Hamburg. HSV siegt beim Debüt des neuen Trainer Steffen Baumgart, der den Tim-Walter-Fußball in manchen Punkten umkrempelt.

Steffen Baumgart war anzumerken, wie sehr seine Gedanken auf sein erstes Heimspiel als HSV-Trainer fokussiert waren, als er um 15.28 Uhr durch den Bauch des Volksparkstadions lief. Zielgerichtet, und ohne andere Personen wahrzunehmen, marschierte er auf direktem Wege in die Kabine. Kurz zuvor hatten die Hamburger bei seinem Debüt dank des Treffers von Ransford Königsdörffer verdient, aber mühsam 1:0 (0:0) gegen die spielstarke SV Elversberg gewonnen.

Die Partie lieferte einige Erkenntnisse, welcher Fußball die Hamburger zum lang ersehnten Aufstieg führen soll – und welche Rolle Baumgart auf diesem Weg einnehmen wird. Wie schon bei seinen vorherigen Stationen als Trainer, war der 52-Jährige trotz gerade einmal sieben Grad lediglich in einem schwarzen T-Shirt gekleidet.

Sein Kopf war von einer Schiebermütze bedeckt, das Markenzeichen Baumgarts, der immer wieder eine gebückte Haltung einnahm, um seine Spieler zu beobachten und vor allem zu loben. Selbst wenn mal eine Aktion nicht glückte, reagierte Baumgart mit motivierendem Applaus. Vorbei scheint nun die Zeit der emotionalen Vulkanausbrüche an der Seitenlinie.

HSV-Trainer Baumgart schafft Walter-Elemente ab

„Die Stimmung ist sehr positiv“, sagte Torjäger Robert Glatzel.“ Er (Baumgart; d. Red.) ist sowieso ein total positiver Mensch, der uns an der Seitenlinie immer anfeuert, um uns zu pushen.“ Zu dieser neuen Ansprache und der von Glatzel beobachteten „entfachten Euphorie“ im Stadion gehört allerdings auch eine seriösere Spielweise, die weniger Spektakel bieten wird als unter Vorgänger Tim Walter.

Gegen Elversberg stand der HSV tiefer und kompakter als zuletzt, um nach Ballgewinnen umzuschalten. Bei tiefem Ballbesitz des Gegners setzte Immanuel Pherai Elversbergs Abwehr als zweite Spitze unter Druck. Hinter ihm brachte sich Ludovit Reis als Zehner auf einer Höhe mit Bakery Jatta und Königsdörffer in Stellung für das laufintensive Pressing. „Wir hatten viele hohe Ballgewinne, die zu Torchancen führten“, lobte Kapitän Sebastian Schonlau, der mit Dennis Hadzikadunic das Abwehrzentrum bildete.

Baumgarts Idee mit Hadzikadunic

Der Bosnier, der mit Walters Spielidee fremdelte und infolgedessen viele Fehler verursachte, könnte der große Gewinner unter Baumgart sein, unter dem er seiner Kernkompetenz nachgehen darf. „Dennis ist ein richtig guter Innenverteidiger, der sehr gut verteidigen kann. Ein Innenverteidiger sollte in erster Linie verteidigen und über ein vernünftiges Aufbauspiel verfügen – das ist bei ihm der Fall“, sagte Baumgart, der Walter Abwehrrochaden abgeschafft hat.

Zudem dürfen die Innenverteidiger unter Baumgart auch mal den zweieinhalb Jahre lang fast schon verpönten langen Ball spielen. Gegen Elversberg war vor allem der schnelle Bakery Jatta ein häufiger Adressat dieses offensichtlichen Stilmittels. „Das Trainerteam hatte vorher angesprochen, dass Elversberg sehr hoch steht und uns Räume geben wird“, sagte Schonlau. Jatta und Königsdörffer mit Bällen hinter die gegnerische Abwehrkette in Laufduelle zu schicken, sei „das Ziel“ gewesen.

Eine weitere Änderung ist der weniger in den Spielaufbau einbezogene Torhüter. Oder wie Baumgart es sagt: „Ein Torwart sollte in erster Linie das Tor verteidigen und kein Zehner sein.“

Baumgart hält wenig von Walters Rochaden

In seiner authentischen Art unterstrich Baumgart, was er vom bislang im Volkspark praktizierten Positionsspiel hält und warum er dieses beerdigt hat. „Das, was ich spielen lasse, spielen die meisten. Das Außergewöhnlichere ist, wenn der Innenverteidiger auch mal auf die Außenbahn geht“, sagte der neue HSV-Coach und ergänzte: „Hin- und herzukreuzen ist überhaupt nicht mein Ding. Wenn der Innenverteidiger derjenige ist, der flankt, dann habe ich mein Problem damit.“

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Kiel 29 / 59:34 / 58
1. FC St. Pauli 29 / 54:32 / 57
3. Düsseldorf 29 / 63:35 / 52
4. HSV 29 / 55:41 / 49
5. Hannover 29 / 51:36 / 45
6. Hertha 29 / 60:48 / 44
7. Karlsruhe 29 / 58:43 / 43
8. Fürth 29 / 40:42 / 42

Durch die neue Kompaktheit habe der HSV „wenig klare Torchancen zugelassen“, freute sich Baumgart. Und auch Schonlau lobte, „den Gegner weit vom eigenen Tor ferngehalten zu haben“. Zum Ende der beiden Halbzeiten hatten die Hamburger allerdings auch das Glück auf ihrer Seite, als Elversbergs Paul Wanner (41.) und vor allem Hugo Vandermersch (88.) das Tor nicht trafen.

„Du brauchst das Quäntchen Glück, um das Ding über die Bühne zu bringen“, sagte Baumgart über die Parade in der Schlussphase von Matheo Raab, der vorerst die Nummer eins beim HSV ist.

HSV: Vor Baumgart liegt noch Arbeit

Diese beiden Szenen, aber auch so mancher nicht gut ausgespielter Konter demonstrierten, dass der HSV nach nur fünf Trainingstagen natürlich noch nicht alle Ideen Baumgarts optimal umsetzen kann beziehungsweise noch nicht alle Walter-Elemente eliminiert sind. Der nach dem Halbzeitpfiff für rund eine Minute nachdenklich und alleine in seiner Coaching Zone stehende Baumgart monierte, dass seine Spieler „Elversberg den Ball im Strafraum zu häufig in die Füße gespielt“ habe.

„Natürlich brauchen wir noch ein bisschen Zeit, um die Spielweise mehr zu verinnerlichen. Dann sieht es vielleicht auch besser aus“, sagte Schonlau in Anbetracht des nicht immer spektakulären, aber am Ende eben erfolgreichen Baumgart-Debüts.

HSV: Baumgart fordert mehr von Matchwinner Königsdörffer

Durch den Sieg ist der HSV in der Tabelle bis auf einen Punkt an den Zweiten Holstein Kiel herangerückt, der am Freitag gegen Spitzenreiter St. Pauli (3:4) gestrauchelt war. „Es war ein perfekter Spieltag mit einem dreckigen Sieg“, fasste Glatzel das Wochenende auf den Punkt zusammen. Nachdem Walter stets mehr Präsenz von ihm im Strafraum gefordert hatte, darf der Torjäger unter Baumgart mehr am Spiel teilnehmen. So wie bei Königsdörffers Tor des Tages, das Glatzel in bester Spielmachermanier vorbereitete.

Ransford Königsdörffer erzielte das 1:0 für den HSV gegen Elversberg.
Ransford Königsdörffer erzielte das 1:0 für den HSV gegen Elversberg. © Imago / Lobeca

Mit Ausnahme seines sehenswerten Abschlusses in den Winkel war dem umjubelten Siegtorschützen die Verunsicherung der zurückliegenden Wochen allerdings am meisten unter allen Akteuren anzumerken.

„Er muss erst einmal wieder da hinkommen, wo seine Stärken liegen. Und das ist nicht, den Ball nach hinten zu legen und zu zögern, sondern geradeauszulaufen“, stellte Baumgart klar, der für die Interviews seine Schiebermütze für eine Kappe von Ausrüster Adidas gewechselt hatte. Und nun auch endlich mit einem Pullover eine den Temperaturen angemessene Kleidung trug.

Die Statistik:

  • HSV: Raab – Van der Brempt, Hadzikadunic, Schonlau, Muheim (80. Katterbach) – Meffert – Pherai, Reis (64. Poreba) –Jatta (80. Öztunali), Glatzel (75. Nemeth), Königsdörffer (64. Suhonen)
  • Elversberg: Kristof – Vandermersch, Pinckert, Le Joncour, Sicker (80. Boyamba) – Fellhauer, Sahin (80. Stock) – Feil (67. Martinovic), Wanner (80. Thore Jacobsen), Rochelt (88. Koffi) – Schnellbacher
  • Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)
  • Tor: 1:0 Königsdörffer (53.)
  • Gelbe Karten: Reis (2), Katterbach – Vandermersch (5)
  • Zuschauer: 54.190
  • Torschüsse: 16:12
  • Ecken: 5:5
  • Ballbesitz: 51:49 Prozent
  • Zweikämpfe: 55:45 Prozent