Der ehemalige Bundesliga-Profi will am Sonnabend auf der Mitgliederversammlung um seine Zukunft beim Zweitligisten kämpfen.

Der HSV lässt Marcell Jansen nicht los. Nirgendwo. An der Wand seines Büros an der Dammtorstraße hängt ein großes Abschiedsfoto, das ihn als Spieler zeigt. „Danke, Cello“ ist darauf zu lesen. 152 Bundesligaspiele hat der frühere Nationalspieler zwischen 2008 und 2015 für die Hamburger bestritten, bevor er überraschend mit nur 29 Jahren seine Fußballkarriere beendete.

Tschüs, Hamburg? Nur kurz. Bald darauf begann seine Funktionärskarriere im Verein. Seit Fe­bruar 2018 sitzt er im Aufsichtsrat des HSV, im Januar 2019 trat er erfolgreich zur Wahl des Präsidenten des HSV e. V. an.

HSV-Präsident Marcell Jansen muss sich Abwahlanträgen stellen

Doch lässt der HSV ihn am Sonnabend los? Die Zeiten sind wieder einmal stürmisch für Jansen. Bei der Mitgliederversammlung im Saal 1 des CCH muss die Basis über zwei Abwahlanträge gegen ihn entscheiden. Bei einer Zweidrittelmehrheit wäre automatisch Schluss für den 37-Jährigen, der jedoch im Vorweg deutlich machte, dass er bei einer einfachen Mehrheit gegen sich das Feld räumen würde.

Es ist der zweite Showdown für Jansen innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit. Im Februar 2021 führte ein Zerwürfnis mit seinen damaligen beiden Stellvertretern zum Rücktritt des gesamten Präsidiums. Doch wieder ließ ihn der HSV (vorerst) nicht los – im August 2021 gelang ihm der zweite Wahlsieg mit seinen neuen Vizes Michael Papenfuß und Bernd Wehmeyer.

Hamburger Abendblatt: Herr Jansen, ganz ehrlich: Freuen Sie sich auf die Mitgliederversammlung?

Marcell Jansen: Ja, zu 100 Prozent! Und ich kann mir denken, worauf Ihre Frage abzielt.

Tagesordnungspunkt 19, Anträge: Abwahl des Vereinspräsidenten Marcell Jansen ...

Ich freue mich auf den inhaltlichen Austausch mit den Mitgliedern. Ich hatte schon bei der letzten Versammlung im Juni den Eindruck, dass wir in der inhaltlichen Diskussion und auch Auseinandersetzung viel besser geworden sind. Die Mitgliederversammlung ist unser höchstes Gut. Es geht auch darum, den e. V. zu würdigen mit seinen Sportarten. Dort haben wir große Fortschritte gemacht.

Dennoch steht Ihre Zukunft auf dem Spiel. Wie lautet Ihre Selbsteinschätzung: Waren und sind Sie ein guter Präsident?

Das können die Mitglieder viel besser bewerten als ich! Auf jeden Fall war und bin ich ein Präsident, der dankbar ist für die Chance, in diesen schwierigen Zeiten, die der HSV auf allen Ebenen hatte, mit vorneweg gehen zu dürfen. Jeder kennt meine Identifikation mit dem Verein. Ich bin sehr gerne und sehr leidenschaftlich Präsident für den HSV.

Und inhaltlich?

Inhaltlich sind einige Meilensteine erreicht worden. Wir konnten Wachstum im gesamten e. V., ob bei den Mitgliedern oder in den Sportarten, verzeichnen. Wir haben Corona gut überstanden. Erstmals verzeichnet auch die HSV Fußball AG ein positives Jahresergebnis, die Finanzierung der Modernisierungsmaßnahmen im Volksparkstadion auch im Hinblick auf die EM 2024 ist gesichert. Im Profibereich haben wir alle relevanten sportlichen Verträge verlängert. Mit dieser Kontinuität gehen wir in die sehr, sehr wichtige Rückrunde mit dem klaren Ziel Aufstieg. Ich habe richtig Bock auf das HSV-Jahr 2023 und bringe mich sehr gerne weiter für einen starken HSV ein.

Wenn Ihre Bilanz so positiv ausfällt: Was ist dann in Ihren Augen schiefgelaufen, dass zwei Anträge auf Ihre Abwahl vorliegen?

Die Motivation der Antragsteller kenne ich nicht. Auffällig ist aber, dass die verbreiteten Informationen sehr medienlastig sind. Was wir als Präsidium aber brauchen, ist Klarheit, ob wir unseren Weg weitergehen sollen als starker Verein.

Was meinen Sie mit medienlastig?

Ein Antrag orientiert sich sehr stark an externer Berichterstattung. Zuweilen entstehen leider zwei vermeintliche Wahrheiten: Was intern tatsächlich umgesetzt und gesagt wird – und was nach außen getragen wird, aus welchen politischen oder taktischen Gründen auch immer. Ein Antragsteller hat vorab gar nicht den Kontakt zum Präsidium gesucht.

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Till Hischemöller, ein Jurist, wirft Ihnen in seiner Begründung des Abwahlantrags ein Versagen als Aufsichtsvorsitzender vor. Wir würden Ihnen gerne die Möglichkeit geben, zu den Kritikpunkten Stellung zu beziehen.

Selbstkritisch sollten wir immer sein und Verantwortung übernehmen. Natürlich haben auch wir Fehler gemacht. Es gab unruhige Phasen und auch Fehlentscheidungen, die wir korrigieren mussten.

Jansen über Streit zwischen Kühne und Wüstefeld: „Hätte früher eingreifen müssen.“

Zum Beispiel?

Rückblickend hätte ich schneller in den Streit auf Gesellschafterebene zwischen Thomas Wüstefeld und Klaus-Michael Kühne eingreifen müssen, um die Eskalation zu vermeiden. Nur fällt auf: Es wird immer nur von meiner Person geredet. Es gibt drei Präsidiumsmitglieder, sieben Aufsichtsräte und fünf Beiratsvertreter. Wären wir untereinander so zerstritten gewesen, wie es medial dargestellt wurde, hätten wir wohl kaum so viele wichtige Entscheidungen treffen können.

Der Zwist von Wüstefeld mit Kühne ist ja nur ein Punkt von vielen. Unklar ist bis heute, ob Wüstefeld den Professoren- und Doktortitel zu Recht trägt. Oder haben Sie einen anderen Kenntnisstand?

Nein.

Müsste der Aufsichtsrat nicht jetzt noch im Sinne der Aufarbeitung ein Interesse daran haben, die offene Titelfrage aufzuklären?

Thomas Wüstefeld ist nicht mehr operativ beim HSV tätig, und wir sind damit nicht mehr das Kontrollorgan für ihn. Er hat letztlich die Konsequenz gezogen und ist zurückgetreten, um diese Themen nicht mehr innerhalb des HSV auszutragen. Für eine weitere Zuständigkeit des HSV gibt es keine rechtliche Grundlage.

Haben Sie rückblickend zu lange an Wüs­tefeld festgehalten?

Aktionismus entspricht nicht meinem Wesen. Ja, es war eine hektische Phase, die aber in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen stattgefunden hat, mit einem Ergebnis im Sinne des HSV.

In einem „Sport Bild“-Interview haben Sie Ihren Rücktritt angekündigt, sollte sich eine einfache Mehrheit der Mitgliedschaft gegen Sie aussprechen. 48 Prozent Gegenstimmen wären aber auch nicht viel besser.

HSV-Präsident Marcell Jansen: „Brauchen ein Votum der Mitglieder“

Um die weiteren sportlichen und besonders wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir ein Votum der Mitgliedschaft. Demokratische Prozesse haben Grundregeln, sonst wäre es schwer, eine Legitimation zu regeln. Ist diese mit meiner Person nicht gegeben, habe ich davor großen Respekt. Dann bin ich nicht der Richtige, und es ist besser, den Weg freizumachen. Stimmen aber 50 Prozent oder mehr gegen diese Abwahlanträge, so ist das ein Bekenntnis – und ich gehe als Präsident gemeinsam mit meinen Präsidiumskollegen und allen Mitgliedern die nächsten Aufgaben beim HSV professionell und leidenschaftlich an!

Sie sprechen von Geschlossenheit, von Einigkeit. Unabhängig von der Kritik der Antragsteller gab es etliche Indikatoren, dass eine Menge nicht rundgelaufen ist. Die Minderheitsaktionäre haben Ihnen – bis auf Thomas Wüstefeld – in einem Brief das Vertrauen entzogen, Klaus-Michael Kühne hat öffentlich Ihren Rücktritt gefordert. Mit dem Vorstand gab es, darüber haben nicht nur wir berichtet, große Differenzen, genauso innerhalb des Aufsichtsrats.

Ich bestreite nicht, dass es an der einen oder anderen Stelle Reibung gab, und es wäre fatal, wenn wir alles schönreden und uns der Kritik nicht stellen würden. Wer glaubt, dass in fünf Jahren Zweite Liga, zu Zeiten von Corona und einer Stadionsanierung, alles Friede, Freude, Eierkuchen sein muss, liegt falsch. Was für mich aber zählt: Am Ende haben wir zum Beispiel im Aufsichtsrat in allen Belangen einheitliche Entscheidungen getroffen. Wir müssen uns auf ein Miteinander besinnen, auf ein ergebnisorientiertes, gemeinschaftliches Ziel ausrichten.

HSV-Präsident Jansen bedauert fehlende Frau im Aufsichtsrat

Stichwort Reibung: Als Aufsichtsratsvorsitzender wollten Sie mit Hans-Walter Peters einen der Hauptkritiker des unglücklich agierenden ehemaligen Vorstands Thomas Wüstefeld loswerden, was Ihnen nicht gelungen ist. Bei Lena Schrum hatten Sie mehr Erfolg. Beide, Peters und Schrum, haben Sie aber selbst erst vor anderthalb Jahren als Aufsichtsräte nominiert. Wie kam Ihr Sinneswandel zustande?

Sie stellen Ihre Vermutungen als Tatsachen dar und lassen durchklingen, dass ein Präsident machen könnte, was er will. So ist es aber nicht. Wir entscheiden die Dinge im Präsidium, im Aufsichtsrat und mit dem Beirat gemeinsam. Wenn Sie jetzt von mir erwarten, dass ich einzelne Personen bewerte, die ehrenamtlich ihre Zeit opfern, muss ich Sie enttäuschen. Womit wir uns bei der künftigen Besetzung beschäftigt hatten, war die Fragestellung, welches die Schwerpunkte in den kommenden vier Jahren sein werden. Das Thema Fankultur ist für mich beispielsweise essenziell. Wir haben uns nicht gegen jemanden entschieden, sondern für andere.

Im neuen Aufsichtsrat gibt es keine Frau.

Was ich bedauere. Wir haben mit mehreren Kandidatinnen gesprochen, leider auch Absagen erhalten. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir das Thema sehr ernst nehmen und oben auf unserer Liste haben. Es ist wichtig, dass wir beim HSV im Verein und auch in den Gremien für Gleichberechtigung, Vielfalt und Offenheit stehen.

Der frühere Ultravorsänger Henrik Köncke soll im Hinblick auf das von Ihnen genannte Fanthema ins Gremium rücken. Was erhoffen Sie sich von Block-House-Geschäftsführer Stephan von Bülow?

Er ist ein sehr erfahrener Unternehmer mit einer starken Bindung zum HSV. Bei den komplexen Themen, die uns weiter beschäftigen werden, ist von Bülow ein erfahrener Mann, genau wie Köncke, beide mit Expertisen in verschiedenen für den HSV sehr wichtigen Bereichen. Der HSV ist und bleibt ein emotionaler Verein, wir dürfen aber auch nicht außer Acht lassen, dass wir diskutieren, wie wir uns kapitalseitig wirtschaftlich stabilisieren und unabhängig machen können. Dazu gehört auch das Thema Rechtsform, zu dem wir eine Arbeitsgruppe gebildet haben.

Ist denn dieses Thema nur inhaltlich und völlig losgelöst von Klaus-Michael Kühne zu diskutieren? Er hat ja dem HSV ein 120-Millionen-Euro-Angebot unterbreitet.

Ja, es muss einmal neutral und losgelöst von anderen Themen betrachtet werden. Herauszufinden, im inhaltsbezogenen Diskurs, welche Rechtsform zu uns am besten passt, und zwar unabhängig von möglichen Kapitalgebern, das ist der richtige Ansatz.

HSV-Präsident stellt klar: „Haben keine Anteile mehr, die wir verkaufen können“

Eine Option wäre eine „GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien“.

Unabhängig von Herrn Kühne müssen wir uns ganz offen der Lage stellen: Wir haben im Moment in der AG keine Anteile mehr, die wir abgeben können. Wir sollten uns nun Gedanken machen, wie wir die Zukunft gestalten wollen und welche Voraussetzungen wir als e. V. dafür schaffen wollen. Aber das ist ein Prozess, den wir mit der Mitgliedschaft gemeinsam gehen.

Eine Nachfrage zu Kühne: Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm derzeit? Er hat einerseits Ihren Rücktritt gefordert, andererseits aber bei der Stadionsanierung mit einem Darlehen geholfen.

Das Verhältnis sollte idealerweise immer professionell sein. Was die Rechtsform und eine mögliche weitere Beteiligung von Herrn Kühne betrifft, so müssen wir erst einmal im HSV unsere Hausaufgaben machen und mit den Mitgliedern besprechen, was wir überhaupt wollen. Dass sich Herr Kühne entschieden hat zu helfen, wie auch andere aus der Hamburger Wirtschaft, war ein starkes Zeichen.

Aber Sie saßen mit ihm noch nicht wieder an einem Tisch.

Ich bin der Letzte, der nachtragend oder beleidigt ist oder ausschließt, sich wieder gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Auch hier geht es nicht um Marcell Jansen, es geht immer um den HSV! Ganz allgemein formuliert, wünsche ich mir natürlich eine gewisse Kultur und Werte im HSV, Verhaltensregeln, die für alle gelten, auch für Gesellschafter. Sicher werden wir nicht alles richtig gemacht haben in unserer Beziehung zu Kühne, genau wie auch er nicht.

Sie meinen den Weg, mit seiner Offerte vorab an die Öffentlichkeit zu gehen ...

... bevor man sich an einen Tisch setzt und erst mal vertraulich spricht, richtig. Seine Ambitionen hat er aber in einem zweiten Interview genauer dargelegt. Wenn er als HSV-Fan dem Verein helfen möchte, ist das genauso ein starkes Zeichen.

Jansen: „Eitelkeit, unbedingt einen Posten ausüben zu wollen, hatte ich nie“

Bei den vielen Themen, die auch künftig anstehen: Wie wichtig ist es Ihnen, als Vertreter des Mehrheitsgesellschafters auch künftig den Vorsitz im Kontrollgremium zu haben?

Wie wir uns künftig aufstellen, hängt auch von den Schwerpunkten ab, mit denen sich Aufsichtsrat und Vorstand in der näheren Zukunft beschäftigen müssen. Es wird ein offenes Gespräch geben, welchen Vorteil es bringen könnte, als e.-V.-Präsident an der Spitze des Aufsichtsrats zu stehen oder eben nicht diese Doppelfunktion auszuüben. Die Eitelkeit, unbedingt einen Posten ausüben zu wollen, hatte ich nie.

Sollte das Thema Rechtsform und weitere Anteilsverkäufe aktuell werden, wird dann Ihr Aufsichtsratskollege Detlef Dinsel eine stärkere Rolle übernehmen?

Noch einmal: Wir befinden uns noch längst nicht in der Phase von möglichen Anteilsverkäufen, sondern in der Diskussion über die Grundstruktur.

Bei vielen Mitgliedern dürften Erinnerungen wach werden an 2014, als mit der Ausgliederung der Profiabteilung strategische Partner gefunden werden sollten. Hat ja nicht gerade gut geklappt, wie wir heute wissen. Deshalb noch mal die Frage nach Dinsel, der als Investor mit seinem Unternehmen gewinnorientiert handelt.

Die Mitglieder müssen immer wissen, was auf sie und den HSV zukommt. Die Mitglieder und Fans sind das Herz des HSV! Und wie gesagt: Es müssen auch nicht schon Investoren vor der Tür stehen, um eine Rechtsformänderung gemeinsam mit den Mitgliedern zu diskutieren. Das wäre für mich der falsche Weg.