Hamburg. Der „Noch-Chefscout“ und „Bald-Sportchef“ des HSV spricht über den Deadline-Day, wie Transfers ablaufen und seine Beförderung.
Der Deadline-Day könnte für Claus Costa nicht viel entspannter beginnen. Der Leiter der HSV-Scoutingabteilung, der in den nächsten Tagen einen Vertrag als Sportdirektor unterzeichnen soll, sitzt gemütlich im Café „Was wir wirklich lieben“ in der Osterstraße, hat Rührei und Kaffee bestellt, und darf es sich erlauben, ganz in Ruhe die nun geendete Transferperiode Revue passieren zu lassen.
Hamburger Abendblatt: Herr Costa, heute ist Deadline-Day und Sie haben trotzdem Zeit für ein entspanntes Interview. Was ist da los?
Claus Costa: Es ist tatsächlich ein sehr ruhiger Deadline-Day. Wahrscheinlich würden viele Bundesligamanager heute auch gerne entspannt mit uns am Frühstückstisch sitzen, aber manchmal ergeben sich Dinge früher, manchmal später. Ich habe jedenfalls nichts dagegen, dass unsere Hausaufgaben schon frühzeitig erledigt waren.
Mit András Németh, Javi Montero und Noah Katterbach haben Sie drei Spieler geholt, mit Tim Leibold einen Profi abgegeben. Zufrieden?
Sehr zufrieden. Bei András Németh und Javi Montero waren wir schon etwas länger in Gesprächen, Noah Katterbach kam dann nach der Tim-Leibold-Entscheidung kurzfristig noch dazu. Schön, dass alle Deals so geklappt haben.
HSV-Chefscout Costa: So hat sich der Transfermarkt durch die WM verändert
Durch die WM war die spielfreie Zeit im Winter so lange wie noch nie. War der Wintertransfermarkt dieses Jahr anders als in den vorherigen Jahren?
Es war planbarer. Wenn im Dezember noch normal gespielt wird, kann immer noch viel passieren. Hier verletzt sich ein Stürmer, dort spielt dein Wunschstürmer plötzlich dreimal in Folge von Anfang an. Das alles war in diesem Jahr nicht möglich. Deswegen gab es früher Planungssicherheit als sonst. Wir haben den kompletten Dezember in verschiedenen Runden genutzt, um an unseren Wunschvorstellungen zu arbeiten. Dabei konnten wir uns komplett vom Tagesgeschäft mit Training, Auswärtsfahrten und Spielen lösen, weil es das alles ja nicht gab.
Nur zwei Zweitligaclubs haben mehr als der HSV ausgegeben: Lokalrivale St. Pauli hat 1,1 Millionen Euro investiert und Tabellenführer Darmstadt sogar mehr als zwei Millionen Euro. Was sagen uns diese Zahlen?
Mir steht es überhaupt nicht zu, die anderen Investitionen zu bewerten. Zwei Einschätzungen seien mir aber gestattet: Diese Zahlen zeigen auch, dass der HSV in Sachen Finanzen eben nicht in einer anderen Liga als Clubs wie St. Pauli oder Darmstadt unterwegs ist. Und: Als Tabellenführer unterstreicht Darmstadt seine Ambitionen. Wir können und wollen aber nur auf unsere Deals schauen. Und uns war wichtig, dass wir nicht am Deadline-Day panisch oder aktionistisch werden, sondern, dass wir überzeugt sind von unseren Transfers.
HSV-Chefscout Costa ist mit Bayern Technischem Direktor Marco Neppe befreundet
Stichwort aktionistisch: Wie überrascht waren Sie am Montag, als bestätigt wurde, dass der FC Bayern nach drei Unentschieden in Folge kurz mal Joao Cancelo von Manchester City ausleiht. Der Kerl hat einen Marktwert von mehr als 70 Millionen Euro…
Das ist ein Regal, in das ich leider überhaupt nicht reingreifen kann. Deswegen kann und will ich diesen Transfer überhaupt nicht bewerten. Ich gucke natürlich auch gerne mal Manchester City im Fernsehen entspannt mit einem Kumpel und kenne Cancelo dementsprechend. Aber so ein Spieler wie er kommt eben nicht für den HSV in Frage.
Sie sind noch immer gut befreundet mit Bayerns Marco Neppe, der vor einem guten Jahr zum Technischen Direktor befördert wurde. Sprechen Sie am Telefon auch über derartige Transfers?
Wir haben gerade erst letztens telefoniert, haben dabei aber nicht über Cancelo gesprochen. Grundsätzlich sind wir natürlich in ganz anderen Sphären unterwegs, aber natürlich tauscht man sich hier und da auch mal aus, wenn es doch mal Überschneidungen gibt.
Genau wie Sie war auch Marco Neppe lange Zeit Chefscout. Auf seiner Visitenkarte steht nur ganz offiziell „Technischer Direktor“. Was steht denn demnächst auf Ihrer?
Jobtitel ist Claus Costa beim HSV nicht so wichtig
Das war ja ein eleganter Übergang. (lacht) Was auf meiner nächsten Visitenkarte steht, werden die nächsten Tage zeigen. Bis zum 31. Januar ging es erst einmal darum, die Verträge von den Spielern einzutüten. Nun werden wir uns entspannt auch demnächst über meinen Vertrag unterhalten. Ich spüre da gar keinen Zeitdruck. Mir ist auch der genaue Titel nicht so wichtig, sondern viel mehr das Aufgabenprofil.
Ihr Vertrag als Chefscout würde im Sommer auslaufen. Können Sie uns den Unterschied zwischen einem Sportdirektor, einem Technischen Direktor und einen Kaderplaner erklären?
Ich persönlich finde das Aufgabengebiet wichtiger. Mir ist nicht wichtig, was auf der Visitenkarte steht. Beim HSV steht bei mir auch gar nicht Chefscout auf der Karte, sondern Leiter der Scoutingabteilung. In Leverkusen stand auf meiner Visitenkarte Kaderplaner, wobei ich mit dem Wort ein wenig fremdel. Ich finde bezogen auf den ganzen Prozess rund um Transfers den Begriff Kaderplanung treffend, aber es ist ein Zusammenspiel, weil natürlich der Trainer Ideen hat und einbringt und am Ende aufstellt und der Vorstand die Transfer-Verträge final unterschreibt.
Ich nehme mit der Scouting-Abteilung im Vorwege einen federführenden Teil ein, aber bin nicht der alleinige Kaderplaner. Und was die Begriffe Sportdirektor und Technischer Direktor angeht: Ein Sportdirektor ist meiner Meinung nach sehr nah bei der Mannschaft dabei, kümmert sich vor allem um das aktuelle und das mittelfristige Tagesgeschäft. Der Technische Direktor ist meiner Meinung nach dagegen für die langfristigen Planungen da, macht sich Gedanken über Strukturen und Prozesse. Aber auch da gibt es sicherlich Unterschiede.
Marco Neppe hat als Technischer Direktor sicherlich auch andere Aufgabenbereiche als mein ehemaliger Kommilitone aus dem DFL-Managerlehrgang Michael Parensen, der seit Kurzem den gleichen Titel bei Union Berlin trägt.
Für Sie war das Wintertransferfenster nun die erste Transferperiode, in der Sie nach dem Ausscheiden von Michael Mutzel federführend für die Transfers zuständig waren. Wie war’s?
Es war eine große Herausforderung, hat aber auch großen Spaß gemacht. Wirkliches Neuland war es aber nicht, da ich in den vergangenen Jahren ja auch mit Michael Mutzel eng zusammengearbeitet habe.
Haben Sie nach dem unschönen Aus von ihm noch Kontakt?
Wir telefonieren jetzt nicht täglich miteinander, sind uns aber lustigerweise gerade erst privat in die Arme gelaufen. Von meiner Seite aus gibt es da keine schlechten Vibes.
Wie hat sich Ihr Alltag in den vergangenen Monaten geändert? Sind Sie mehr unterwegs?
Eher weniger. Die meisten Livespiele habe ich direkt nach der vergangenen Sommerpause geschaut. In den vergangenen Wochen ging es eher darum, die Kaderplanung und die Abwicklung der vorbereiteten Deals voranzutreiben.
So hat der HSV Javi Montero zum HSV gelockt
Es ist ja kein Geheimnis, dass die Dopingsperre von Mario Vuskovic den HSV hart trifft. Wie schnell hat es nach dieser bitteren Nachricht gedauert, ehe Sie wussten, dass nun Javi Montero als Ersatz kommen muss?
Wir mussten uns sehr schnell auf Eventualitäten vorbereiten und haben das natürlich auch professionell gemacht. Dabei hat es geholfen, dass sowohl ich Spiele von Javi schon in meiner Leverkusen-Zeit gesehen hatte, als auch die gesamte HSV-Scoutingabteilung den Namen immer mal wieder präsent hatte. Wir haben ihn also schon seit länger Zeit in unserem Blickfeld und während seiner Leih-Stationen intensiv verfolgt.
Montero hat für Atletico Madrid in der Champions League gespielt und bei Besiktas Istanbul gutes Geld verdient. Als Laie wäre man nicht unbedingt darauf gekommen, dass er einer für den HSV ist…
Wenn sein Karriereweg weiterhin stringent nach oben verlaufen wäre, dann wäre er wohl auch keiner für den HSV. Aber so gab es eben jetzt eine Möglichkeit. Ich kann mich aber auch noch gut daran erinnern, als ich ihn das erste Mal live im Stadion gesehen habe. Damals hat Atlético Madrid gegen Celta Vigo gespielt und ich war als Bayer-Scout im Einsatz, um mir zwei oder drei sehr interessante Spieler von Celta Vigo anzuschauen: Pione Sisto und Maximiliano Gomez standen beide auf meinem Zettel. Javi war damals 20 Jahre alt, in seiner ersten Profisaison und fiel mir auch schon auf. Ich kannte ihn auch schon aus der Youth League der Champions League.
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Verraten Sie uns, wie bei so einem Deal die Kontaktaufnahme abläuft? Haben Sie ihn in Istanbul besucht? Oder gab es ein FaceTime-Gespräch?
Nachdem wir uns intern auf ihn geeinigt haben, gab es erstmal eine Kontaktaufnahme mit dem Berater. Als es interessant wurde, haben wir ein Teams-Videocall gemacht, wo alle dabei waren: der Spieler, der Berater, der Trainer, ich. Und dann tauscht man sich aus, schaut, ob sich auch der Spieler mit dem HSV, dem System und der Mannschaft befasst hat. In Javis Fall war das ein richtig gutes Gespräch.
Auch Noah Katterbach war eine überraschende Personalie. War das so ein Wenn-dann-Deal? Wenn Tim Leibold in die USA geht und wir ein bisschen Geld einsparen, dann wäre Noah Katterbach eine gute Lösung?
Das kann man so betiteln. Jede Scoutingabteilung Deutschlands kennt natürlich seit Jahren Noah. Er wurde zweimal in Folge mit der goldenen Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet. Wenn seine Karriere so weiterverlaufen wäre, wie es viele Experten in der U17 prognostiziert hätten, dann wäre er heute eher einer für Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund oder Bayern München. Aber auch bei ihm gab es eben Brüche in der Entwicklung – das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Wir sind jedenfalls sehr froh, dass wir ihn holen konnten. Ihn haben wir über die Jahre wirklich sehr oft gesehen. Es gibt sicherlich zahlreiche Scoutingberichte von ihm in unseren Akten.
HSV-Chefscout Costa hatte Stürmer Nemeth lange auf dem Zettel
Letzter Deal war András Németh. Wieder so ein Transfer, den keiner auf dem Zettel hatte. Wie ist die Geschichte hinter seiner Geschichte?
Ihn hätten wir schon gerne im Sommer geholt. Er ist unserer Scoutingabteilung bei einem Youth League-Spiel von Genk in Köln aufgefallen. Aber im Sommer war die Situation so, dass er nahezu jedes Spiel bei Genks Profis gemacht hat und so unerschwinglich für uns wurde. Dann hat sich im Laufe der Saison seine Situation in Genk geändert – und dann konnten wir zuschlagen. Wir haben ihn im Dezember zu uns nach Hamburg eingeladen, hatten ein langes Gespräch mit dem Trainer und dann war klar, dass wir ihn unbedingt wollen. Sein Gesamtpaket ist einfach sehr interessant.
Spielen Sie eigentlich auch privat Kicker-Manager oder ähnliches?
Ich habe tatsächlich eine Mannschaft, aber seit Saisonbeginn habe ich da online nicht mehr reingeguckt. Ich weiß gar nicht, ob ich wirklich noch elf Spieler auf dem Platz habe. Im echten Leben bin ich da glücklicherweise ein wenig akribischer. (lacht)