Hamburg. Nach dem erneuten Millionenminus diskutiert der Club im Hintergrund über das KGaA-Modell. Es birgt Vorteile, aber auch Gefahren.

Es war im November 1999, als 1300 Fans auf einer Mitgliederversammlung von Borussia Dortmund für eine neue Vereinsstruktur stimmten. Die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA war geboren. Frank Wettstein kennt diese Rechtsform des BVB nur zu gut. Als Berater unterstützte er Dortmund 2004 gemeinsam mit dem heutigen Finanzgeschäftsführer Thomas Treß, als der Club durch eine Umstrukturierung der Verbindlichkeiten die Insolvenz vermied.

21 Jahre nach der Rechtsformumwandlung ist das KGaA-Modell, mit dem der BVB zu einem der Topclubs Europas aufstieg, in der Bundesliga zu einer gängigen Clubstruktur geworden. Werder Bremen ist in einer KGaA organisiert, ebenso der 1. FC Köln und Hertha BSC. Geht es nach Wettstein, seit sechs Jahren Finanzvorstand bei der HSV Fußball AG, sollten auch die Hamburger eine erneute Strukturreform vorantreiben.

Zwar lässt sich aus seiner am Freitag veröffentlichten Bilanz des Geschäftsjahres 2019/20 (6,7 Millionen Euro Minus) nicht ableiten, dass der HSV auf eine Insolvenz zusteuert. Doch in der anhaltenden Corona-Krise mit weiterhin fehlenden Zuschauereinnahmen kündigt Wettstein erneut erhebliche Umsatzverluste für das laufende Geschäftsjahr an.

HSV-Jahresabschluss 2019/2020 – die Kennzahlen

Jahresfehlbetrag

6,6 Millionen Euro(Vorjahr: 8,0 Millionen Euro).

Umsatzerlös

95,7 Millionen Euro(Vorjahr: 126,0 Millionen Euro)

EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen)

13,8 Millionen Euro(Vorjahr: 31,5 Millionen Euro)

Eigenkapital/Quote (Verhältnis zur Bilanzsumme)

34,4 Millionen Euro/25,1 Prozent(Vorjahr: 41,1 Millionen Euro/24,7 Prozent)

Netto-Finanzschulden

45,0 Millionen Euro(Vorjahr: 54,9 Millionen Euro)

Erwartete Umsatzentwicklung fürs laufende Jahr

Minus 35 Prozent(Vorjahr: minus 20 Prozent)

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HSV-Finanzchef Wettstein wirbt für KGaA

Seit Wochen laufen daher im Hintergrund Überlegungen, wie der Club perspektivisch an neues Kapital kommen kann. In der aktuellen AG-Struktur steht die Begrenzung auf 24,9 Prozent einem Verkauf weiterer Anteile entgegen. Es überrascht daher nicht, dass der Finanzchef des HSV nun erstmals öffentlich für eine Umwandlung wirbt. „Grundsätzlich ist die KGaA die auf den Profifußball zugeschnittene Rechtsform“, sagt Wettstein auf Nachfrage des Abendblatts.

Die Vorteile einer KGaA gegenüber der AG sind offensichtlich. Die Clubs haben die Möglichkeit, mehr als die von der DFL festgeschriebenen 50+1-Anteile zu verkaufen, ohne dabei die Kontrolle über den Verein zu verlieren.

Wird der BVB zum Vorbild für den HSV?

Bestes Beispiel ist der BVB. So besitzt der Stammverein nur noch 5,5 Prozent der Anteile an der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA, 60 Prozent sind im Streubesitz, 9,8 Prozent hat Sponsor Evonik übernommen, 5,4 Prozent Stadionnamensgeber Signal Iduna, fünf Prozent Ausrüster Puma. Insgesamt sind 100 Prozent der Kapitalrechte verkauft, 100 Prozent der Stimmrechte liegen jedoch weiterhin beim BVB um Vereinspräsident Reinhard Rauball.

Rein zeitlich gesehen wäre eine Rechtsformänderung schnell erledigt, wie HSV-Vorstand Wettstein bestätigt: „Die strukturelle Umsetzung ist nicht kompliziert.“ Deutlich komplizierter dürfte es sein, die Mitglieder von dieser Umsetzung zu überzeugen. Zur Erinnerung: Im Mai 2014 hatten 9242 HSV-Fans in einer legendären Mitgliederversammlung im Volksparkstadion für die Ausgliederung der Profifußballabteilung in die HSV Fußball AG gestimmt. Aufstellen für Europa lautete der Slogan. Strategische Partner sollten den Club zurück in die Spitzengruppe des deutschen Fußballs führen.

Stattdessen stieg der HSV ab, die Insolvenz wurde knapp vermieden und der Club in eine Abhängigkeit von Investor Klaus-Michael Kühne geführt. Entsprechend misstrauisch dürften die Mitglieder reagieren, sollte eine Rechtsformänderung womöglich schon auf der nächsten Mitgliederversammlung zur Abstimmung gestellt werden.

Verantwortlich dafür wäre das Präsidium des HSV e. V. um Vereinspräsident Marcell Jansen. Der hatte vor einem Jahr erstmals über die Gedankenspiele einer Rechtsformänderung gesprochen. Ob das Thema schon auf der nächsten Mitgliederversammlung eingebracht wird, lässt er auf Nachfrage offen. Zumal noch nicht klar ist, wann eine Mitgliederversammlung überhaupt wieder möglich sein wird.

„Wir werden die Entwicklung der Corona-Pandemie in den kommenden Wochen abwarten und dann Anfang des nächsten Jahres einen klaren Fahrplan aufbereiten und strukturieren“, sagt Jansen dem Abendblatt. „Klar ist, dass wir sehr früh vor einer Mitgliederversammlung auf die Mitglieder zukommen würden und transparent in die Kommunikation gehen. Am Ende wird es immer eine Mitgliederentscheidung sein.“

Würde eine KGaA Kühne die Tür öffnen?

In einem KGaA-Modell müssten die Mitglieder nicht befürchten, dass der Verein die Stimmmehrheit verliert. Trotzdem könnte auch in dieser Rechtsform, anders als beim Positivbeispiel Borussia Dortmund, ein Investor das operative Geschäft dominieren. So wie aktuell zu beobachten bei Hertha BSC mit seinem neuen Anteilseigner Lars Windhorst, der nun 66,6 Prozent der KGaA hält und Hertha dafür rund 350 Millionen Euro Kapital zur Verfügung stellte.

Beim HSV stellt sich ohnehin die Frage, ob der Club nach einer Umwandlung überhaupt potenzielle Investoren finden würde und ob ein Verkauf zu einem Zeitpunkt Sinn ergibt, an dem die Mannschaft in der Zweiten Liga spielt. 2014 hatte der HSV seine AG-Anteile schon einmal unter Wert an Investor Klaus-Michael Kühne verkauft.

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HSV als KGaA? Das sagt ein Experte

Dem 83-Jährigen könnte durch eine Rechtsformänderung erneut die Tür geöffnet werden. So sieht es auch Marcus Silbe, Chef des Analysehauses FMR Frankfurt Main Research. Der Finanzexperte beobachtet seit Jahren die BVB-Aktie und hält das KGaA-Modell für „strukturell gut umsetzbar, transparent und hilfreich bei der Suche nach Investoren“.

Er sagt aber auch: „Die Fans dürfen nicht den Eindruck gewinnen, dass nur ein Modell gesucht wird, bei dem Herr Kühne wieder zuschlagen kann. Für den HSV wäre es wichtig, Investoren zu finden, die nicht versuchen, bei operativen Entscheidungen mitzumischen.“ Grundsätzlich hält Silbe die BVB-Rechtsform aber auch für den HSV als passendes Modell: „Es gäbe dem HSV die Möglichkeit, finanziell wieder stärkere Kraft zu entwickeln.“

Bis zu diesen Fragen ist es noch ein weiter Weg. Die Zeichen, dass der HSV ihn gehen will, sind aber unüberhörbar.

Angaben in Euro Mio.2012/132013/142014/152015/162016/172017/182018/192019/20
Umsatzerlöse116,7121,1128,1123,0122,1133,6126,095,7
Jahresergebnis–8,4–9,8–16,9–0,2–13,4–5,8–8,0–6,7
Verbindlichkeiten99,690,789,175,1105,585,591,374,2