Hamburg. Von den Fans oft kritisiert, von den Verantwortlichen immer geschützt: Warum der HSV-Verteidiger intern das Vertrauen genießt.

Im Kabinentrakt des HSV hängt eine überraschende Auszeichnung. Dazu ein Foto des Siegers: Miro Muheim, Spieler der Saison 2022/23. Als Ehrung für den Gesamtsieg wurde ein Tisch in der Spielecke nach dem Schweizer benannt. „Miros Spielbankli“, heißt nun der Platz, an dem die HSV-Profis zwischen den Einheiten mal Würfel- oder Kartenspiele zocken.

Am Donnerstag aber sitzt Muheim nach dem Training nicht in seiner Spielbankli, wie man auf Schwyzerdütsch sagen würde, sondern in der Schiedsrichterkabine zum Gesprächstermin mit dem Abendblatt zwei Tage vor dem Spiel bei Hannover 96 an diesem Sonnabend (20.30 Uhr/Sky, Sport1 und Liveticker auf abendblatt.de). Muheim grinst, als er über seinen Titel spricht. „Es war ein klarer Sieg“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Gemeint ist aber nicht etwa die Auszeichnung des HSV-Spielers der vergangenen Zweitligasaison – dieser Titel ging erneut an Torhüter Daniel Heuer Fernandes – sondern der interne Gesamtsieg aller Trainingsspiele, den Co-Trainer Julian Hübner dokumentiert hat. Muheim löste damit Vorjahressieger Jonas Meffert ab.

HSV-Profi Muheim erhält intern viel Zuspruch

Wie die Gesamtleistung von Muheim in der vergangenen Zweitligasaison sowie sein Potenzial zu bewerten ist, sorgt dagegen für durchaus kontroverse Diskussionen. Auf der einen Seite bekam der Linksverteidiger nach mehreren individuellen Fehlern und Beteiligungen an Gegentoren den Unmut der Fans zu spüren. Im „Kicker“-Notenschnitt aller Zweitligaspieler lag er zudem auf Platz 211 von 213.

Auf der anderen Seite erfährt Muheim einen großen Rückhalt innerhalb des Clubs. Interne Daten wie defensive Zweikampfwerte ergeben zudem ein anderes Bild als im „Kicker“. Insbesondere bei Trainer Tim Walter, aber auch bei der sportlichen Führung um Jonas Boldt und Claus Costa ist er unumstritten. Sportdirektor Costa hatte gerade erst signalisiert, dass der HSV trotz der Rückkehr des am Kreuzband verletzten Noah Katterbach zum 1. FC Köln keinen weiteren Linksverteidiger mehr verpflichten will.

„Es ist schön, dass mir so viel Vertrauen geschenkt wird. Ich spüre die Unterstützung im ganzen Club, das ist schon speziell und freut mich sehr. Das will ich natürlich auch zurückzahlen“, sagt Muheim. Am vergangenen Wochenende ist ihm das beim 3:0-Sieg gegen Hertha BSC gut gelungen. Muheim zählte zu den stärksten Spielern auf dem Platz. „Ich habe mich sehr gut gefühlt. Wir haben als Mannschaft gut verteidigt. So wollen wir weitermachen“, sagte Muheim, dem das gute Verteidigen in der vergangenen Saison nicht immer geglückt war.

Muheim räumt zu viele HSV-Fehler ein

In Erinnerung blieb vor allem sein verursachter Elfmeter am 31. Spieltag gegen den SC Paderborn, als er Florent Muslija etwas tollpatschig in die Hacken lief und somit den 2:2-Ausgleich verschuldete. „Ich habe ein paar vermeidbare Fehler gemacht und habe mir vorgenommen, diese abzustellen und trotzdem weiter mutig zu spielen. Es wird immer Rückschläge und Fehler geben. Wichtig ist, dass wir immer weitermachen“, sagt Muheim heute.

Einen dieser Rückschläge erlebte er vor einem Jahr beim Auswärtsspiel in Hannover, als er unbedrängt ausrutschte und Sey Muroya nur noch ins leere Tor einschieben musste. „Das war eine unglückliche Aktion, hätte aber jedem passieren können. Die Aktion hat mich natürlich in dem Moment genervt. Danach habe ich mich aber gut gefangen, und ich war erleichtert, dass wir noch gewonnen haben“, erinnert sich Muheim an den 2:1-Sieg in der Schlussminute durch das legendäre Solo von Ransford Königsdörffer.

Das Spiel war wie eine Blaupause für die Saison von Muheim. Er lag am Boden, stand aber wieder auf und erholte sich. Mit 104 Ballkontakten, 100 Prozent gewonnenen Zweikämpfen und einer Passquote von 84 Prozent lag Muheim in Hannover in vielen Statistiken vorne. So wie in einigen anderen Spielen auch.

Warum Muheim sein Instagram abschaltete

Ausgerechnet das Paderborn-Spiel war dann Muheims Wendepunkt. Danach traf er in zwei Spielen und war in der Relegation gegen Stuttgart der stabilste Spieler in der Viererkette. Walter setzt auch in der neuen Saison auf Muheim, obwohl dieser die gesamte Vorbereitung verpasst hatte. Dafür ist Muheim dankbar. „Der Trainer stellt sich immer schützend vor die Mannschaft. Das macht er mit allen Spielern, und das ist wichtig für die Mannschaft.“

Dass der Außenverteidiger mit der Enttäuschung des verpassten Aufstiegs zu kämpfen hatte, verdeutlichte sein Faszienriss in der Wade, den er sich schon in der Sommerpause bei einem Intervalllauf zuzog. „Das war überraschend, da mir so etwas noch nie passiert ist. Es hat leider etwas länger gedauert als gedacht.“ Hinzu kam der Tod seiner Mutter. Sprechen will er darüber nicht. Dass im Boulevard darüber groß berichtet wurde, hat ihn aber geärgert.

In den sozialen Medien nahm sich Muheim eine Auszeit, schaltete bereits in der Rückrunde seine Instagram-Seite ab. An beleidigenden Nachrichten oder Kommentaren habe das aber nicht gelegen, betont Muheim. „Ich wollte einfach eine Auszeit von den sozialen Medien haben. Ich brauchte eine Pause. Hassnachrichten kriegt man immer, das ist mir nie sehr nah gegangen. Grundsätzlich spüre ich die großartige Unterstützung der Fans.“

HSV-Profi Muheim will für die Schweiz spielen

Nun ist Muheim wieder da. Sportlich, aber auch bei Instagram. Sein Spiel gegen Hertha soll erst der Anfang seines Aufschwungs gewesen sein. „Persönlich will ich noch mehr Torbeteiligungen“, sagt Muheim. Und zusammen mit der Mannschaft will er den Fokus wieder auf eine stabilere Defensive legen. „Wir haben zu viele Gegentore bekommen“, sagt Muheim. „Der Aufstieg ist unser großes Ziel.“

Den wird er auch benötigen, wenn er sich sein Ziel von der Schweizer Nationalmannschaft noch erfüllen will. „Für mich ist das schon ein Thema. Es ist ein Traum für mich, einmal für die Schweiz zu spielen. Ich hoffe, dass das irgendwann mal klappt.“ Ausrutscher wie in Hannover sollte er sich dafür nicht mehr erlauben.