Hamburg. Zwischen St. Paulis Trainer Hürzeler und HSV-Coach Walter hat es schon mehrfach gekracht. Trotzdem gibt es Parallelen.

Auf dem Winterdom nebenan herrschte noch eine gespenstische Ruhe, die Schausteller hatten noch nicht einmal angefangen, ihre Buden und Fahrgeschäfte für den Nachmittag herauszuputzen, als Fabian Hürzeler am Mittwochmorgen um 9.27 Uhr den Pressekonferenzraum im Millerntor-Stadion betrat. Der Andrang war trotz der frühen Uhrzeit dem Anlass entsprechend groß. Sieben Kameras und die Augenpaare von rund 25 Reporterinnen und Reportern waren auf den Trainer des FC St. Pauli gerichtet.

Der 30 Jahre alte Hürzeler ließ es sich dennoch nicht nehmen, jede und jeden per Handschlag zu begrüßen. Von diesem Ritual, das schon Vorgänger Timo Schultz pflegte, lässt sich der Trainer des FC St. Pauli nicht abbringen, auch wenn es mal etwas voller ist. Die gute Erziehung, die er als Sohn eines Zahnärzte-Paares genossen hat, spielt da sicher noch eine Rolle.

Hürzelers erstes Stadtderby als Chefcoach am Millerntor

Handschlag ist auch das Stichwort für das 110. Stadtderby gegen den HSV am Freitagabend (18.30 Uhr/Sky), das Hürzeler erstmals im heimischen Millerntor-Stadion als Cheftrainer erleben wird. „Ich werde jedem Verantwortlichen vom HSV die Hand reichen, auch nach dem Spiel“, kündigte er am Mittwoch auf konkrete Nachfrage schon einmal an. Das hat er sich auch für das Zusammentreffen mit HSV-Trainer Tim Walter vorgenommen.

Mit dem 18 Jahre älteren Trainerkollegen hatte es beim jüngsten Stadtderby am 21. April heftige Scharmützel gegeben. Schon 2017 – Walter war damals Trainer des Bayern München II, Hürzeler Spielertrainer beim FC Pipinsried – gerieten die beiden in einem Regionalligaspiel erstmals aneinander. Im April folgte Teil zwei in der Zweiten Liga. Und wieder wurde es hitzig. Vor allem die Art, wie Walter nach dem 4:3-Sieg, zur St.-Pauli-Bank gewandt, triumphierend gebärdete, stieß sauer auf. Nach der Pressekonferenz gingen beide grußlos auseinander und würdigten sich keines Blickes mehr.

Hürzeler lobt Walters Arbeit

Nun kommt es am Freitagabend zum Wiedersehen. Und alle fragen sich: Wie gehen die beiden Trainer vor und nach dem Spiel diesmal miteinander um? „Natürlich werde ich ihm respektvoll begegnen. Ich habe nicht nur Respekt vor ihm aufgrund seiner Persönlichkeit, sondern auch aufgrund seiner Arbeit“, sagte Hürzeler. „Tim ist nun schon wirklich lange beim HSV. Er hat es immer geschafft, die Mannschaft kontinuierlich oben zu halten.“ Eines aber stellte Hürzeler in Bezug auf seinen HSV-Kollegen dann doch klar: „Es ist natürlich keine Freundschaft. Daraus muss ich kein Geheimnis machen.“

Wenige Stunden später, sechs Kilometer Luftlinie weiter westlich, warteten acht Kameras auf eine Reaktion des HSV-Trainers. „Das kann ich absolut bestätigen“, sagte Walter im Medienraum des Volksparkstadions angesprochen auf die Nicht-Freundschaft. Respekt aber habe auch der 48-Jährige vor Hürzelers Arbeit. „Ich finde, dass er es seinem Alter entsprechend gut macht. Ich respektiere die Arbeit des Stadtrivalen und vor allem von Fabi. Ich finde dass er einen sehr guten Job macht. Hut ab“, sagte Walter.

Hürzeler holte in 31 Spielen als Cheftrainer herausragende 71 Punkte (Schnitt 2,29). Walter kommt in zweieinhalb Jahren beim HSV auf einen Punkteschnitt von 1,87. Das reichte zwar bislang nicht zum Aufstieg, aber zumindest ist er damit der erfolgreichste HSV-Trainer der Zweitligageschichte. Wie aber geht es mit Walter weiter? Gespräche über eine Verlängerung seines auslaufenden Vertrags gab es bislang nicht. Diese sollen in der Winterpause erfolgen. Ob er seine Mission im Volkspark bis zum Saisonende fortsetzen wird, hängt auch davon ab, wie sich seine Mannschaft am Freitagabend am Millerntor präsentiert.

Hürzeler ist seit 19 Spielen ungeschlagen

Hürzeler dagegen ist bei St. Pauli unumstritten. Allerdings hat er auch noch keine echte sportliche Krise bewältigen müssen. Den einzigen beiden Niederlagen im April folgten seither 19 Spiele ohne Niederlage. Bekanntermaßen lässt sich Hürzeler in mehreren Bereichen coachen, dazu gehört auch das Verhalten bei öffentlichen Auftritten. Gelernt hat er dabei auch, spezifische Fragen, die er auch aus spieltaktischen Erwägungen lieber nicht ganz so konkret beantworten möchte, geschickt am eigentlichen Kern vorbei zu umschiffen, ohne dabei nichtssagend zu wirken.

Beispiel gefällig? Nach einer Lobeshymne über die Qualitäten der HSV-Mannschaft sagte er am Mittwoch auf die Abendblatt-Frage, welche Schwächen er denn beim Stadtrivalen identifiziert habe: „Sie treten sehr dominant auf und werden gar nicht so oft gezwungen, ins Abwehrpressing zu fallen. Wir sind eine Mannschaft, die auch dominant auftreten will und wird. Wir wollen den HSV ins Verteidigen bringen, dann schauen wir mal, ob sie Schwächen erkennen lassen.“

Auch Walter wurde am Mittwoch auf den ähnlichen Ansatz angesprochen. Detailliert antworten wollte er nicht. „Wir sind beide auf Ballbesitz ausgelegt, aber es sind verschiedene Herangehensweisen. Wir kommen über unsere Philosophie, der Gegner über seine. Ich bin gut beraten, wenn ich es dabei belasse“, sagte Walter, der das brisante Treffen am Freitag in die „Königsklasse der Derbys“ einordnete.

Hürzeler und Walter wählen einen ähnlichen Ansatz

Beim letzten Mal im April geriet der ähnliche Ansatz – Dominanz, Ballbesitz, mutiger Spielaufbau – vor allem in der zweiten Halbzeit zu einem fußballerischen Spektakel. Und auch in dieser Saison setzen beide Trainer auf Offensivfußball. Der HSV und St. Pauli geben die meisten Torschüsse der Liga ab (238), haben die besten Passquoten (St. Pauli 87,6 Prozent, HSV 86,3) und nach Magdeburg den meisten Ballbesitz. St. Pauli ist zudem die laufstärkste Mannschaft der Liga.

Und auch im Temperament an der Seitenlinie ähneln sich Walter und Hürzeler. Dass Walter bei gegnerischen Trainern aufgrund seines Verhaltens am Spielfeldrand unbeliebt ist, wissen in der Szene alle. Aber auch Hürzeler kann, ebenso wie früher als Aktiver, zu einer Furie werden. Unter den Schiedsrichtern hat er sich den Ruf erworben, ein schwieriger Patient zu sein. Allein in den ersten acht Saisonspielen hatte er sich drei Gelbe Karten eingehandelt, die letzte davon von Deniz Aytekin beim Spiel bei Hertha BSC (2:1). Das ist jetzt genau zwei Monate her.

Seither hat es Hürzeler geschafft, die vierte Verwarnung und damit eine Spielsperre zu vermeiden. „Ich betone immer wieder, dass Emotionen zum Fußball dazugehören. Es ist mir ein Anliegen, dass wir die Emotionen auch respektvoll gestalten, unabhängig davon, wer als Sieger vom Platz geht“, sagte Hürzeler vor seinem zweiten Stadtderby als Chefcoach.

Walter dagegen ist in dieser Saison, auch aufgrund interner Kritik, etwas ruhiger geworden. Was nicht bedeutet, dass er in seiner Coachingzone nicht an die Grenzen geht. „Wichtig, dass man Emotionen und Willen zeigt – und trotzdem einen kühlen Kopf bewahrt“, sagte Walter.

Ob es am Freitagabend zwischen den Rivalen Hürzeler und Walter wieder ähnlich hoch hergehen wird wie im April, muss sich noch zeigen. Auf dem Winterdom wird es definitiv so sein.

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