Osnabrück. HSV präsentiert sich in Osnabrück führungslos und ergibt sich seinem Schicksal. Ein Qualitätsproblem auf mehreren Ebenen.

Der Spott über den desolaten HSV ließ nicht lange auf sich warten. „Und schon wieder hier verloren, HSV!“, sangen die Osnabrück-Fans nur wenige Sekunden nach dem Abpfiff über den dritten Heimsieg gegen den HSV in Serie.

Gleichzeitig versammelte Hamburgs Trainer Tim Walter seine Mannschaft auf dem Platz in einem Kreis, um eine energische Ansprache zu halten. Dabei gestikulierte er wild auf seine Spieler ein und zeigte die Leidenschaft, die seine Spieler in den 90 Minuten zuvor vermissen ließen.

HSV: Walter rechnet mit Spielern ab

Nahezu ohne Gegenwehr ergab sich der HSV am Freitagabend beim 1:2 an der Bremer Brücke seinem Schicksal. „Wir haben heute gar nicht stattgefunden“, schimpfte der HSV-Coach. „Wie wir uns in Zweikämpfen haben düpieren lassen, war einfach schlecht.“

Eine Woche nach der 1:2-Niederlage bei Aufsteiger Elversberg hatte Walter angekündigt, die richtigen Lehren ziehen zu wollen. Eine Reaktion wurde erwartet. Doch es folgte ein Offenbarungseid, der viele Gesichter ratlos zurückließ. „Ich kann mir das nicht erklären“, sagte Ludovit Reis über den erschreckend harmlosen Auftritt seiner Mannschaft, der nur eine Woche bis zum Heimspiel gegen Düsseldorf bleibt, um Erklärungen zu finden.

In Abwesenheit von Abwehrchef Sebastian Schonlau (Wade) führte Reis die Hamburger als Kapitän an. Zumindest trug er eine Binde. Denn einen Anführer gab es nicht. Weder Reis noch die anderen Führungsspieler Robert Glatzel und Jonas Meffert übernahmen Verantwortung auf dem Platz. Einzig Torhüter Daniel Heuer Fernandes präsentierte sich in Normalform und verhinderte eine noch höhere Niederlage, die an diesem Abend verdient gewesen wäre.

HSV fehlt auch Qualität

„Es ist auch eine Qualitätsfrage, einer Topmannschaft passiert so etwas nicht“, lautete Heuer Fernandes’ ernüchternde Erkenntnis, mit der er recht hat. Wer zweimal die bereits im Vorfeld bekannten Kampfspiele auswärts gegen einen Aufsteiger nicht annimmt, wer zweimal möglichst jedem unbequemen Zweikampf aus dem Weg geht und nicht bereit ist, der Laufstärke des Gegners etwas entgegenzusetzen, der hat ein Einstellungs- und damit auch ein Qualitätsproblem.

„Wir haben einen Anspruch an uns selber, dem sind wir nicht gerecht geworden“, sagte Heuer Fernandes beim Versuch, seine Vorderleute für die nächsten Wochen wach zu rütteln. Denn wenn der HSV seine Probleme gegen Mannschaften aus den unteren Tabellenregionen nicht in den Griff bekommt, wird der Club den Aufstieg ein sechstes Mal verpassen. So viel ist sicher.

HSV-Abwehr bleibt Achillesferse

Dabei sollte doch in dieser Saison endlich alles besser sein. Sportvorstand Jonas Boldt und Profifußballdirektor Claus Costa holten mit Van der Brempt, Dennis Hadzikadunic und Guilherme Ramos gleich drei neue Abwehrspieler, die für ihre Zweikampfhärte und Schnelligkeit bekannt sind. Mit den Neuzugängen, die in Osnabrück allesamt in der Startelf standen, wollte der HSV seine größten Probleme in der Defensive in den Griff bekommen.

Doch nach sieben Spieltagen und neun Gegentoren werden die Clubbosse ernüchtert einräumen müssen, dass die Defensive die Achillesferse der Mannschaft bleibt. Ohne Kapitän Schonlau fehlt die Grundordnung im Abwehrverbund, zudem wissen Ramos und Hadzikadunic noch immer nicht, was Walter von ihnen im Spielaufbau verlangt.

Oder können sie es einfach nicht besser? „Wir haben unsere Qualität nicht gezeigt, waren einfach schlecht“, sagt Walter, der grundsätzlich weiterhin an seine Mannschaft glaubt.

Was ändert Walter jetzt personell?

Im Normalfall würde eine Minusleistung wie in Osnabrück mehrere personelle Veränderungen nach sich ziehen. Bei der kommenden Aufgabe gegen Düsseldorf (29. September) ist allerdings, wenn überhaupt, mit Wechseln in der Defensive zu rechnen.

Die zur Halbzeit eingewechselten Stephan Ambrosius und William Mikelbrencis könnten Ramos und Moritz Heyer ersetzen. Nach dem statischen und ideenlosen Auftritt wären allerdings auch neue Offensivkräfte vonnöten. Doch an dieser Stelle zeigt sich eine weitere Problematik des HSV.

Vor der Saison hatten Boldt und Costa den Kader breiter aufgestellt. Die Idee war, dass sich mit Bakery Jatta, Jean-Luc Dompé, Levin Öztunali und Ransford Königsdörffer gleich vier Spieler um die beiden Plätze auf den offensiven Flügeln duellieren. In der Praxis stellen Öztunali und Königsdörffer momentan jedoch keine Alternativen zu Jatta und Dompé dar.

HSV-Trainer Walter in der Pflicht

Auch das ist die bittere Wahrheit nach dem Saisonstart, der mit den Heimsiegen gegen die Absteiger Schalke (5:3) und Hertha (3:0) so furios begann. „Nach den ersten fünf Spielen konnte man meinen, wir wären schon einen Schritt weiter. Die letzten zwei Spiele haben uns aber aufgezeigt, dass uns die Basics fehlen, die wir eigentlich draufhaben“, klagte Heuer Fernandes.

Walter ging sogar noch einen Schritt weiter: „Das war heute nicht die Mannschaft, die ich kenne“, sagte der Trainer, der nun in der Verantwortung steht. „Wir müssen uns alle hinterfragen, das tue ich auch mit meinem Trainerteam. Trotzdem sind die Spieler auf dem Platz, da gibt es keine Alibis.“

Walter muss Lösungen finden, auch gegen vermeintlich kleinere Mannschaften dominant aufzutreten und Siege einzufahren. Und das möglichst schnell. Denn nach dem Düsseldorf-Spiel geht es für den HSV nach Wiesbaden (7. Oktober). Zum nächsten Aufsteiger.