Hamburg. Der gebürtiger Kieler wurde beim HSV ausgebildet, erinnert sich an ein besonderes Treffen und freut sich über die Holstein-Entwicklung.
Dieses erste Treffen wird Sidney Sam nie vergessen. Karsten Bäron und Thomas Doll standen plötzlich vor der Tür in Mettenhof, im Westen von Kiel. Der eine, 1,97 Meter lang, ein früherer Sturmriese und nun B-Jugendtrainer. Der andere, Dolly eben, nicht wirklich lang, aber ein ganz, ganz Großer. Und Trainer der zweiten HSV-Mannschaft. Und beide wollten nur eines: ihn.
„Wir haben uns dann im Wohnzimmer unterhalten. Alle meine sieben Geschwister waren dabei. Und ich war natürlich aufgeregt“, sagt Sam. Der gebürtige Kieler galt seinerzeit als eines der begehrtesten Talente im Lande. Werder Bremen hatte sich erkundigt, der 1. FC Köln hatte ihn eingeladen und auch Bayer Leverkusen war schon an ihm dran. Doch nun saßen da Karsten Bäron und Thomas Doll im Wohnzimmer – und da gab es am Ende nur eine Entscheidung: den HSV.
Knapp 20 Jahre ist diese Episode nun schon her. Sam sitzt nicht mehr im Wohnzimmer, sondern im Kinderzimmer von Sohn Gabriel, nicht in Kiel, sondern in Düsseldorf und nicht im persönlichen Gespräch mit den HSV-Verantwortlichen, sondern im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ über Zoom.
Der frühere HSV-Profi erinnert sich gerne an Kiel zurück
„Ich erinnere mich wirklich gerne an die damalige Kiel-Zeit zurück“, sagt Sam wenige Tage vor dem so wichtigen HSV-Duell gegen Holstein Kiel am kommenden Sonnabend (13.30 Uhr/Sky). Wenn man bei Wikipedia nach den berühmten Söhnen der Stadt Kiel sucht, dann findet man auch den einen oder anderen Fußballer. Ex-Nationaltorhüter Andreas Köpke zum Beispiel. Oder die heutigen Holstein-Profis Fin Bartels und Fabian Reese. Und natürlich Sam, der das Fußball-Einmaleins auf einem Gummiplatz in Mettenhof erlernt hat, dann zum FC Kilia Kiel gegangen ist und schließlich in der Jugend von Holstein Kiel geschliffen wurde.
„Als ich bei Holstein gespielt habe, war der Club noch in der Regionalliga“, sagt Sam, der beeindruckt ist von der Entwicklung seines Jugendclubs. Damals war Holstein in der vierten Liga. In einer Zeit, als es in Kiel eigentlich nur Handball und den THW gab. Und nun: „Kiel ist krass“, sagt Sam. Der Club, der früher an seiner Schule Freikarten verteilen musste, sei mittlerweile eine erstzunehmende Größe, habe in den vergangenen Jahren sogar mehrfach am Tor der Bundesliga gekratzt.
Doch nicht nur Holstein ist erwachsen geworden. Auch der kleine Kieler Sidney, der ehrfürchtig zu Karsten Bäron und Thomas Doll hoch schaute. Sam wechselte zum HSV, wurde an den 1. FC Kaiserslautern verliehen, ging nach Leverkusen, wurde Nationalspieler.
Sidney Sam macht seine Trainerscheine
Jetzt, nach der aktiven Karriere, arbeitet Sam an der Karriere nach der Karriere. Macht seine Trainerscheine, hat ein Managementstudium in St. Gallen absolviert. Und schaut noch immer nach Kiel. Und nach Hamburg.
„Diesmal ist der HSV dran“, sagt Sam, der derzeit ein Trainerpraktikum beim MSV Duisburg absolviert. Die Mannschaft sei „top, top“ besetzt – vor allem in der Offensive. Besonders gerne schaue er Jean-Luc Dompé zu, dem Linksaußen, der immer wieder in die Mitte zieht. Trainer Tim Walter würde sagen: ein In-Swinger. Sam sagt: „Für so einen Spieler kommt man dann auch mal ins Stadion.“ Was er nicht sagt: Dompé ist so eine Art Sidney-Sam-Spieler – auf und abseits des Platzes.
„Mit 27 Jahren sollte man sich aber jetzt langsam auf Fußball konzentrieren“, sagt Sam. Der 35-Jährige, der früher selbst nicht den Ruf hatte, der Pflegeleichteste zu sein. Wenn man ihn aber nun so reden hört, dann ist die Zeit des Jugendspielers beim HSV, der mit der Rasselbande um Maxim Choupo-Moting, Tunay Torun und Änis Ben-Hatira die Bundesliga aufmischen wollte, lange her. Sehr lange.
Sam kritisiert: HSV-Defensive zu anfällig
Nun schaut Sam nicht mehr nur darauf, wie Dompé auf dem linken Flügel antäuscht, nach innen zieht und mit rechts flankt. Sondern auch wie Tim Walter draußen an der Linie steht, das ganze orchestriert und sein ganz eigenes System durchzieht. „Tim Walter hat eine klare Handschrift“, sagt Sam anerkennend, will dabei aber nicht verhehlen, dass „der HSV momentan in der Defensive zu anfällig“ sei. „Aktuell kassiert die Mannschaft einfach zu viele Gegentore.“
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Auf dem Platz war Sam früher ein Freigeist. Ein Dompé. Mit einem starken Offensivdrang. Als Trainer hat er jetzt eher den Blick für das große Ganze. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive gewinnt Meisterschaften. In Duisburg schaut sich Sam die ersten Halbzeiten immer von der Tribüne aus an, geht dann nach unten in die Kabine, bespricht die Taktik mit Cheftrainer Torsten Ziegner und bleibt in der zweiten Halbzeit auf der Bank.
2019 wäre Sam fast zurück zu Holstein Kiel gewechselt
Von der ersten Halbzeit seiner Karriere bereut Sam eigentlich nur eines: dass er nie als Profi für den Heimatverein gespielt hat, nie als Herrenspieler für Holstein Kiel auf dem Feld stand. 2019, vor dreieinhalb Jahren, hätte es fast geklappt. In Bochum lief sein Vertrag aus, Kiel hatte beim Berater angeklopft.
Doch dann wechselte Sam noch für ein Jahr nach Altach nach Österreich, dann noch eine letzte Saison in Antalyaspor, dann war die Kiel-Chance vertan. „Schade“, sagt Sam heute. „Holstein zum Abschluss meiner Karriere wäre eine runde Sache gewesen.“
Am Wochenende bleibt Sam nur die Rolle des stillen Beobachters. Hamburg gegen Kiel, erster Proficlub gegen Heimatverein. Sam wird in Düsseldorf den Fernseher einschalten. „Das wird ein hochinteressantes Spiel“, sagt er. „Der HSV hat was gut zu machen.“ Sein Tipp: 3:2 für den HSV. „Und am Ende dieser Saison gehen sie hoch.“ Wegen Walter, wegen Dompé – und weil der HSV einfach mal dran sei.