Kiel. HSV verliert in Kiel, obwohl der Club kurz davor stand, die Partie zu drehen. In der spielentscheidender Szene ging viel schief.

Tim Walter war der Frust über die vermeidbare Pleite des HSV bei Holstein Kiel (2:4) anzumerken, als er den Presseraum rund 30 Minuten nach dem Abpfiff betrat. „Die Niederlage war gerade nach dem 2:2 sehr dämlich“, sagte der Trainer mit finsterer Miene.

Tatsächlich hatten die Hamburger, die zwischenzeitlich 0:2 zurücklagen, nach dem Ausgleichstreffer durch Robert Glatzel das psychologische Momentum auf ihrer Seite. Die Zuschauer im Holstein-Stadion spürten, dass der HSV nach einem schwachen Auftritt drauf und dran war, die Partie noch komplett zu drehen. Doch dann traf eben Kiel und nicht der HSV zum 3:2 (83.).

Auffällig war in dieser Szene, wie offen und unbesetzt die linke Abwehrseite des HSV war. Das spielentscheidende Tor, an dem alle drei Ex-Hamburger Lewis Holtby, Fiete Arp und Torschütze Finn Porath beteiligt waren, allein auf die fehlende Grundordnung zu schieben, wäre allerdings zu einfach, wie eine genaue Analyse zeigt.

HSV-Gegentor zum 2:3 in der Analyse

Die Fehlerkette beginnt mit Bakery Jattas letztlich verhängnisvollem Fehlpass. Holtby fährt sein langes Bein aus und erobert den Ball, der im Mittelfeld bei Arp landet. In diesem Moment hat der eingewechselte Moritz Heyer die letzte Möglichkeit, eine Kieler Torchance zu verhindern. Heyer muss sehen, dass die in der Schlussphase alles riskierenden Hamburger nicht auf einen Fehlpass eingestellt waren und links hinten über keine Restverteidigung mehr verfügen. Ein klarer Fall für ein taktisches Foul, das allerdings ausbleibt.

Dadurch kann der nur Begleitschutz erhaltende Arp den Pass in den freien Raum auf den heransprintenten Porath spielen. Das frühere HSV-Talent ist nicht mehr einzuholen, er vollstreckt wuchtig mit einem 127 km/h schnellen Abschluss zum 3:2 für seine Mannschaft. Es war der Dolchstoß für den HSV.

„Wir verlieren den Ball an der Außenlinie und können ins Gegenpressing gehen, ziehen aber das Foul nicht. Wenn wir da kein taktisches Foul machen, so wie es der Gegner häufig macht, dann ist das einfach dämlich“, analysierte Walter den Gegentreffer.

HSV-Stürmer Glatzel mit deutlicher Kritik

Ähnlich frustriert äußerte sich auch Torjäger Robert Glatzel, dessen Doppelpack nicht reichte, um in Kiel zumindest einen Punkt mitzunehmen. „Wir haben wieder kopflos verteidigt und zu leicht das 2:3 kassiert. Das war naiv von uns“, lautete seine deutliche Kritik am Defensivverhalten der Mannschaft. „Nach dem 0:2 hätten wir unterschrieben, einen Punkt mitzunehmen. So wie wir verteidigt haben, haben wir alles nach vorne geworfen. Das mussten wir eigentlich gar nicht, weil wir total am Drücker waren.“

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 19 / 35:16 / 39
2. Kiel 18 / 34:25 / 35
3. HSV 18 / 35:22 / 34
4. Fürth 18 / 28:20 / 32
5. Düsseldorf 19 / 40:25 / 31
6. Hannover 19 / 35:25 / 28
7. Paderborn 19 / 28:29 / 28

Glatzel moniert, dass der HSV in der Schlussphase alles oder nichts spielte. Stattdessen wäre wohl etwas mehr Ruhe und eine stabilere Grundordnung erfolgversprechender gewesen. „Wir hätten darauf vertrauen müssen, uns noch ein, zwei Riesenchancen herauszuspielen, haben aber zu viel nach vorne geworfen. In der Phase wollten wir zu viel und sind nicht geduldig geblieben.“

Unterstützung erhielt Glatzel von Torwart Daniel Heuer Fernandes. „An so einem Tag hätten wir nach dem Ausgleich vielleicht besser unverdient einen Punkt mit nach Hause nehmen müssen“, sagte der Schlussmann mit glasigen Augen. Dass der Führungsspieler überhaupt von einem möglichen „unverdienten Punkt“ spricht, sagt viel über die Gesamtleistung des HSV aus. Frust darüber hatte nicht nur der in der Verantwortung stehende Tim Walter.

Die Statistik:

  • Kiel: Weiner – Becker, Ivezic, Kleine-Bekel, Komenda (67. Rothe) – Schulz (75. Porath), Holtby, Sander – Skrzybski (67. Sterner), Pichler (85. Remberg), Arp.
  • HSV: Heuer Fernandes – Mikelbrencis (60. Königsdörffer), Hadzikadunic, Ramos (74. Heyer), Muheim – Meffert – Pherai (68. Poreba), Benes – Jatta, Glatzel, Dompé (60. Nemeth).
  • Tore: 1:0 Skrzybski (20./FE), 2:0 Pichler (57.), 2:1 Glatzel (71.), 2:2 Glatzel (80.), 3:2 Porath (83.), 4:2 Sterner (88.)
  • Gelbe Karten: Pichler (2), Sander (4) – Hadzikadunic (5), Meffert (4)
  • Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach)
  • Zuschauer: 15.034 (ausverkauft)
  • Torschüsse: 16:15
  • Ecken: 7:6
  • Ballbesitz: 42:58 Prozent
  • Zweikämpfe: 51:62