Hamburg. Das Stadtduell geht klar an den FC St. Pauli. HSV-Profis stellen sich danach den enttäuschten Fans. Die Stimmen zum Spiel.

Es lief die 74. Minute, als es im Millerntor-Stadion keinen St. Paulianer mehr auf den Sitzen hielt. Marcel Hartel hatte soeben im 108. Stadtderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV das 2:0 erzielt. Spätestens jetzt glaubte im Stadion auch der letzte Anhänger des Kiezclubs an den Sieg und an die sportliche Wende.

„Ich glaube daran, dass wir mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen, mit dem Willen und mit den Fans zusammen wieder in die Erfolgsspur kommen“, hatte Hartel vor dem Spiel im Abendblatt-Interview gesagt.

3:0 gegen HSV: Drei Derbyhelden für St. Pauli

Und der Mittelfeldmann sollte recht behalten. Nach sieben sieglosen Spielen schaffte St. Pauli mit einem klaren 3:0 (0:0) ausgerechnet im Duell gegen den Lokalrivalen den Turnaround.

Neben Hartel wurden Eric Smith und David Otto mit ihren Toren zu den Derbyhelden des Abends. Der HSV dagegen verliert nach sechs ungeschlagenen Spielen (fünf Siege) in Folge erstmals wieder ein Ligaspiel.

Auch David Otto durfte mal: St. Paulis Stürmer erzielte gegen den HSV sein erstes Saisontor.
Auch David Otto durfte mal: St. Paulis Stürmer erzielte gegen den HSV sein erstes Saisontor. © Witters

HSV wohl zwei Spiele ohne Kapitän Schonlau

Für St. Pauli war es zudem am Millerntor der vierte Sieg in Serie gegen den Rivalen aus dem Volkspark, der die Tabellenführung der Zweiten Liga an diesem Wochenende wieder an Darmstadt 98 verlieren könnte.

Was Trainer Tim Walter aber noch mehr schmerzen wird: Er verlor zudem seinen Kapitän Sebastian Schonlau, der in der ersten Halbzeit mit einer Roten Karte vom Platz flog und voraussichtlich zwei Spiele gesperrt werden dürfte. „Das ist meine Verantwortung“, sagte der schwer enttäuschte Abwehrchef danach.

HSV-Profis stellen sich frustrierten Fans

Niedergeschlagen war auch Jonas Meffert. „Ich bin brutal enttäuscht. Es ist schwer, in Worte zu fassen", sagte der 28-Jährige, der sich nach dem Spiel wie der Rest des Teams dem frustrierten HSV-Anhang stellte.

„Die Fans waren völlig zu Recht sauer auf uns. Es ist klar, dass sie heute sehr, sehr enttäuscht von uns sind“, sagte Meffert bei „Sky“. Dennoch wollte der Mittelfeldmann auch etwas Positives aus der Niederlage auf dem Kiez ziehen: „Vielleicht ist es auch gut, weil jeder sieht, dass nichts von alleine geht.“

Nach dem Spiel begaben sich die HSV-Profis geschlossen zum Gästeblock.
Nach dem Spiel begaben sich die HSV-Profis geschlossen zum Gästeblock. © Imago/Nordphoto

HSV: Walter macht eine Ansage an St. Pauli

Bei allem Frust wollte auch Torhüter Daniel Heuer Fernandes seinen Blick schnell wieder nach vorne richten. „Die Enttäuschung ist natürlich nach einer Derbyniederlage noch größer“, sagte Heuer Fernandes, „aber wir haben keine Zeit, lange enttäuscht zu sein.“ Schon am Dienstag (18 Uhr) geht es im DFB-Pokal bei Titelverteidiger RB Leipzig weiter.

„Wir haben die Chance, die Niederlage schnell abzuschütteln, sagte Chefcoach Walter, der sein Selbstbewusstsein auch nach dem 0:3 nicht verloren hatte. „Ein Mal sehen wir uns noch im Rückspiel“, sagte Walter nach der Pressekonferenz zu seinem Kollegen Timo Schultz, den er in der kommenden Saison nicht erneut treffen will.

FC St. Pauli – HSV 3:0 (0:0)

FC St. Pauli

Vasilj - Saliakas (80. Zander), Dzwigala, Medic, Paqarada (86. Ritzka) -  Smith, Aremu (86. Metcalfe) - Irvine, Hartel - Amenyido (71. Daschner), Matanovic (80. Otto). - Trainer: Schultz

HSV

Heuer Fernandes - Heyer (88. Bilbija), Vuskovic, Schonlau, Muheim - Meffert - Benes (65. Dompé), Reis - Jatta, Glatzel, Königsdörffer (75. Kittel). - Trainer: Walter

Schiedsrichter

Deniz Aytekin (Oberasbach)

Zuschauer

29.000 (ausverkauft)

Tore

1:0 Smith (61.), 2:0 Hartel (75.), 3:0 Otto (89.)

Gelbe Karten

Medic, Vasilj, Saliakas - Heuer Fernandes

Rote Karte

 - Schonlau (28.)

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FC St. Pauli: Irvine hofft auf „Kickstart“

Bis zum Rückspiel darf sich nun aber wieder der FC St. Pauli amtierender Stadtmeister nennen. „Ich hoffe, dass der Derbysieg jetzt ein Kickstart für uns sein wird“, sagte Kapitän Jackson Irvine, der erst am Donnerstag seinen Vertrag beim Kiezclub langfristig verlängert hatte.

„Es ist ein Traum, ein Derby vor 30.000 Fans zu spielen. Wir müssen einen Weg finden, dieses Level auch in den anderen Spielen zu erreichen. Wenn wir das schaffen, sind wir ein Topteam“, sagte der Australier. Neben Irvine konnte auch sein zuletzt verletzter Kapitänskollege Leart Paqarada wieder spielen.

HSV startet überraschend mit Königsdörffer

Beim HSV begann überraschend Ransford Königsdörffer. Damit durfte der Matchwinner des Hannover-Spiels (2:1) erstmals seit seiner Roten Karte gegen Darmstadt (1:2) wieder von Beginn an stürmen. Sonny Kittel musste dafür zunächst draußen bleiben.

Und auch Jean-Luc Dompé saß zunächst auf der Bank. Zudem kehrte Heuer Fernandes nach seinem Magen-Darm-Infekt zurück ins HSV-Tor.

St. Pauli hat die erste Chance im Pyro-Nebel

Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie waren auch die Ultragruppen wieder im mit 29.205 Zuschauern ausverkauften Millerntor-Stadion dabei. Und das war nicht zu übersehen. Immer wieder brannten in beiden Fanblöcken der aktiven Fanszene Feuerwerkskörper.

Und im Pyro-Nebel holte St. Pauli schon nach zwölf Sekunden die erste Ecke heraus. Nach gerade einmal 50 Sekunden wiederum köpfte dann Irvine den von Hartel getretenen Standard knapp über das HSV-Tor.

Da dürfte etwas zukommen auf die HSV-Kasse: Im Gästeblock brannte es auch während dieses Stadtderby lichterloh.
Da dürfte etwas zukommen auf die HSV-Kasse: Im Gästeblock brannte es auch während dieses Stadtderby lichterloh. © Imago/Claus Bergmann

St. Pauli gegen HSV: Kein Unterschied zu sehen

Platz eins gegen Platz 14 – so weit lagen die zwei Hamburger Zweitligisten vor einem Stadtderby in den bisherigen acht Duellen seit 2018 noch nicht auseinander. Im Spiel war von diesem Unterschied aber nichts zu sehen. Im Gegenteil.

St. Pauli versuchte den HSV durch frühes Pressing unter Druck zu setzen. Die erste Großchance hatten dann auch die Gastgeber. Nach einem schönen Spielzug über Irvine und Manolis Saliakis zielte Etienne Amenyido freistehend aus elf Metern zu zentral (15.). Heuer Fernandes parierte.

HSV-Sünder Schonlau gibt sich reumütig

Die Schlüsselszene des Spiels ereignete sich dann nach 28 Minuten. Einen eigentlich harmlosen Abschlag von Nikola Vasilj unterschätzte die HSV-Abwehr, insbesondere Mario Vuskovic, kolossal. Auch Schonlau rückte zu weit auf und brachte Amenyido mit einem kleinen Schubser zu Fall.

Schiedsrichter Deniz Ayktekin hatte keine andere Wahl, stellte wie schon im Derby am Millerntor im März 2021 (1:0 für St. Pauli) den HSV-Kapitän vom Platz – damals war es Tim Leibold. „Den Platzverweis kann man geben“, sagte Schonlau nach der Partie. „Ich muss da wegbleiben. Meine Verantwortung. Das war die Schlüsselszene.“

Walter musste reagieren und stellte auf eine Dreierkette um, in der sich Bakery Jatta in der Rückwärtsbewegung in eine Viererkette zurückfallen ließ.

St. Pauli setzt Expertentipp in die Tat um

Trotz Unterzahl machte der HSV weiter das Spiel und hatte zur Halbzeit 60 Prozent Ballbesitz. Die beste Möglichkeit zur Führung vergab dann aber kurz vor der Pause wieder der FC St. Pauli. Igor Matanovic kam seinem ersten Saisontor so nah wie noch nie. Eine scharfe Hereingabe Paqaradas beförderte der 19-Jährige mit dem Außenrist akrobatisch an den rechten Innenpfosten. Auch diese Szene überstand der HSV ohne Folgen. „Wir wollten weiter Fußball spielen. Das ist einfach unsere DNA“, sagte Mittelfeldmotor Meffert.

„Es ist ein Trugschluss, dass es durch die Rote Karte einfacher wird für St. Pauli“, sagte Sky-Experte Torsten Mattuschka in der Halbzeit. „Sie müssen den Ball laufen lassen und in die Breite spielen, damit der HSV weite Wege hat und irgendwann müde wird. Und dann vielleicht irgendwie in Führung gehen.“

HSV: Enttäuschung nach der Derbyniederlage

Und genau das geschah. Es sollte aber bis zur 61. Minute dauern, ehe Eric Smith das Millerntor zum Tollhaus machte. Der 1,92 Meter lange Schwede überragte bei St. Paulis sechster Ecke durch Hartel alle. Auch Miro Muheim konnte Smith am Ende nicht daran hindern, das 1:0 zu köpfen. Damit war der Bann gebrochen.

Hartel nach Assist von Irvine (74.) und der eingewechselte David Otto nach Vorlage des ebenfalls eingewechselten Lars Ritzka (89.) machten St. Paulis Party perfekt. „Derbysieger, Derbysieger, hey, hey“, schallte es von den Rängen der Braun-Weißen. Am Mittwoch im Pokal beim SC Freiburg (18 Uhr) soll die Party weitergehen.