Hamburg. 855 HSV-Anhänger wurden teilweise über Stunden festgesetzt, 31 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. Stimmt die Verhältnismäßigkeit?
Natürlich sind die Zahlen nur ein Zufall: 855 Fußballfans waren es am späten Sonnabend, die teilweise über Stunden am Bergedorfer Bahnhof von der Bundespolizei festgesetzt wurden. Und 861 Atomkraftgegner – also „nur“ sechs Personen mehr – waren es, die vor 38 Jahren von mehr als 1000 Beamten bis zu 14 Stunden auf dem Heiligengeistfeld festgehalten wurden.
Nun sollte man Äpfel und Birnen bekanntermaßen nicht in einen Korb werfen. Und trotzdem drängt sich nach den Vorkommnissen von diesem Wochenende der historische Vergleich ein wenig auf. Hier die 855 Fußballfans, dort die 861 Atomkraftgegner. Darunter hier offenbar ein paar gewaltbereite Fußballrowdys, dort ein paar gewaltbereite Demonstranten. Und hier wie dort ganz viele Unbeteiligte.
Kann man den Hamburger Kessel und die Aktion von Sonnabend vergleichen?
Die große Frage, die nach dem 8. Juni 1986 und nach dem 17. Februar 2024 gestellt werden musste: Stimmte da eigentlich die Verhältnismäßigkeit?
Die Antwort für den Hamburger Kessel vor fast vier Jahrzehnten ist juristisch und medial hinlänglich aufgearbeitet und eindeutig beantwortet: Die Verhältnismäßigkeit stimmte hinten und vorne nicht. Der damalige SPD-Innensenator Rolf Lange geriet unter schweren Druck, Staatsrat Peter Rabels musste seinen Hut nehmen, und der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi beschrieb den Juni-Sonntag Jahre später als „schwärzesten Tag“ seiner Amtszeit.
Am Sonnabend waren 400 Polizeibeamte im Einsatz
Für das Fordern von ähnlichen Konsequenzen nach dem 17. Februar 2024 ist es natürlich viel zu früh. Und trotzdem muss schon die Frage gestattet sein, warum viele der 855 Fußballfans über Stunden festgehalten wurden, um am Ende dieser Polizeiaktion mit 400 Beamten 31 Tatverdächtige zu ermitteln, die vor fünf Monaten in Mannheim an einer gewalttätigen Auseinandersetzung mehrerer Fußball-„Fans“ beteiligt gewesen sein sollen.
Die Beantwortung der Frage wird nicht einfacher, wenn man Zeugenaussagen von Betroffenen vom Sonnabend hinzuzieht. Die Klimaanlage im Zug soll abgeschaltet gewesen sein, es soll heiß geworden sein, ausreichend Wasser wurde offenbar nicht verteilt. Vereinzelt sollen Fahrgäste Kreislaufprobleme bekommen haben.
Vorwurf an „Fans“: Schwerer Landfriedensbruch und schwere Körperverletzung
Die Bundespolizei rechtfertigt sich und betont, dass die Großrazzia notwendig gewesen sei, weil den Tatverdächtigen von der Aktion aus Mannheim schwerer Landfriedensbruch und schwere Körperverletzung vorgeworfen wird. Die Rede ist also von Straftaten, die nicht in den Bagatellbereich gehören.
Zudem betont die Polizei, dass jeder der 855 Kontrollierten nach der erfolgten Kontrolle auch wieder gehen konnte und nicht bis zum Ende der Aktion – gegen 2.20 Uhr in der Nacht – in Bergedorf bleiben musste. Glück hatte also, wer am Anfang kontrolliert wurde. Pech hatte, wessen Personalien als 855. kontrolliert wurden.
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Pech hatten aber vor allem auch viele, die dachten, dass ein Nachmittagsspiel am Sonnabend im nahegelegenen Rostock eine tolle Gelegenheit für einen Ausflug sei. Viele Familien und minderjährige Fußballfans sollen dabei gewesen sein, die diese Chance nutzen wollten – und denen nach der Polizeiaktion auf der Rückfahrt erst einmal die Lust auf weitere Auswärtsfahrten genommen ist.
Eines muss noch einmal ganz klar betont werden: Jeder gewaltbereite Fußballfan ist einer zu viel, jeder Hooligan, der eine Straftat verübt hat, muss sich vor Gericht verantworten. An dieser Stelle folgt nun noch ein „Aber“: Aber die Verhältnismäßigkeit muss stimmen – und diese stimmte am Sonnabend nicht. Auch wenn bereits Kontrollierte irgendwann nach Hause durften, wurde der Bogen überspannt.
31 mutmaßliche Tatverdächtige konnten bei der Polizeiaktion identifiziert werden
Die Polizeiaktion von Bergedorf war wohl kein Hamburger-Kessel-Moment. Eine gelungene Aktion war sie aber auch nicht – unabhängig davon, ob 31 oder ein paar mehr „Fans“ gesucht und gefunden wurden.