Irvine/Kalifornien. In Los Angeles lernen die Hamburger, wie ein Investorenmodell funktionieren kann. Boldt holt Marketing-Manager.

Jonas Boldt und Eric Huwer harmonieren miteinander. Das konnten die Fans am Mittwochabend in der Arena des Orange County Soccer Clubs sehen. Die beiden Manager spielten bei einer Partie zwischen mitgereisten Anhängern und Mitarbeitern des HSV und einem Staff-Team des US-Zweitligisten zusammen im zentralen Mittelfeld. Huwer erzielte zwei Tore und wurde zum Man of the Match gewählt. Boldt traf immerhin aus Abseitsposition und leitete einige Angriffe ein.

Auch auf der Geschäftsstelle des HSV arbeiten der Sportvorstand und der Finanzchef eng zusammen. Um die aktuellen Themen rund um die Finanzierung für die Stadionsanierung auch im Rahmen der USA-Reise zu besprechen, hat Huwer seinen Kollegen nach Los Angeles begleitet. Gleichzeitig suchen sie in Kalifornien nach neuen Ideen und Strategien für die Entwicklung des HSV.

Boldt trifft sich auf USA-Reise des HSV mit Verantwortlichen von MLS-Club

Am Dienstagmorgen trafen sich Boldt und Huwer mit den Managern Jovan Kirovski und Gordon Kljestan von Major-League-Soccer-Club LA Galaxy. Am Abend fand im Rahmen des Testspiels des HSV beim US-Zweitligisten Orange County ein Austausch mit Steven Cherundolo statt. Der frühere Abwehrspieler von Hannover 96 ist seit Anfang des Jahres Trainer bei LAFC, dem zweiten Erstligisten aus Los Angeles. Mit dem Club, der 2014 quasi am Reißbrett gegründet wurde und erst seit 2018 am Spielbetrieb der MLS teilnimmt, wurde Cherundolo in seiner ersten Saison überraschend Meister.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, von der sich auch der HSV etwas abgucken kann, wenn er in den kommenden Monaten seine Strukturveränderung plant. Im Dezember will der Verein die Mitglieder über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe KGaA informieren. Es geht darum, wie der Club in Zukunft weiteres Kapital durch neue Investoren generieren kann. Ein Vorhaben, das durch die eigenen Satzung, aber auch die 50+1-Regel im deutschen Fußball begrenzt ist. In der MLS gibt es ein ganz anderes System. Dort sind die Clubs als Franchise organisiert, das heißt sie sind das Eigentum eines Unternehmens oder Investors. Also ähnlich, wie in Deutschland bereits der VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und RB Leipzig konstruiert sind.

Wie kompliziert dagegen die Traditionsclubs strukturiert sind, hat Cherundolo bei Hannover 96 erlebt. Aber auch der HSV ist ein Beispiel für einen Club, der durch seine Gremienvielzahl schwieriger zu führen ist. „Der Unterschied zu den deutschen Clubs ist die 50+1-Regel. Da gibt es einen längeren Weg, Dinge zu entscheiden. Hier ist es kürzer und schneller“, sagte Cherundolo im Abendblatt-Gespräch. Anders als in Deutschland werden die Clubs in der Regel nur von einem großen Investor geführt.

Das kann Vorteile haben – wenn man es richtig macht. „Wenn man wie bei LAFC die richtigen Eigentümer hat, die aus einem wichtigen Grund investieren, den Fußball verbessern und etwas Gutes für die Stadt tun, finde ich die Strukturen besser“, sagt Cherundolo. Wichtig sei, einen Eigentümer zu finden, der einen regionalen Bezug hat. „Unser Eigentümer kommt aus der Stadt und das läuft hervorragend.“

Von diesen Strukturen ist der HSV weit entfernt. Dass sich der Fußball in dieser Hinsicht in den kommenden Jahren auch in Deutschland verändern wird, ist aber allen bewusst. Die Umwandlung der AG in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) soll der nächste Schritt sein.

HSV nimmt neuen Marketing-Manager unter Vertrag

Doch auch ohne die neue Rechtsform ist Boldt bereits dabei, die Strukturen auf der Geschäftsstelle zu verändern. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Boldt eine wichtige Veränderung auf der Führungsebene des Clubs vornimmt. Der aktuelle Alleinvorstand hat einen neuen Verantwortlichen für die Themen Marketing und Vertrieb verpflichtet. Zum 1. Dezember wechselt Moritz Beckers-Schwarz zum HSV. Der 41-Jährige arbeitete zuletzt als Geschäftsführer für die FIS Nordische Ski WM 2021. Zuvor war Beckers-Schwarz lange beim Bundesligisten FC Schalke 04 tätig. In dieser Zeit lernte er auch Boldt, damals bei Bayer Leverkusen, kennen.

Auf Schalke arbeitete der Marketing-Experte zwischen 2007 und 2018 unter anderem als CEO der Arena Management GmbH und als stellvertretender Geschäftsführer. Beim HSV soll Beckers-Schwarz als Schnittstelle zwischen Boldt und der zweiten Führungsebene fungieren. Dazu gehören aktuell Eric Huwer (Finanzen), Cornelius Göbel (Fankultur), Philipp Winter (Recht), Marleen Groß (Marke), Christian Pletz (Medien), Marieke Patyna (Nachhaltigkeit), Sascha Steinbrück (Merchandising), Christian Lenz (Projektmanagement), Daniel Nolte (Organisation) und Jan Haugk (Events). Als Alleinvorstand schafft es Boldt aber nicht, sich um alle Units zu kümmern. Beckers-Schwarz soll ihm dabei helfen.

Der neue Mann auf der Geschäftsstelle bekommt zunächst einen Vertrag bis zum Ende der Saison – so lange läuft auch der Vertrag von Boldt. Der Aufsichtsrat wurde bereits informiert, auch die Mitarbeiter wissen bescheid. Zudem hat Boldt für den bisherigen Unitleader Cornelius Göbel eine neue Stabstelle geschaffen. Der langjährige Direktor für Fankultur soll künftig als sogenannter Chief of Staff noch enger an Boldt arbeiten und Themen wie Unternehmenskultur und Identität vereinen.

US-Sport-System nicht mit deutschem Profifußball zu vergleichen

Boldts Entscheidungen sind auch als Botschaft an den Aufsichtsrat zu deuten. Der Sportvorstand ist unzufrieden mit der Geschwindigkeit des Gremiums bei der Umsetzung von Entscheidungen. Seit Wochen wartet Boldt auf ein Signal der Räte, ob er die Vertragsverlängerung mit Trainer Tim Walter umsetzen kann. Zwar soll in diese Angelegenheit Bewegung kommen, doch dieser Prozess ist nur ein Beispiel von vielen, wie langsam es beim HSV durch seine Struktur zugeht. Boldt hat auch immer noch nicht zur Hauptversammlung der Aktionäre eingeladen, weil sich das Präsidium nach wie vor nicht über die neuen Aufsichtsräte geeinigt hat.

In den USA ist das deutlich anders, wie auch LAFC-Coach Steven Cherundolo bestätigte. Aber eben auch das gesamte System. Es gibt durch den Salary Cap eine Gehaltsobergrenze, zudem können die Clubs sich junge Spieler über das Draft-System aussuchen, anstatt sie auf dem Transfermarkt zu kaufen.

HSV will Balance zwischen Kommerz und Tradition finden

Es gibt Playoffs, keine Absteiger, und die Liga kann beliebig oft neue Teams aufnehmen. Ein modernes System, das mit dem deutschen Fußball kaum zu vergleichen ist. „Der größte Unterschied ist die Tradition. Da haben die europäischen Clubs einen Vorsprung“, sagt Cherundolo. „Die Qualität des Entertainments ist vergleichbar. Gerade bei uns ist die Stimmung wie in Europa.“ Aber es kommen eben auch keine 55.000 Fans zu einem Zweitligaspiel wie zuletzt beim HSV gegen Sandhausen. Für die Hamburger wird es künftig darum gehen, Identität und Fankultur zu schützen und zu stärken und gleichzeitig das Unternehmen zeitgemäß zu entwickeln.

Zumindest das Zusammenspiel von Boldt und Huwer soll nicht nur auf dem Spielfeld dafür sorgen, dass die Entscheidungen und Prozesse des Clubs schneller laufen. Dafür ist Huwer auf der Geschäftsstelle schon in das Vorstandsbüro des im September zurückgetretenen Thomas Wüstefeld gezogen. Dieser hatte die Abteilungen innerhalb des Clubs im Sommergerade erst neu sortiert, nun erfolgt schon die nächste Strukturanpassung.

Für personelle Veränderungen hat der HSV aber immer schon Zeit gefunden.