Hamburg. Das Derby der Superlative: Das Zweitliga-Topspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV bricht Rekorde. Ein Heißmacher.

  • HSV gegen FC St. Pauli: Am Freitagabend findet am Millerntor das 110. Derby in einem Pflichtspiel statt
  • In mehr als 135 Ländern wird die Partie in der 2. Bundesliga übertragen
  • Aus Sicherheitsgründen sind die Plätze im Hamburger Millerntor-Stadion reduziert worden

Wenn Schiedsrichter Felix Zwayer am Freitagabend um 18.30 Uhr das 110. Pflichtspiel-Stadtderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV (Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) anpfeift, wird nicht nur halb Hamburg elektrisiert sein. Die Partie wird in mehr als 135 Ländern übertragen. Von der Pressetribüne aus wird zudem eine außergewöhnlich hohe Anzahl an internationalen Journalisten auf den Rasen blicken, denn das Duell bewegt die Massen längst auch über die Tore Hamburgs hinaus.

Selbst ein Reporter aus Indonesien hat einen der Plätze im Millerntor-Stadion ergattert, dessen Kapazität aus Sicherheitsgründen um gut 300 auf rund 29.200 Plätze reduziert wurde. Er darf sich mal eben auf einen Temperaturunterschied von 30 Grad im Vergleich zu seiner Heimat einstellen, denn das Derby der Superlative zwischen dem Spitzenreiter St. Pauli und dem Tabellenzweiten HSV wird einen Kälte-Rekord aufstellen.

HSV beim FC St. Pauli: Derby der Superlative

„Es ist die Königsklasse der Derbys“, sagte HSV-Trainer Tim Walter nicht ganz zu Unrecht über die Bedeutung des Duells, in dem sportlich eine Menge auf dem Spiel steht. Bei einem Sieg läge St. Pauli bereits sechs Punkte vor dem großen Rivalen. Mit dann famosen 74 Punkten aus 32 Spielen in diesem Kalenderjahr würde der Kiezclub nahezu unaufhaltsam in Richtung Aufstieg stürmen.

„Mit der Übernahme durch Fabian Hürzeler stellt der Verein eine Einheit dar und ist zu einem Inbegriff einer funktionierenden Fußballmannschaft geworden“, sagt Kommentator Hansi Küpper, der für Sky im Einsatz ist, im Podcast HSV – wir müssen reden.

Ähnlich sieht es Jens Duve (61), der für den HSV (1985/86) und vor allem den FC St. Pauli in der Bundesliga (1988 bis 1991) gespielt hat und von 2010 bis 2014 Vizepräsident des Millerntorclubs war. „Ich war vor einem Jahr ein klarer Gegner davon, Timo Schultz zu entlassen. Im Nachhinein hat sich bewahrheitet, dass die Verantwortlichen richtig gehandelt haben. Es ist eine tolle Entwicklung der Mannschaft und eine tolle Entwicklung des Trainers. Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sagte Duve im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“.

HSV und das Derby: Es geht auch um Walter

Für den HSV, der mit einem Sieg nach Punkten gleichziehen könnte, geht es im Derby um nicht weniger als den Erhalt der positiven Stimmung. Trotz einer desolaten Auswärtsbilanz von nur sechs Punkten aus sieben Spielen sind aus der aktiven Fanszene noch keine kritischen Töne gegen Walter zu vernehmen. Die Ultras stehen wie eine Wand hinter der Mannschaft und dem Trainerteam.

Eine in der Form einzigartige Verbindung, die auch das Verdienst von Walter ist. Sollte seine Elf im Stadtderby allerdings ähnlich leidenschaftslos auftreten wie bei den Auswärtsspielen in Kiel (2:4), Osnabrück (1:2), Elversberg und phasenweise auch Kaiserslautern (3:3), droht die Stimmung zu kippen.

Auch intern werden die Verantwortlichen um Sportvorstand Jonas Boldt sehr genau hinschauen, ob Walter die nötigen Maßnahmen ergreift, um die Auswärtsschwäche zu bekämpfen. Im Abschlusstraining am Donnerstag deutete sich zumindest an, dass der HSV-Coach bereit ist, von seiner bisherigen Hierarchie der Innenverteidiger abzuweichen. Den Eindrücken zufolge behält der beste Zweikämpfer des Kaders, Stephan Ambrosius, seinen Stammplatz, den Dennis Hadzikadunic trotz abgesessener Gelbsperre vorerst verloren zu haben scheint.

HSV mit Ambrosius – und Poreba?

Ambrosius wird voraussichtlich das Abwehrzentrum mit Guilherme Ramos bilden. Rechts hinten in der Viererkette steht Ignace Van der Brempt vor seinem Comeback nach einer vierwöchigen Verletzungspause (Muskelfaserriss). Seine Rückkehr ist auch von Bedeutung, weil mit Bakery Jatta der defensivstärkste Flügelstürmer der Liga gelbgesperrt fehlt. Der Gambier dürfte vom offensiver denkenden Ransford Königsdörffer vertreten werden, der sich nach dem Tod seines Cousins Agyemang Diawusie (Regensburg) einsatzfähig gemeldet hat.

Somit kommt es im Derby auch auf Van der Brempts Qualitäten an, der die gerade auswärts nicht immer optimal positionierte Restverteidigung mit seiner Schnelligkeit kompensieren kann. Das wohl größte Fragezeichen beim HSV steht hinter dem Einsatz von Immanuel Pherai. Mit seinen vertikalen Steckpässen kann der Kreativspieler zwar den Unterschied ausmachen, Walters System wirkt allerdings oftmals nicht vorbereitet auf seine immer noch zu häufigen Ballverluste (Passquote: 62 Prozent).

Denkbar ist daher, dass der ballsichere Lukasz Poreba den Vorzug erhält, um der Defensive zu mehr Stabilität zu verhelfen. Denn eines ist klar: Bietet der HSV auf St. Pauli so große Lücken an wie bei den jüngsten Auswärtsspielen, könnte das umschaltstarke Heimteam um den dribbelstarken Flügelspieler Elias Saad leichtes Spiel haben. „Die absolute Schlüsselfrage ist“, sagt Küpper: „Schafft es Tim Walter, hinten stabil zu stehen?“

St. Paulis Elias Saad: Beim Derby ging sein Stern auf

Der tunesische Nationalspieler in spe, Elias Saad (23), ist längst eine feste Größe beim Kiezclub. Sein Stern ging beim jüngsten Derby am 21. April auf, als er bei seinem zweiten Zweitligaeinsatz sein erstes Profitor schoss. Seither hat sich sein Marktwert laut dem Portal transfermarkt.de auf heute 1,5 Millionen Euro versechsfacht.

„Er ist mein Lieblingsspieler“, schwärmt auch Duve von Saad. „Der Junge ist dynamisch, geht ins eins gegen eins und stresst seine Gegner. Vielleicht ist er auch derjenige, der das Spiel entscheidet“, sagt Duve, der aber eigentlich auf ein 0:0 tippt. „Jeder wird auf Fehler des anderen warten und möchte nicht verlieren“, meint er.

Das sieht allerdings St. Paulis Trainer Hürzeler ganz anders. „Wir wollen uns die Stadtmeisterschaft zurückholen“, sagt der 30-Jährige, der das emotionale 3:4 im Volkspark nicht vergessen hat. Derart wilde Spiele hat es seither bei ihm nicht mehr gegeben.

St. Pauli – HSV: Worauf es ankommt im Derby

Seit 19 Ligaspielen ist sein Team ungeschlagen, dazu kamen noch zwei Siege im Pokal. Mit nur elf Gegentoren aus den bisherigen 14 Saisonspielen hat sein Team die mit Abstand beste Defensive der Liga. „Man gewinnt Spiele und steigt auf, wenn es in der Abwehr läuft. Die Abwehr von St. Pauli ist herausragend, weil sie kaum Torchancen zulässt“, sagt der frühere Innenverteidiger Jens Duve.

Auf 90 Prozent taxiert er die Aufstiegswahrscheinlichkeit für Spitzenreiter St. Pauli, dem Tabellenzweiten HSV gesteht er 51 Prozent zu. „Ich würde mir, wie viele andere Hamburger auch, wünschen, dass am Ende beide Mannschaften aufsteigen, nachdem es dann sechs Jahre keinen Erstligafußball hier gab“, sagt er. Das wiederum wäre auch ein Novum. Noch nie in der Bundesligageschichte sind zwei Clubs aus einer Stadt gemeinsam in die höchste Klasse aufgestiegen.

Wer gewinnt nun aber das Derby? „Du brauchst ein heißes Derby-Herz und einen kühlen Verstand“, prognostiziert Küpper. Damit ist alles gesagt.

podcast-image