Sandhausen. Die Emotionen des HSV überschlagen sich in Sandhausen. Spieler und Walter feiern schon, dann folgt die bittere Ernüchterung.

Dieser HSV-Tag wird in die Fußball-Geschichte eingehen. Mehr als 10.000 mitgereiste Hamburger Fans machten aus dem Auswärtsspiel in Sandhausen (1:0) ein Heimspiel. Die komplette zweite Halbzeit wurde dem Aufstieg entgegengesungen, die beiden Regensburger Tore gegen Rivale Heidenheim, der patzen musste, frenetisch bejubelt.

Nach dem Abpfiff in Sandhausen lagen sich die HSV-Spieler bereits in den Armen und versanken im Bad ihrer Fans, die den Platz gestürmt hatten. Trainer Tim Walter hatte seine Wasserflasche bereits jubelnd in die Luft geworfen, ehe Pressesprecher Philipp Langer auf ihn zusprintete und ihn auf das noch laufende Heidenheim-Spiel in Regensburg aufmerksam machte.

HSV jubelte schon: Stadionsprecher gratulierte

Den Sandhäuser Stadionsprecher hinderte diese Tatsache jedoch nicht daran, dem HSV bereits über die Lautsprecher zum Aufstieg zu gratulieren, weshalb die Fans weiter feierten. Dabei war in Regensburg wegen der elfminütigen Nachspielzeit, die auf 15 Minuten verlängert wurde, noch rund zehn Minuten zu spielen. Plötzlich erzielte Heidenheim durch einen fragwürdigen Elfmeter das 2:2 und brauchte nur noch ein Tor. Das große Zittern begann.

Warum die Spielzeit derart untypisch in die Länge gezogen wurde, versuchte der DFB auf Abendblatt-Anfrage mit den vielen Unterbrechungen zu erklären. Dass der die Nachspielzeit anzeigende Vierte Offizielle aus Baden-Württemberg, also demselben Bundesland wie Heidenheim, stammt, ist eine Randnotiz, aber kein Ausschlusskriterium bei der Schiedsrichteransetzung.

Doch zurück nach Sandhausen: So langsam sickerte die Information über die verfrühte Bundesligafreude auch zu den Fans durch, die bereits die Tornetze zerschnitten oder ein Stück vom Rasen als vermeintliches Aufstiegssouvenir ergattert hatten. Was nun folgte, waren bange Momente. Und das nächste Tor in Regensburg. 3:2 in der neunten Minute der Nachspielzeit. Wieder enthusiastischer Jubel unter einigen HSV-Fans, die dachten, Regensburg sei erneut in Führung gegangen. Doch der Treffer fiel für Heidenheim.

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HSV-Kapitän Schonlau: „Grausam“

Chaos pur in Sandhausen! Weil das mobile Netz und das Wlan im Stadion völlig überlastet waren, waren nur wenige Fans über das korrekte Ergebnis aus Regensburg informiert. Auch der Teil der sich an der Ersatzbank versammelnden HSV-Spieler um Kapitän Sebastian Schonlau kannte den Zwischenstand trotz aller Bemühungen nicht. „Beim Abpfiff dachte ich, das Ding ist durch“, sagte der Abwehrchef hinterher und fügte mit glasigen Augen hinzu: „Fußball kann manchmal grausam sein.“

Einige seiner Mitspieler verfolgten die Schlussphase im Radio in der Kabine, wo sie schließlich zu Boden sackten.

HSV-Boss Boldt informiert Fans

Schließlich griff Sportvorstand Jonas Boldt, der die letzten Minuten von Regensburg in einer Loge im Hardtwaldstadion verfolgt hatte, zum Stadionmikrofon und informierte die noch immer ahnungslosen Fans, dass der HSV in die Relegation einziehen muss.

Unter den gerade noch feiernden Fans herrschte ab diesem Moment nur noch Leere. „Leider gehört so etwas im Sport dazu“, sagte der spürbar angefasste und emotional aufgewühlte Boldt. „Es war eine überragende Unterstützung heute von euch Jungs und Mädels. Es ist gerade schwer, etwas zu sagen, aber bündelt alle Kräfte, das Ding ist noch nicht zu Ende.“

In einer seiner schwersten Stunden richtete Boldt hoffnungsvolle Worte an die Fans im Hinblick auf die Relegation gegen Bundesligist VfB Stuttgart. „Wenn wir das alles noch einmal in die Waagschale werfen nächste Woche, dann ziehen wir das Ding halt in einer Extrarunde durch“, lautete seine Ansage, der eine Bitte folgte. „Reißt euch zusammen, bleibt ruhig, sammelt die Kräfte und kommt gut nach Hause.“ Die Fans gehorchten und applaudierten zaghaft.

Einige HSV-Fans sicherten sich ein Stück des vermeintlichen Aufstiegsrasens von Sandhausen. Zu früh.
Einige HSV-Fans sicherten sich ein Stück des vermeintlichen Aufstiegsrasens von Sandhausen. Zu früh. © Imago / Lobeca

Sandhausen entschuldigt sich beim HSV

„Ich dachte, wir hätten unseren Traum erreicht, aber er ist dann doch zerplatzt“, sagte Schonlau. Walter meinte hingegen, nur über den eigenen Sieg gejubelt zu haben. „Es war sehr emotional“, sagte der Coach, der sich von der Stimmung unter den Zuschauern anstecken ließ. „Das Spiel war von den Rängen mit viel Emotionen und Jubel dominiert. Natürlich hofft man, wenn mit der Zeit von den Rängen noch mehr Emotionen dazukommen.“ Doch auf die Hoffnung folgte eine bittere Enttäuschung.

Noch am Abend entschuldigte sich Sandhausen für die falsch verbreiteten Aufstiegsinformationen. „Nach einem Zuruf ging unser Stadionsprecher fälschlicherweise davon aus, dass der HSV aufgestiegen sei. Um die Situation im Stadioninnenraum zu deeskalieren, gratulierte er den Gästen zum Aufstieg“, teilte der Club mit. „Der SV Sandhausen ist sich des Risikos und der Tragweite solcher Durchsagen bewusst und entschuldigt sich deshalb an dieser Stelle beim HSV und den Fans im Stadion für die fehlerhafte Durchsage.“

HSV muss Köpfe wieder aufrichten

Nun steht der HSV vor der schwierigen Aufgabe, die Köpfe bis zum Relegationshinspiel am Donnerstag wieder aufzurichten. „Vielleicht ist es auch gut, dass wir nicht viel nachdenken können, sondern direkt ein Spiel vor der Brust haben“, hofft Boldt. „Die Hütte wird wieder brennen. Unsere Jungs haben sich toll weiterentwickelt, ich hoffe, dass wir uns einfach mal dafür belohnen.“

HSV-Fans hatten bereits den Platz gestürmt und den Aufstieg gefeiert.
HSV-Fans hatten bereits den Platz gestürmt und den Aufstieg gefeiert. © Imago / Lobeca

Kapitän Schonlau räumte allerdings ein, in der Kabine ausschließlich „hängende Köpfe gesehen“ zu haben. „Das ist aber auch nur menschlich“, ergänzte der Abwehrchef. „Es ist jetzt unsere Aufgabe, wieder aufzustehen. Dass wir das können, haben wir in der Vergangenheit oft genug bewiesen.“

Das Schlusswort an diesem emotionalen Sonntag, der noch nicht das Ende aller Aufstiegsträume bedeuten muss, gebührt Boldt: „Wir haben jetzt die Chance, etwas Besonderes zu schaffen.“