Hamburg. Ex-HSV-Profi Ostrzolek spricht erstaunlich offen über seine mental schwierigste Phase. Was er von Trainer Walter hält.
Am Sonnabend wird sich Matthias Ostrzolek beeilen. Als frisch beförderter Spielertrainer des TSV Schwaben Augsburg trifft der ehemalige Profi des HSV und von Hannover 96 zunächst in der fünftklassigen Bayernliga Süd auf den TSV Landsberg (17.30 Uhr).
Nur eine Stunde nach dem Abpfiff will der 33-Jährige bereits vor dem Fernseher sitzen, um das Nordduell seiner beiden Ex-Clubs (20.30 Uhr) zu verfolgen. Er werde dann beide Daumen gedrückt halten – einen für den HSV und einen für Hannover.
„Natürlich werde ich mir das Spiel anschauen, beide Mannschaften können eine richtig gute Saison spielen“, sagt Ostrzolek im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden. Auch wenn Hannover „ein Wörtchen um den Aufstieg“ mitreden werde und 96-Trainer Stefan Leitl bei seinem Ex-Club Greuther Fürth bewiesen habe, wie man eine Mannschaft weiterentwickelt und aufsteigt, sei die Favoritenrolle für ihn klar. „Der HSV hat eine sehr gute Mannschaft und mehr Qualität als Hannover.“
HSV: Wie Ostrzolek über Walter denkt
Hamburgs Trainer Tim Walter muss seine Aufstiegsfähigkeit zwar erst noch unter Beweis stellen. Dennoch hält es Ostrzolek für den richtigen Weg der Clubführung, nach der verpassten Bundesligarückkehr im Sommer am 47-Jährigen festgehalten zu haben.
„Mit Tim Walter herrscht endlich Kontinuität auf dem Trainerposten, seine Spielweise wird sehr gut umgesetzt“, lobt Ostrzolek, der sogar einen Durchmarsch des Tabellenführers für möglich hält. „Wenn der HSV es schafft, seine Klasse abzurufen, werden sie jeden Gegner in der Zweiten Liga schlagen. Dafür müssen die Spieler aber auch konstant an ihre Leistungsgrenze gehen.“
Ostrzolek mit emotionaler HSV-Beichte
Es ist ebenjenes Vertrauen in die handelnden Personen, das Ostrzolek in seiner aktiven Zeit beim HSV vermisst hatte. Fast schon aberwitzige fünf Trainer erlebte er in seinen drei Spielzeiten zwischen 2014 und 2017. Die Mannschaft habe sich dadurch nie einspielen können, es herrschte eine permanente Unruhe.
Statt den internationalen Ambitionen der Führungsetage gerecht zu werden, gab nur der Klassenerhalt Anlass zum Jubeln. „Dreimal die Rettung mit den Fans zu feiern hat in mir eine Verbundenheit mit dem Club erzeugt“, sagt der frühere Linksverteidiger, den die sportliche Dauerkrise an die mentale Belastungsgrenze geführt hatte.
„Abzuschalten war sehr schwierig für mich. Es war keine einfache Zeit für meine Mitmenschen. Meine Frau erkannte mich teilweise nicht wieder, weil ich so in mich verschlossen war und mir so viele Gedanken gemacht hatte, was sich in der Mannschaft verändern müsse oder ob ich mit Freunden ins Restaurant gehen oder einen Kaffee trinken könne. Diese nicht so einfache, aber auch lehrreiche Phase hat mich privat sehr beeinflusst“, schildert Ostrzolek erstaunlich offen.
Ostrzoleks schönster HSV-Moment
Um dem mentalen Druck standhalten zu können, nahm er sich einen Mentaltrainer. „Meine Zeit beim HSV war schon sehr intensiv.“ Im Nachhinein überwiegen für den von Trainer Markus Gisdol zwischenzeitlich zum defensiven Mittelfeldspieler umgeschulten Profi aber die positiven Momente. So wie beim Last-Minute-Tor von Luca Waldschmidt 2017 am letzten Spieltag gegen den VfL Wolfsburg (2:1), als der Volkspark explodierte.
„Ich habe noch genau vor Augen, wie er das Ding einköpft und die Emotionen überkochen. Es gibt nichts Geileres, als in so einer Situation mit dem Klassenerhalt alles aus sich herauszulassen, den Kopf abzuschalten und mit den Fans zu feiern.“
Die Partie war zugleich Ostrzoleks letztes Spiel für den HSV, weil der damalige Sportchef Jens Todt keine Ambitionen gezeigt habe, seinen auslaufenden Vertrag zu verlängern. „Mit Ausnahme von Gisdol, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte, habe ich kaum Wertschätzung vom Verein gespürt. Darüber war ich sehr enttäuscht“, erinnert sich der Vater einer zweijährigen Tochter. „Ich wäre sehr gern beim HSV geblieben.“
Warum Ostrzolek seine Karriere beendete
Statt in Hamburg zu verlängern, zog Ostrzolek weiter zum damaligen Bundesligarivalen Hannover 96, mit dem er in seinem zweiten Jahr in die Zweite Liga abstieg. Als er bei den Niedersachsen nach drei Jahren seinen Stammplatz verlor, wechselte der Defensivspieler in die österreichische Bundesliga zum FC Admira Wacker Mödling, mit dem er ebenfalls den bitteren Gang in die Zweite Liga antrat. Im Februar dieses Jahres beendete er schließlich seine Karriere mit gerade mal 32 Jahren.
Ein Gedanke, der in ihm reifte, nachdem seine Tochter nicht gesund zur Welt gekommen war und er seine Frau mit dieser neuen Aufgabe so gut wie möglich unterstützen wollte. „Ich muss nicht mehr auf Teufel komm raus Profi sein, mir ist die Familie wichtiger. Als aktiver Profi habe ich mit dem Fußball abgeschlossen“, sagt Ostrzolek in aller Deutlichkeit über seinen Gang in den Amateurbereich.
Warum Ostrzolek Berater wurde
Noch bevor er über die Funktion des spielenden Co- und jetzigen Cheftrainers beim TSV Schwaben Augsburg anheuerte, schloss er sich der Spielerberateragentur B360 Sports an, in der er seine als Profi gemachten Erfahrungen weitergeben will.
„Ich wollte in der Fußballbranche bleiben, aber lieber von außen tätig sein“, erklärt Ostrzolek seine Beweggründe. „Wenn der Wunsch besteht, beraten wir die Spieler auch, wie sie ihre Zeit nach der Profikarriere vorbereiten und sich finanziell absichern können. Ein Berater sollte immer im Sinne des Spielers handeln, das war in meiner Karriere auch mal anders.“
HSV: Ostrzolek warnt vor fiesen Beratern
Um Rückschlüsse auf die von ihm kritisierte Berateragentur zu verhindern, möchte Ostrzolek an dieser Stelle zwar nicht zu sehr ins Detail gehen. Doch der frühere Abwehrspieler, der mehrfach seinen Berater gewechselt hatte, sah seine Interessen nicht immer ausreichend repräsentiert.
„Ich hatte mal einen Berater, der für mich sehr viel kaputt machte, indem er sehr deutlich kommunizierte, dass ich für den Verein nicht mehr auflaufen, sondern wechseln werde. Dabei war das gar nicht in meinem Sinn“, klagt Ostrzolek, der aus dieser Erfahrung gelernt habe und nun der Berater sein will, den er früher gern dauerhaft gehabt hätte.
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Der Ex-Profi hat sich zum Ziel gesetzt, gerade junge Spieler in den Anfängen ihres Karrierewegs zu unterstützen. Mit Sorge betrachte er die Entwicklung, dass bereits einige Talente in der U14 oder U15 einen eigenen Berater haben. „Ich glaube nicht, dass ein 14-Jähriger schon einen Berater braucht, aber das hat sich leider so entwickelt. Die Agenturen sichern sich immer früher junge Talente. Zu meiner Zeit als Profi ging es erst ab der U19 los.“
Von seiner Agentur spüre er Rückendeckung, um parallel als Spielertrainer zu arbeiten. Dennoch komme es regelmäßig zu zeitlichen Konflikten. „Der Aufwand als Trainer ist viel größer als vorher, weil ich mich durch eigene Videoanalysen optimal auf die Gegner vorbereiten will“, sagt Ostrzolek, der von sich selbst überrascht ist. „Es war überhaupt nicht meine Absicht, Cheftrainer zu sein.“