Hamburg. Der angeschlagene Innenverteidiger steht vor einem Härtetest. Ein Gespräch über die zuletzt schwächelnde HSV-Defensive.
Auf den ersten Blick? Nichts. Und der zweite Blick? Hm, ist da nicht doch noch etwas? Ein leichtes Humpeln? HSV-Kapitän Sebastian Schonlau lacht. „Kurz bevor ich mich verletzt habe, hat mich einer gefragt, ob ich humple. So gesehen gehe ich wahrscheinlich immer ein bisschen unrund.“ Oder in einem Wort: „Berufskrankheit.“
Es ist Mittwochnachmittag. Gerade hat Schonlau eine individuelle Einheit mit Rehatrainer Sebastian Capel auf dem Rasen beendet. Nur wenige Minuten später vermeldet die „Bild“-Zeitung in großen Buchstaben: „Hoffnung fürs Kiel-Spiel – HSV-Käpt’n Schonlau wieder am Ball.“ Jede Bewegung, jeder Schritt, jeder Sprint – alles steht bei Schonlau gerade unter extremer Beobachtung.
Wenn man ehrlich ist: nicht alles, sondern vor allem ein Außenband. Das wurde in der vergangenen Woche im Training lädiert. Schonlau fiel aus, der HSV verlor 2:4 in Karlsruhe – und Fußball-Hamburg fragt sich seitdem: Hat der HSV nun ein Abwehrproblem?
HSV-Abwehr: Vier Gegentore ohne Schonlau
Von den Top fünf kassierten die Hamburger (genau wie Düsseldorf) mit 30 Gegentoren die meisten Treffer in der bisherigen Saison. Noch ärgerlicher: Allein in den vergangenen fünf Spielen musste Torhüter Daniel Heuer Fernandes neunmal hinter sich greifen – und damit deutlich öfter als alle anderen Aufstiegskonkurrenten wie Darmstadt (sechs Gegentore), Heidenheim (vier), Paderborn (sechs) und Düsseldorf (vier). Und nun ist auch noch der Kapitän von Bord gegangen.
Schonlau lehnt sich weit zurück in seinen Ledersessel in den Katakomben des Volksparkstadions und schüttelt energisch den Kopf. „In Karlsruhe lag es sicher nicht nur an der Defensive. Wir haben als Mannschaft einfach einen ganz schlechten Tag erwischt.“ Schonlau schaut sich in seinem Kopfkino die vier Gegentore noch einmal an, sagt dann: „Wir haben zu viele einfache Fehler gemacht und dadurch Karlsruhe starkgemacht.“
Die Analyse ist stimmig. Man könnte aber auch zu einem anderen Schluss kommen. Denn mit Schonlau und dem dopinggesperrten Mario Vuskovic (siehe Text rechts) haben HSV-Trainer Tim Walter in Karlsruhe Innenverteidiger Nummer eins und zwei gefehlt. Welcher andere Club könnte solche Ausfälle so einfach verkraften?
Schonlau sprach nach dem 2:4 mit David
Schonlau will diese Frage gar nicht beantworten. Über Jonas David, der seit Vuskovics Sperre an seiner Seite spielt, sagt er nur: „Natürlich habe ich als Kapitän nach dem Spiel mit dem einen oder anderen Mitspieler gesprochen. Das ist mir wichtig, denn wir gewinnen und verlieren immer gemeinsam.“
Und zu Moritz Heyer, der für ihn von der rechten Seite ins Abwehrzentrum rückte: „Natürlich weiß auch Mo, dass er in der ersten Halbzeit gegen Karlsruhe nicht so gespielt hat, wie er es kann. Aber das hat keiner. Ich würde Mo immer wieder bedenkenlos ins Abwehrzentrum stellen, weil ich weiß, welche Qualität er hat.“
Ob er selbst am Sonnabend gegen Kiel (13 Uhr/Sky) wieder ins Abwehrzentrum rotieren kann, will Schonlau endgültig erst am Freitag entscheiden. „Am Ende muss ich mich wohlfühlen und muss das Gefühl haben, dass ich der Mannschaft auf dem Platz auch wirklich helfen kann“, sagt der 28-Jährige. „Wenn ich dieses Gefühl nicht habe, bringt auch eine Spritze nichts.“
Für Walter ist Schonlau eine feste Größe
Trainer Walter darf also weiter hoffen. Für den Coach ist Schonlau seit seinem Wechsel aus Paderborn eine gesetzte Größe in der Innenverteidigung. Erst neben David, dann neben Vuskovic und nun wieder neben David. Der Einzige, der nie aus der Mannschaft rotierte, war Schonlau. „Sebastian ist eine Identifikationsfigur für unsere jungen Spieler“, antwortete Walter mal, als er nach Schonlau gefragt wurde.
Das Grauen gegen Karlsruhe konnte diese Identifikationsfigur aber nur im eigenen Wohnzimmer in Altona vor dem Fernseher verfolgen. Dort hat er auch am Dienstag Manchester Citys Champions-League-Gemetzel gegen RB Leipzig (7:0) gesehen. „Das war brutal“, sagt Schonlau.
Noch vor der Partie wurde Leipzigs gerade einmal 21 Jahre alter Innenverteidiger Josko Gvardiol als einer der besten Abwehrspieler der Bundesliga gefeiert. Ein Spiel und fünf Erling-Haaland-Tore später sind die Lobhudeleien vergessen. Abwehralltag. Schonlau kennt das – lässt sich davon aber nicht irritieren. Ob er nicht auch Bammel hätte, wenn er mit dem HSV in der kommenden Saison gegen die Crème de la Crème im deutschen Fußball verteidigen muss?
HSV-Kapitän Schonlau verehrt Hummels
„Ich habe keinen Bammel, aber ich habe Respekt“, antwortet Schonlau, der besonders Dortmunds Innenverteidiger Mats Hummels und Bayerns Abwehrass Lucas Hernández verehrt. „Ist doch klar, dass dann die besten Offensivspieler Deutschlands gegen dich spielen. Aber davor sollte man keine Angst haben, sondern sich darauf freuen. Mich treibt es an, möglicherweise gegen die Besten der Besten spielen zu können.“
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Das KSC-Debakel war schnell abgehakt. „Am Montag haben wir relativ viel über das Karlsruhe-Spiel gesprochen – und dann war aber auch gut, denn wir müssen nun nach vorne schauen“, sagt Schonlau, der widerspricht, wenn man dem HSV ein grundsätzliches Defensivproblem attestiert.
„Das würde ich so nicht unterschreiben. Besonders beim Spiel gegen Nürnberg standen wir hinten extrem stabil. Ich sehe aber trotz der Gegentore in den vergangenen Wochen nicht den Anlass, dass wir irgendetwas an unserer Spielweise ändern müssten.“
Schonlau steht auf, streckt die Hand aus, verabschiedet sich höflich und geht. Ziemlich rund. Oder doch nicht? Erster Blick, zweiter Blick. „Es fühlt sich okay an“, sagt Schonlau. „Bis Sonnabend.“