Hamburg. Bei den Hamburgern tobt hinter den Kulissen ein Streit über einen Mann, den in Wahrheit kaum einer kennt. Die Hintergründe.
Dem HSV wird ja gern nachgesagt, er lebe zu sehr in der Vergangenheit. Der Dino, Athen 83, Uwe Seeler. Doch in den vergangenen Tagen stellten die Anteilseigner des HSV unter Beweis, dass auch sie mit der Zeit gehen und die modernen Kommunikationsmittel beherrschen.
So nutzten die Aktionäre des HSV Doodle, den Onlinedienst für Terminumfragen, um einen Tag für den dringend erforderlichen Friedensgipfel zwischen den Minderheitsaktionären und dem Mehrheitsgesellschafter HSV e. V. zu finden. Das Doodle-Problem: Am favorisierten Freitag in dieser Woche hat Karl Gernandt, Vertreter der Kühne Holding, keine Zeit. Am Ausweichtermin Mittwoch, also gestern, kam Thomas Böhme, geschäftsführender Gesellschafter der AMPri Handelsgesellschaft, von einer Geschäftsreise aus Fernost zurück. Doch Doodle sei Dank konnte man sich einigen: Getagt wird nun am Freitag der kommenden Woche, also am 24. Februar.
Der HSV und der umstrittene Unternehmer Detlef Dinsel
Der Hauptgrund für diesen Termin wird dann allerdings gar kein Thema mehr sein. Schließlich wollten die Gesellschafter vor allem darüber beraten, ob der umstrittene Unternehmer Detlef Dinsel weiterhin ein Mitglied des siebenköpfigen Aufsichtsrats bleibt oder nicht. Bei der vor zwei Wochen eskalierten Hauptversammlung war das eines der großen Streitthemen. Am Mittwochabend beantwortete Dinsel diese Frage dann höchstpersönlich: Der 62-Jährige steht für das Kontrollgremium nicht mehr zur Verfügung. Das teilte er dem Präsidium um Marcell Jansen, Bernd Wehmeyer und Michael Papenfuß nach einem Gespräch mit.
Der lange Streit um Dinsel hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Beim Auswärtsspiel des HSV beim FC Heidenheim hatten die Fans ein großes Banner hochgehalten mit den Worten „Für einen dinselfreien Aufsichtsrat“. Zudem veröffentlichte der Förderkreis Nordtribüne, ein Zusammenschluss aus der aktiven Fanszene, ein Schreiben, in dem sie Dinsel scharf kritisierten.
Fans erhoben zuletzt schwere Vorwürfe gegen Dinsel
Das hatte vorher schon Karl Gernandt gemacht. „Ein unfähiger Aufsichtsrat“, sagte er ganz offiziell auf der Hauptversammlung. „Ein dubioser, renditefixierter und profitorientierter Investor“, schrieben die Fans. Oder doch: Ein Finanzexperte, der beste Drähte in die Bundesliga hat, sagt Marcell Jansen. Und schließlich: ein fußballinteressierter Schwabe, der aber seit mehr als 20 Jahren fest mit der Hansestadt Hamburg verbunden ist. Sagt Dinsel selbst.
Der Wahlhamburger, dessen Büro in bester Lage am Neuen Wall liegt, ist eine Art Super-Kontrolleur. Der gebürtige Stuttgarter ist Aufsichtsratschef der Allgeier SE, der Alanta Health Group und der Aposon GmbH. Er ist stellvertretender Vorsitzender bei der Schock GmbH, bei Nagarro, Vorsitzender Beirat der Winkelmann Group und einfacher Kontrolleur bei der Klingel Medical Group und den IK Investment Partners. Dazu kommen neun ehemalige Mandate, die der Private-Equity-Mann abgegeben hat.
Länger war er auch intern ein großes Streitthema
Doch trotz der großen Aufsichtsratserfahrung war Dinsel neben Jansen seit Wochen das große Streitthema hinter den Kulissen. Beim Rückrundenauftakt gegen Braunschweig wollte er die Aktionäre in einem persönlichen Gespräch besänftigen, diese lehnten ab. Dinsel soll daraufhin bereits in der Halbzeit wütend die VIP-Räumlichkeiten verlassen haben. Wenn man ihn aber nach dem Warum im Hinblick auf den Zwist fragt, zuckt er nur mit den Schultern und antwortet, dass er das auch gerne wissen würde.
Dabei war die Personalie Dinsel beim HSV gar nicht so neu, wie manch einer meint. Jansen kannte Dinsel seit mehr als zwei Jahren. Im Spätsommer 2021 stellte er ihn auch seinen beiden Vizepräsidenten Bernd Wehmeyer und Michael Papenfuß vor. Im Herbst wurde Dinsel vom Beirat geprüft, im November stand er auf Jansens Liste mit möglichen Aufsichtsratskandidaten. In das Kontrollgremium gewählt wurde der Unternehmer aber vorerst nicht. Das passierte erst, als Thomas Wüstefeld im Januar 2022 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in den Vorstand ging.
Auch Thomas Wüstefeld ist eine umstrittene Person
Wüstefeld. Das ist die dritte Person, über die in den HSV-Gremien diskutiert wird. Und auch da gehen die Meinungen auseinander. Während Jansen Wüstefeld lange schützte und schätzte, macht Vorstand Jonas Boldt kein Geheimnis aus seiner Verachtung. Kürzlich machte er seinen Ex-Kollegen via Abendblatt beim HSV zur unerwünschten Person. In dieser Woche legte Boldt in der „11Freunde“ nach: „Will man der Vorstands-Ära von Thomas Wüstefeld noch etwas Gutes abgewinnen, dann, dass hier nun alle verstanden haben, wie der Worst Case aussieht“, sagte er.
„Wäre Thomas Wüstefeld noch Vorstand, wäre ich nicht mehr da.“ Seine heftige Anschuldigung: „Durch die negative Presse über ihn stellten einige Geschäftspartner vorübergehend die Zusammenarbeit mit dem HSV ein. Kaum war er weg, riefen sie proaktiv wieder an und meldeten sich zurück an Bord.“
Wurzel der Zerrissenheit des HSV?
Ein oft formulierter Vorwurf: Wüstefeld, aber eben auch Jansen und Dinsel hätten ein Trio Infernale gebildet, das maßgeblich zur Zerrissenheit des HSV beigetragen habe. Innerhalb des Vorstands soll es jedenfalls nicht nur große Vorbehalte gegen Wüstefeld geben, sondern auch gegen Jansen und Dinsel. Was bislang keiner wusste: Bereits im Juli haben Dinsel und Papenfuß nach den ersten Abendblatt-Berichten über Wüstefelds Firmen getrennte Gespräche mit den beiden Vorständen geführt. Und obwohl nach diesen Gesprächen klar war, dass ein Weiter-so mit beiden Vorständen unmöglich sei, betonte Jansen öffentlich immer wieder, dass es kein Problem gebe.
Dem widerspricht nun auch die aktive Fanszene: „Besonders die letzten Monate haben mal wieder sehr eindrucksvoll gezeigt, wie zwei dubiose Investoren, Thomas Wüstefeld und Detlef Dinsel, dem HSV massiven Schaden zugefügt haben“, schreiben sie in ihrem öffentlichen Brief. Und weiter: „Trotz Vorbehalten aus unterschiedlichen Ecken des Vereins hält das Präsidium weiter energisch an Dinsel fest.“
Marcell Jansen erwägt, seinen Vorsitz abzugeben
Nach Abendblatt-Informationen bröckelte die Unterstützung Dinsels im Präsidium allerdings zuletzt. Dinsel wollte Gewissheit. Deswegen bat er um ein klärendes Gespräch noch vor dem Friedensgipfel. Jansens ursprünglicher Plan, Dinsel zum neuen Kontrollchef zu machen, war ohnehin hinfällig. Trotzdem erwägt Jansen nach Abendblatt-Informationen, seinen Vorsitz abzugeben. Ihm nachfolgen könnten nur noch Vizepräsident Papenfuß oder der mutmaßliche Neu-Kontrolleur Stephan von Bülow.
Dinsel ist dann nicht mehr dabei. Dass er sich mit der Kühne Holding über den Kauf von knapp sieben Prozent der AG-Anteile bereits einig war, ist kein Geheimnis mehr. Genauso wenig, dass Dinsel nach dem Streit zwischen Wüstefeld und Kühne zurückzog. Bis zuletzt hatte Dinsel Interesse, Anteile zu erwerben. Nun ist das Missverständnis beendet. Und nach all den Streitigkeiten muss sich der ehemalige Aufsichtsrat beim HSV nun nicht mehr mit Doodle-Abfragen beschäftigen.