Hamburg. HSV überzeugt beim 6:1 gegen Hannover als Kollektiv. Doch die Abwehr bleibt das Problemthema. Wie geht Tim Walter damit um?

Der Hunger der gierigen HSV-Profis war auch nach sechs Toren gegen Hannover 96 nicht gestillt. Nachdem Robert Glatzel und seine Mitspieler die Niedersachsen am Sonnabend förmlich aufgefressen hatten, reservierte der HSV-Stürmer einen Tisch für sieben Personen beim Italiener „Ristorante Palazzo“ in Harvestehude.

Einen Promibonus erfuhr Glatzel dabei nicht, denn Lokalbesitzer Massimo kannte den Angreifer gar nicht. Als dieser nach dem 6:1-Erfolg des HSV und der Rückkehr auf einen direkten Aufstiegsplatz mit Sebastian Schonlau, Jonas Meffert, Bakery Jatta, dem wegen Dopings gesperrten Mario Vuskovic und zwei Freunden aufkreuzte, realisierte Massimo, wer da zur Tür hineingelaufen war.

HSV unter Walter wie eine Einheit

Gedankenschnell zückte der Italiener sein Handy und holte sich die Zustimmung seiner neuen Gäste, ein Foto von ihnen in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Gesagt, getan. Und schon quoll sein Instagram-Profil in einer bis dahin noch nie da gewesenen Art über. Der Grund hierfür war allerdings nicht der nun auch im Palazzo bekannte Glatzel, sondern die Präsenz von Vuskovic, dessen Anwälte gegen die zweijährige Sperre des Sportgerichts in Berufung gegangen sind.

„Dieses Foto ist schon ein ganz besonderes für mich“, sagte Massimo dem Abendblatt. Das gemeinsame Essen der HSV-Profis löste große Freude unter den Fans aus. Und es dürfte auch ganz nach dem Geschmack von Trainer Tim Walter gewesen sein. Denn die Aktion steht exemplarisch für die Einheit, die beim HSV geschaffen wurde.

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Dass sich der Club auf und neben dem Platz geschlossen präsentiert, ist auch das Verdienst von Walter, der die neuen Werte jeden Tag vorlebt und predigt – so wie im Mannschaftskreis nach dem Heimspiel gegen Hannover. „Der Trainer hatte sehr viel Spaß beim Zuschauen, weil wir wie eine Einheit gespielt hätten“, sagte Linksverteidiger Noah Katterbach, der als letzter Mann mit seiner Alles-oder-nichts-Grätsche in der 33. Minute gegen Hannovers bereits an ihm vorbeigesprinteten Stürmer Havard Nielsen die Wende in einem bis dahin fahrigen Spiel eingeleitet hatte.

Zur Belohnung gab Walter zwei Tage frei, damit seine Profis die Feiertage bei ihren Familien verbringen konnten – ein weiterer Beleg für seine menschliche Seite. „Normalerweise würden die Jungs jetzt reingetanzt kommen: ,Two days off!’“, scherzte Walter über die bei seinen Spielern beliebte Maßnahme.

HSV-Offensive ein starkes Kollektiv

Dass der HSV den Zuschauern laut Walter ein „schönes Osterfest“ bereitete, lag auch daran, dass sich die Profis so effektiv wie noch nie in dieser Saison präsentierten. Taten sich die Hamburger in den vergangenen Wochen schwer, ihre spielerische Überlegenheit in Tore umzumünzen, durften außer Jatta diesmal alle Offensivspieler jubeln. Mit Sonny Kittel (34.), Laszlo Benes (41./61.), Glatzel (65.), dem eingewechselten Ransford Königsdörffer (75.) und Ludovit Reis (87.) gingen gleich fünf verschiedene Torschützen aus einem starken Kollektiv hervor.

Gerade Kittels Tor, das Walter als „Dosenöffner“ bezeichnete, erzählt eine besondere Geschichte. Der Techniker saß im Winter bereits auf gepackten Koffern in Richtung Saudi-Arabien und reagierte mit einer negativen Körpersprache auf das Wechsel-Veto des HSV. In der Folge saß er monatelang auf der Ersatzbank, anstatt eine fürstliche Millionengage in der Wüste zu beziehen.

Eine Situation, die Kittel lange Zeit enttäuschte – vielleicht sogar zu lange. „Jeder hat Verständnis dafür, was Sonny durchgemacht hat“, sagte Walter über seinen Lieblingsschüler. „Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er früher aus dieser Phase zurückkommt.“

Kittel steht exemplarisch für die Einheit HSV

Kittels erster Zweitligatreffer nach 343 Tagen war zugleich sein erstes Saisontor – eine ernüchternde Bilanz für einen Mann seiner Qualität. Mithilfe seiner Teamkollegen, die Kittel trotz seines Wechselfrusts nie hängen ließen, sondern ihm aus seinem mentalen Loch heraushalfen, scheint der für gewöhnlich im Saisonendspurt abtauchende Angreifer gerade noch rechtzeitig seine alte Form wiederzuerlangen.

„Ich freue mich riesig für Sonny, er hatte viel Pech in dieser Saison. Einiges ist nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hat. Es ist umso schöner, dass er jetzt wieder da ist, denn jetzt wird es wichtig“, sagte Glatzel und ergänzte schwärmend: „Sonny ist ein guter Fußballer, er ist unersetzlich und einzigartig in der Liga.“

Sollte sich Kittel bis Saisonende als unersetzlich erweisen, könnte es beim HSV zu einer nicht mehr für möglich gehaltenen Vertragswende kommen. Voraussetzung für eine Verlängerung des auslaufenden Kontrakts wäre neben einer Leistungsexplosion auch der Aufstieg.

HSV-Abwehr bereitet Walter Sorgen

Ein Ziel, das die Defensive des HSV jedoch zunehmend gefährdet. Gegen Hannover lag es an einem schwachen Gegner und einem erneut starken Torhüter Daniel Heuer Fernandes, dass die in der ersten halben Stunde verunsichert wirkende Mannschaft nur ein Gegentor kassierte. Auffällig bleibt, dass Walter neben Kapitän Schonlau kein zweiter Innenverteidiger von Aufstiegsformat zur Verfügung steht.

Seit Vuskovic Mitte November wegen eines positiven Epo-Tests nicht mehr spielberechtigt ist, kassiert der HSV 34 Prozent mehr Gegentore als zuvor. Egal, wen Walter auf die Position des Kroaten stellt; derjenige strahlt nicht ansatzweise eine vergleichbare Sicherheit aus.

HSV: Nimmt Walter David aus der Elf?

Gegen Hannover durfte sich Jonas David beweisen. Ein Versuch, der wohl nur wegen des Personalmangels nicht schon zur Halbzeit wieder korrigiert wurde. Davids früher leichtfertiger Ballverlust nach nicht mal drei Minuten schien ihn auch in der Folge zu verunsichern.

Der Youngster gewann für einen Innenverteidiger indiskutable 18 Prozent seiner Zweikämpfe. Bei Luftduellen, von denen er turnusmäßig den Großteil Schonlau überlässt, waren es 20 Prozent. Es sind Zahlen wie diese, die Walter an David zweifeln lassen.

Am Sonnabend in Kaiserslautern könnte der ebenfalls fehleranfällige Javi Montero (Gelb-Rot-Sperre) zurückkehren. Durch die Rückkehr von Miro Muheim (Gelbsperre) böte sich auch eine Dreierkette mit dem Schweizer, Schonlau und Moritz Heyer an. Denkbar ist auch, dass Heyer Davids Position im Abwehrzentrum einnimmt und Katterbach rechts hinten in die Viererkette rückt. Nur eines ist klar: Der hungrige Vuskovic steht Walter weiterhin nicht zur Verfügung.