wie kann der Systemfehler mit nur zwei Vorständen (ohne einen klaren CEO) behoben werden? Wer soll die Mannschaft, die neue Führungsspieler benötigt, für die kommende Saison zusammenstellen und über die Zusammenstellung des Trainerstabs entscheiden? Ist Steffen Baumgart nur ein bemitleidenswertes Opfer der jüngsten Negativspirale oder Teil des Problems?

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt hat genug Chancen gehabt

Jonas Boldt, im Mai 2019 als Sportvorstand installiert, mag in den vergangenen Jahren viele gute Dinge auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel die Konsolidierung der Finanzen mit dem zweiten Vorstand Eric Huwer. Doch dieses Argument führt am eigentlichen Thema vorbei: Seine sportliche Leistungsbilanz und die Summe vieler nicht aufgegangener Entscheidungen berechtigen ihn nicht, noch einen weiteren Versuch zu starten. Paderborn, Bielefeld, Heidenheim, Bochum, Fürth, Darmstadt und jetzt Kiel, Düsseldorf und vor allem der FC St. Pauli – diese Mannschaften musste der HSV in den vergangenen Jahren vorbeiziehen lassen.

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird der HSV die schlechteste Bilanz in der Zweiten Liga hinlegen, obwohl die zu Beginn der Saison hoch gehandelten Absteiger Hertha und Schalke schwächelten. Das Abendspiel gegen Kiel ließ die HSV-Anhänger frustriert zurück. Ja, ihr Team agierte stets bemüht, jedoch einfallslos, ohne Esprit, wie so häufig. Trotz des weiter im Vergleich immensen Kapitaleinsatzes hat sich die Mannschaft zurückentwickelt, Aufwand und Ertrag stehen schon lange nicht mehr in einem gesunden Verhältnis.

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Boldt könnte sich ein Beispiel nehmen am früheren Mainzer Trainer Bo Svensson, der selbst eine ehrliche Bestandsaufnahme vornahm und schließlich freiwillig Platz machte, weil er wusste, dass sein Team einen neuen Impuls benötigte. Es war ein Abgang mit Würde, mit viel Respekt. Es wäre zu wünschen, dass dem HSV die nötigen Umbaumaßnahmen auf allen Ebenen – inklusive des Aufsichtsrats – ähnlich wie in Mainz gelingen. Aber besonders im Misserfolg laufen Menschen Gefahr, noch mehr Fehler zu begehen, sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen und Ausreden zu flüchten. Und davon gibt es beim HSV einige.

Auch angesichts der sich verschärfenden Konkurrenzsituation in Liga zwei (mit Köln als mutmaßlichem Bundesliga-Absteiger): Es kann noch sehr lange dauern, bis die HSV-Fans das bekommen, was sie verdienen.