Hamburg. Flügelspieler gelten als Prunkstück des HSV-Kaders, doch bislang schwächeln alle vier. Das führte bereits zu einer Umstellung.
Es gibt verschiedene Ursachen, die zu einer Flügellähmung führen können. Knochenbrüche oder Sehnen- und Muskelverletzungen zum Beispiel, aber auch ein ausgeprägter Nährstoffmangel. Nach allem, was bislang bekannt ist, trifft keine dieser Diagnosen auf Bakery Jatta, Levin Öztunali, Jean-Luc Dompé und Ransford Königsdörffer zu. Und dennoch lösen die vier HSV-Profis mitunter Sorgenfalten im Volkspark aus. Denn die Flügel beim HSV, sie lahmen.
Gerade einmal drei der bisherigen 17 Saisontore leiteten die Hamburger über die Flügel ein. Zu wenig in Anbetracht der taktischen Ausrichtung von Trainer Tim Walter, der Torgefahr über die Außen verlangt.
Ein Beleg für diese These: Mit 127 Versuchen hat der HSV die drittmeisten Flanken geschlagen, nur Düsseldorf (144) und Karlsruhe (150) probierten es häufiger. Beim jüngsten Punktverlust in Wiesbaden (1:1) liefen 86 Prozent der Angriffe über die Außen, doch von den insgesamt 35 Flanken kamen nur elf an. Für nennenswerte Gefahr sorgte keine.
HSV-Problem auf den Flügeln um Öztunali
Die Problematik, unter der auch zunehmend Torjäger Robert Glatzel leidet, der nur einmal in den zurückliegenden sechs Partien traf, ist nicht neu im Volkspark. Nachdem Dompé bereits in der vergangenen Rückrunde mit Formschwankungen zu kämpfen hatte, Walter allerdings kaum Alternativen zur Verfügung standen, holte der HSV im Sommer Levin Öztunali zurück.
Mit seiner Verpflichtung erhoffte sich der Club mehr Qualität in einem nun breiter aufgestellten Kader. Doch an den ersten neun Spieltagen, in denen der 190-malige Bundesligaspieler viermal in der Startelf stand, ist Öztunali einen Beweis schuldig geblieben, eine Verstärkung zu sein. Seine ernüchternde Bilanz: null Tore und null Vorlagen.
Wie sehr dem Neuzugang die Bindung zur Mannschaft fehlt, zeigt sich allein daran, wie stark rechts ausgelastet das Kombinationsspiel jedes Mal ist, wenn Öztunali auf dem Platz steht. Möglicherweise ist die Rolle des linken Flügelstürmers auch nicht die beste Position für den Offensiv-Allrounder, der auf Rechtsaußen die stärksten Spiele seiner Karriere absolvierte. Doch bislang lässt ihn Walter ausschließlich auf der linken Seite agieren.
HSV-Flügel schwächeln gegen tief stehende Gegner
Die Grundproblematik der lahmenden Flügel sitzt allerdings tiefer – genau genommen ist sie gegen die fast ausnahmslos tief stehenden Gegner zu beobachten. Sowohl Öztunali als auch der defensivstarke Jatta und Königsdörffer haben ihre Stärken im Umschaltspiel. Sobald die Gegner defensiver agieren und eine Überzahlsituation in Zweikämpfen generieren, haben alle drei Profis Schwierigkeiten, sich auf den Außen durchzusetzen.
Über einen Spieler wie Elias Saad vom Stadtrivalen FC St. Pauli, der mehrere Gegenspieler bindet und sich dank seiner Stärke im Eins-gegen-eins trotzdem durchsetzt, verfügt der Kader nicht.
- HSV-Fans „Die Löwen“ nach Banner-Eklat uneinsichtig
- Neben Pherai bangt der HSV auch um Muheim und Benes
- Zorniger über Walter: „Sind beide selbstbewusste Trainer“
Mit Dompé steht Walter lediglich ein Spieler zur Verfügung, der mit seinen Dribblings Lücken reißen kann. Eine Qualität, die der HSV für sein ballbesitzorientiertes Spiel dringend benötigt. Denn inzwischen hat es sich ligaweit herumgesprochen, wie schwer sich die Hamburger gegen tief stehende Kontrahenten tun. Ein legitimes taktisches Mittel, das in den jüngsten vier Ligaspielen besonders häufig zu beobachten war.
Sowohl bei den Niederlagen gegen die Aufsteiger Elversberg (66 Prozent) und Osnabrück (61) als auch beim Sieg gegen Düsseldorf (63) und dem Remis in Wiesbaden (71) hatte der HSV deutlich mehr Ballbesitz als im bisherigen Saisonschnitt (57). Trotzdem reichten diese Werte nur zu vier Punkten und vier Toren. Eine den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werdende Ausbeute, die auch auf die formschwachen Flügelspieler zurückzuführen ist.
HSV-Problem: Tim Walter stellt um
Walter hatte diese Problematik bereits nach dem zweiten Spieltag in Karlsruhe (2:2) angesprochen, als alle vier Außenbahnspieler jeweils eine Halbzeit zum Einsatz kamen. Der HSV-Coach monierte hinterher, von beiden Flügelzangen „nicht so viel“ gesehen zu haben. „Wenn wir darüber nicht kommen, dann hakt unser Spiel.“
Nach dem Heimsieg gegen Düsseldorf erneuerte Walter seine Kritik, weil sämtliche Flanken Jattas in erschreckender Konstanz verunglückt waren. „Wenn ich so oft über den Flügel durchbreche, dann muss eine Torchance entstehen“, klagte der Trainer, der sich für Spiele, in denen seine Flügelspieler nicht performen, Lösungen einfallen lassen muss.
Ein gegen tief stehende Gegner probates Mittel, das in Wiesbaden zu beobachten war, sind Fernschüsse. Linksverteidiger Miro Muheim und Mittelfeldspieler Laszlo Benes probierten es mit jeweils fünf Versuchen am häufigsten aus der Distanz, einer der Versuche Muheims führte zum Ausgleich. Rund die Hälfte der Abschlüsse des HSV in dieser Partie stammten von außerhalb des Strafraums. Hält die Flügellähmung an, könnte dieses Stilmittel noch häufiger zu beobachten sein.