Hamburg. Hinter Ex-Vorsänger Henrik Köncke liegt ein turbulentes erstes Jahr im Aufsichtsrat des HSV. Wie er auftritt und wann er aneckt.

Wenn die Profis des HSV beim Heimspiel am Sonntag gegen den VfL Osnabrück ins Volksparkstadion einlaufen, wird Henrik Köncke auf der Nordtribüne stehen. Hier ist der Aufsichtsrat des HSV noch immer der Henrik von früher, der fünf Jahre lang mit einem Megafon in der Hand als Vorsänger für eine ganze Kurve agierte. 15 Jahre lang engagierte sich Köncke in der aktiven Fanszene, bevor er den Staffelstab weiterreichte, um sich auf seine berufliche Laufbahn zu konzentrieren.

Beim Hamburger Logistikunternehmen Hapag-Lloyd ist er inzwischen Abteilungsleiter für Inlandstransporte. Darüber hinaus investiert er seit ziemlich genau einem Jahr viele Stunden in seinen HSV, um als Aufsichtsratsmitglied zu kontrollieren und auch mal unangenehme Nachfragen an das Vorstandsduo Jonas Boldt (Sport) und Eric Huwer (Finanzen) zu stellen.

Das Abendblatt hat sich im Volkspark umgehört, um ein Profil von Köncke zu erstellen. Was hat er in seinem ersten Jahr bewegt, wofür setzt er sich ein, wie tritt er auf und wann eckt er vielleicht auch mal an? Auffällig ist, dass er in jedem dieser Gespräche relativ schnell mit drei Eigenschaften in Verbindung gebracht wurde: Köncke ist detailverliebt, engagiert und meinungsstark, darin sind sich alle einig, die seine Arbeit beim HSV beurteilen können. Doch was bedeutet das konkret?

HSV-Aufsichtsrat: Was hat Henrik Köncke bewegt?

Rückblick: Als Köncke am 27. Februar 2023 in den Aufsichtsrat gewählt wurde, soll er in seiner Anfangszeit eine beobachtende Rolle eingenommen haben. Der Vertriebsmanager verschaffte sich einen Eindruck, wie in dem Gremium gearbeitet wird, wie Sitzungen ablaufen und wie die einzelnen Charaktere ticken.

In dieser Zeit soll der frühere Capo (Vorsänger) aufgrund seiner Vergangenheit in der Ultraszene auch mit Vorurteilen konfrontiert worden sein. Doch seine Kollegen stellten relativ schnell fest, dass Köncke mehr ist als nur ein Fanvertreter.

Ein beliebtes Beispiel, das in diesem Zusammenhang erwähnt wurde, ist das Prüfen von Verträgen. Köncke soll jeden Kontrakt akribisch zwei- bis dreimal lesen. Nicht selten mündet dieser Prozess in einen langen Fragenkatalog an die Verantwortlichen. Mit seiner penetranten und diskussionsfreudigen Art hat Köncke zwar sein Profil innerhalb des Gremiums geschärft. Zugleich soll er aber auch von einigen bisweilen genervten Räten als anstrengend empfunden werden. Andere bezeichnen ihn dagegen als Gewinn für den HSV, weil er für Denkanstöße im gesamten Club sorgt.

HSV-Ticketpreise: Köncke gibt Fans eine Stimme

Indem der Saseler den Fans eine Stimme gibt, vertritt er auch mal gegensätzliche Sichtweisen im Vergleich zu so manchem erfahreneren Aufsichtsrat aus der Finanzbranche. Bei der Preispolitik für Fanartikel und Heimspieltickets ist es Köncke ein Anliegen, den Bogen nicht zu überspannen und neben den wirtschaftlichen Interessen des Clubs auch die Kultur der treuen Anhänger zu berücksichtigen.

Als die aktive Fanszene des HSV im April 2023 mit Formulierungen wie „schämt euch“ massiv gegen die auf bis zu 99 Euro angestiegenen Ticketpreise im Stadtderby gegen St. Pauli protestierte, stellte Köncke kritische Nachfragen an den Vorstand. Er wollte wissen, wie mit der Fankritik umgegangen wird, verlangte eine Perspektive über neue, sozialverträglichere Preiskategorien und machte sich für einen Dialog auf Augenhöhe mit den Anhängern stark.

DFL-Investor: Köncke bei Treffen der Ultras mit HSV-Vorstand dabei

Generell soll Köncke, der nicht gern in der Öffentlichkeit steht und als verschwiegen gilt, eine vermittelnde Rolle als Aufsichtsrat einnehmen. So war er im Vorwege der Dezember-Wahl über den inzwischen geplatzten DFL-Investorendeal auch Teil der Gespräche mit den HSV-Ultras, als Boldt und Huwer ihre Sichtweise erklärten, warum sie entgegen dem Fanwunsch für das Milliardenprojekt stimmen werden. Zuvor soll sich Köncke intern stark für dieses Treffen eingesetzt haben.

Auch wenn bei solchen Gesprächen nicht immer ein Konsens über einzelne Themen erzielt werden kann, hat auch Köncke einen Anteil daran, dass der Austausch des HSV mit der Fanszene intensiver und wertschätzender geworden ist.

In anderen Fällen, heißt es, sei es eine seiner Stärken, gegensätzliche Positionen einnehmende Personen an einen Tisch zusammenzubringen, die sich zuvor noch nie unterhalten haben. Kurzum: Köncke vermittelt und legt Wert darauf, dass Diskussionen mehr von Inhalten und weniger von Emotionen geprägt sind.

Boldt-Aus? Magath? Wie sich Köncke einbrachte

Genau darauf kam es auch vor wenigen Wochen an, als im Aufsichtsrat intensiv über die Zukunft von Sportvorstand Jonas Boldt beim HSV diskutiert wurde, der aus Sicht der Mehrheit des Gremiums zu lange an Trainer Tim Walter festgehalten habe.

Nach Abendblatt-Informationen machten sich zwei Räte für das Aus von Boldt stark. Ein inoffizielles Meinungsbild ergab ein Stimmverhältnis von 4:2 für den Manager. Sogar der Name Felix Magath, der in einer Doppelfunktion als Sportvorstand und Trainer der neue starke Mann hätte werden können, geisterte in dem Zusammenhang im Volkspark herum. Es war ein Vorschlag, der keine Mehrheit fand.

Im Zuge dieser Debatte, die beinahe in einer kompletten Neusortierung der Führungsebene geendet wäre, soll sich Köncke bemüht haben, die teilweise persönlichen Emotionen und die Frustration über den sportlich ausbleibenden Erfolg herauszunehmen, um die Diskussion zu versachlichen. Er soll darauf aufmerksam gemacht haben, dass es auch noch eine andere Sichtweise gibt und die enttäuschend verlaufene Hinrunde mit Walter und Boldt nicht nur an zwei Personen festgemacht werden könne.

Um die Arbeit von Trainern besser beurteilen zu können, machte Köncke zudem die Trainer-B-Lizenz. Wie so häufig soll Köncke in diesen Aufsichtsratsgesprächen als Regulativ aufgetreten sein mit dem Ziel, alle Pro- und Kontra-Argumente sorgsam abzuwägen.

HSV-Zukunft von Boldt: Wie entscheidet Köncke?

Der gleiche Vorgang steht nun auch nach dem Saisonende an, wenn über eine Zukunft von Boldt entschieden wird. Dabei sollen auch seine wirtschaftlichen Verdienste für den HSV berücksichtigt werden, den er als Marke gestärkt und durch lukrative Sponsorendeals sowie Spielerverkäufe finanziell stabilisiert hat.

Köncke wird wohl auch dann wieder versuchen, sich meinungsstark in die Debatte einzubringen, ohne dass sein Ergebnis schon vorher feststeht. Denn von politischen Lagern soll er sich dem Vernehmen nach nicht vereinnahmen lassen.

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HSV: Warum Köncke von Unterstützer Jansen abrückte

Mit dieser Einstellung ist auch zu erklären, warum er sich gemeinsam mit seinen Ratskollegen, dem Präsidium und den Gesellschaftern auf der jüngsten Hauptversammlung gegen ein Weiter so mit Marcell Jansen im Kontrollgremium ausgesprochen hatte, obwohl dieser ihn nach jahrelangem Buhlen erst vor einem Jahr in den Aufsichtsrat gebracht hatte. Die klare Haltung aller Teilnehmer führte dazu, dass Jansen sein Mandat niederlegte. Präsident des HSV e. V. ist er allerdings weiterhin.

Köncke rückte im Laufe seines ersten Jahres als Aufsichtsratsmitglied von Jansen ab, weil eine konstruktive Zusammenarbeit mit ihm kaum noch möglich gewesen sein soll. Der Ex-Profi soll unter anderem verstärkt eine Ablösung Boldts gefordert haben. Am Ende senkte auch Köncke den Daumen.

Bei seinem Streben nach einer aktiven Rolle im Aufsichtsrat geht es Köncke immer um das Wohl seines Herzensvereins, den er auch bei Auswärtsspielen regelmäßig begleitet. Auch in fremden Stadion steht er im Gästeblock, um seinen HSV anzufeuern und Emotionen zu erlauben. So richtig loslassen von der Kurve kann er eben nicht. Auch nicht als Aufsichtsrat.