Hamburg. Der HSV entwickelte sich unter Walter zurück. Die Mannschaft wirkte nicht nur unstrukturiert, sondern auch verunsichert.
„Sowohl in der Defensive als auch in der Offensive gehören Fehler dazu“, sagte Tim Walter. „Fußball ist ein Fehlersport. Wir sind eine Mannschaft, wir machen alles zusammen und fangen das gemeinsam auf.“ Gesagt hat das der HSV-Trainer vor dem Spiel gegen Hannover 96 nach drei sieglosen Spielen. Im April 2023.
Am Freitagabend war ich nach vielen Jahren wieder einmal als „normaler“ Besucher mit einigen Freunden im Volksparkstadion, um ein Geburtstagsgeschenk einzulösen. Stau bei der An- und Abreise und vor den Toiletten, Gänsehaut-Atmosphäre vor dem Anpfiff, viel Spaß mit unserer Gruppe – eben alles, was so ein Fußballspiel ausmacht. Und während des Spiels wurde meinen (nicht durchgängig fachkundigen) Freunden dann auch ein ordentliches Spektakel mit sieben Toren geboten. Emotionale Ausschläge noch unten und oben, Rückschläge verkraften, die Hoffnung auf ein Happy End lebte bis kurz vor Schluss.
Haken dran also, was den Unterhaltungswert betrifft – und doch werden die HSV-Fans das Stadion reichlich desillusioniert verlassen haben. Die These, dass Fußball ein Fehlersport ist, hatten die Hamburger eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Oder präziser: Dass der Tim-Walter-Fußball ein Fehlersport ist beziehungsweise in der Hansestadt war. Am Montagmorgen kam die offizielle Mitteilung des Clubs, dass Walter freigestellt ist.
HSV war mit Tim Walter unaufsteigbar
Es war auch höchste Zeit. Würden wir uns nur einmal die ganze hübsche Verpackung wegdenken dieses Massenereignisses und die Partie unter Laborbedingungen untersuchen, das Urteil der HSV-Anhänger über die gezeigten Darbietungen fiele wohl noch deutlich vernichtender aus. Was sie in (un-)schöner Regelmäßigkeit zu sehen bekam, war die fehlende Konstanz in den Leistungen. Und das ist stets ein Zeichen von fehlender Qualität. Bei den Spielern, aber besonders beim Trainer.
In Artikel eins des Grundgesetzes bei Proficlubs steht nur ein Auftrag: Spiele zu gewinnen. Wie sich die HSV-Mannschaft aber beim 3:4 gegen Hannover präsentierte, ließ die längst vorhandenen Zweifel vieler Betrachter in Gewissheit wandeln: Mit Tim Walter an der Seitenlinie konnte der HSV auch im sechsten Versuch nicht die Rückkehr in die Bundesliga schaffen.
Mit wildem, unstrukturierten Harakiri-Fußball hätte sich die Geschichte der vergangenen Saison mit großer Wahrscheinlichkeit wiederholt. Zwar konnte Walters Team damals die Partie gegen Hannover mit 6:1gewinnen, holte aber nur sieben Punkte in den nächsten fünf Spielen, was am Ende nicht für einen direkten Aufstiegsplatz reichte.
HSV-Entwicklung war unter Walter rückläufig
Dass es Walter nicht gelingen würde, die wiederkehrenden Fehler abzustellen, deutete sich schon vor der Winterpause an. Aber Sportvorstand Jonas Boldt entschied sich für einen anderen Weg, er setzte auf Kontinuität und darauf, dass im bestehenden Konstrukt mit Tim Walter einige notwendige Anpassungen zum Erfolg führen – zum Beispiel, was die defensive Stabilität betrifft.
Das mag zu dem damaligen Zeitpunkt ein vertretbares Handeln gewesen sein, doch spätestens die Partie gegen Hannover zeigte, dass der Trend genau in die andere Richtung ging. Der HSV stagnierte nicht nur, er entwickelte sich zurück. Von einer stabilen Achse vom Torwart bis zum Angriff war nichts mehr zu sehen, die Mannschaft wirkte nicht nur unstrukturiert, sondern auch extrem verunsichert.
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Im Internet kursiert gerade eine Karikatur, die Tim Walter während eines Interviews nach einem Spiel zeigt. „Ich verliere lieber 3:4, als 1:0 zu gewinnen“, steht in seiner Sprechblase. Klar, ein neuer Trainer ist keine Garantie, dass plötzlich alles besser wird. Aber es ist jetzt zumindest eine Chance. Deshalb wäre es ein Fehler von Boldt gewesen, jetzt nicht sofort zu handeln. Noch ist es nicht zu spät, den Aufstieg zu schaffen.
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Kiel 29 / 59:34 / 58
1. FC St. Pauli 29 / 54:32 / 57
3. Düsseldorf 29 / 63:35 / 52
4. HSV 29 / 55:41 / 49
5. Hannover 29 / 51:36 / 45
6. Hertha 29 / 60:48 / 44
7. Karlsruhe 29 / 58:43 / 43
8. Fürth 29 / 40:42 / 42