Hamburg. Dr. Wüstefeld? Prof. Wüstefeld? Oder nur Herr Wüstefeld? Diese und andere Fragen bleiben beim HSV-Finanzvorstand rätselhaft.
Es gibt Redebedarf, als sich am Donnerstag etwa 70 HSV-Angestellte im Presseraum des Hamburger Volksparkstadions drängeln. Bei der Mitarbeiterversammlung des Zweitligavereins sind Fragen erwünscht. Es redet laut Teilnehmern aber fast nur einer: Thomas Wüstefeld.
Der HSV-Vorstand spricht über Pläne, Finanzen, die Stadionsanierung – und über die Frage, wie das interne 200-Millionen-Euro-Projekt mit einer „Plaza“ und einem Wolkenkratzer im Volkspark ins Abendblatt gelangen konnte.
Er warnt vor Indiskretionen. „Damit schaden Sie sich selbst!“, sagt Wüstefeld – und wird richtig energisch: Der HSV gleiche bei vertraulichen Informationen immer mehr einem Schweizer Käse.
HSV: Zweifel an Thomas Wüstefeld nehmen zu
Noch größer sind allerdings die Löcher, wenn es um – noch nicht einmal vertrauliche – Informationen rund um die Person Wüstefeld geht. Wie er als Geschäftsmann an sein offenbar beträchtliches Vermögen kam, was er überhaupt trieb, bevor er unter anderem mit Nahrungsergänzungsmitteln sowie der Entwicklung und dem Vertrieb von Corona-Tests in die Öffentlichkeit kam: alles so unbekannt wie der Inhalt von Schweizer Bankschließfächern.
Die Zweifel an seiner Person nehmen im Volkspark wie außerhalb immer weiter zu. Sie reichen so weit, dass sogar hinterfragt wird, wie exzellent die akademische Laufbahn von Thomas Wüstefeld wirklich war, der offiziell den Titel „Prof. Dr.“ trägt.
Thomas Wüstefeld: Woher kommen Professorentitel und Doktorgrad?
Bereits am Dienstag dieser Woche stellte das Abendblatt dem HSV-Vorstand einige Fragen bei einem Gespräch in einer Loge auf der Osttribüne des Volksparkstadions. Wo, wann und zu welchem Thema hat er promoviert, woher stammt der Professorentitel? Keine komplizierten Fragen, aber auch keine, auf die Wüstefeld eine klare Antwort geben konnte – oder auch wollte.
Stattdessen gab er den Abendblatt-Redakteuren einige thematische Stichworte aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaft. Anhand derer werde man schon etwas finden. Der Professorentitel, fügte Wüstefeld noch gelassen hinzu, sei gar kein akademischer Grad. Er habe ihn nach einem Lehrauftrag bekommen, bilde sich nichts darauf ein. Und: Er benutze den Professorentitel nicht, betonte Wüstefeld auch auf mehrfache Nachfrage.
Keine Spur von Promotion oder Lehrtätigkeit von Wüstefeld in Datenbanken
Das ist aber keinesfalls die ganze Wahrheit. Nach Abendblatt-Recherchen lässt sich Wüstefeld auf Webseiten ganz öffentlich „Prof. Dr.“ nennen. Er wandte und wendet den Titel auch regelmäßig bei Firmengründungen an – und unterschreibt damit Jahresabschlüsse, also Bilanzen seiner Firmen und andere offizielle Dokumente. Und es kursieren bei ihm weitere Titelkombinationen, unter anderem mit einem „PhD“ aus dem englischsprachigen Raum und einem Ingenieurdiplom, das Wüstefeld nach eigenen Angaben ebenfalls erwarb. Wo und wann, das ist unbekannt.
Wie passt das alles zusammen? Nach dem Gespräch am Dienstag schickte das Abendblatt am Donnerstag einen schriftlichen Fragenkatalog an Wüstefeld mit der Bitte, die Stationen seiner akademischen Laufbahn bis Freitagnachmittag zu nennen und Stellung zu den Widersprüchen zu nehmen.
Diese Frist ließ Wüstefeld verstreichen. Wer sich selbst auf die Suche nach Antworten auf die Fragen zur akademischen Karriere des HSV-Vorstandes macht, findet erst wenig an Hinweisen, und dann einige Seltsamkeiten.
Bei "Missbrauch von Titeln" droht Geldstrafe oder Gefängnis
Es gibt in Deutschland kein Register, in dem alle verliehenen Doktor- oder Professorenwürden verzeichnet sind. Aber in der Regel hinterlässt eine längere akademische Karriere zumindest auch digitale Spuren, bestätigt eine leitende Mitarbeiterin der Universität Hamburg. Gerade Promotionsarbeiten werden normalerweise als Buch oder Uni-Schrift publiziert oder setzen vorherige wissenschaftliche Veröffentlichungen voraus.
Lehrtätigkeiten als Professor sind oft noch anhand von Seminarplänen oder ähnlichen Dokumenten nachzuvollziehen. Es gibt klare Gesetze, wer einen Titel führen darf und was passiert, wenn man sie zu lange oder zu Unrecht benutzt. Eine Geldstrafe oder sogar bis zu einem Jahr Gefängnis für den „Missbrauch von Titeln“ droht, heißt es in Paragraf 132a im Strafgesetzbuch.
Thomas Wüstefeld: Keine Hinweise auf Betrug
Bei Thomas Wüstefeld gibt es keine Hinweise auf Betrug. Aber auch keinerlei klaren Spuren der akademischen Qualifikation. Das Abendblatt suchte im Online-Verzeichnis der Deutschen Nationalbibliothek und im Karlsruher Virtuellen Katalog, in akademischen Datenbanken, auf die Wissenschaftler Zugriff haben, bei Fachgesellschaften und in internationalen Verzeichnissen nach der Promotionsarbeit Wüstefelds.
Auffindbar ist nur die Dissertation eines Namensvetters des HSV-Chefs aus Hannover. Bei der Suche nach Professorenwürde und Lehrtätigkeit des Hamburgers Thomas Wüstefeld: vollständige Leeranzeige.
Thomas Wüstefeld und die "Balanced Scorecards"
Darauf angesprochen, sagte Wüstefeld am Dienstag dem Abendblatt, die Titel stammten aus Deutschland und er habe sie seit längerer Zeit. Genauer wird er nicht. Mit seinen 53 Jahren gehöre er noch zu einer Generation, in der wohl nicht jeder Schritt auf dem Lebensweg auch digitale Spuren hinterließ. Eindeutig gibt er an, im Bereich Wirtschaftswissenschaften promoviert zu haben. Bei dem Lehrauftrag, der ihm den Professor eingebracht habe, sei es um „Balanced Scorecards“ gegangen, ein Kennzahlensystem aus der Managementlehre. Er nennt auch Unternehmen und weitere Themen, in denen er Expertise habe.
Zu einem Beleg, insbesondere für den Professorentitel, führt das aber nicht. Auffindbar ist etwa anhand eines Firmennamens, dass Thomas Wüstefeld als Unternehmer auch im Bereich der Informatik erfolgreich war. Folgt man den wirtschaftlichen Spuren, wird klar, wie atemberaubend unterschiedlich sich Wüstefeld schon betätigt hat: Mit Laborausrüstung, Medizinartikeln, aber auch mit IT-Dienstleistungen und sogar Cannabisprodukten trieb er Geschäfte, zuweilen sehr erfolgreich und ausgezeichnet.
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Wüstefelds Titel beim HSV nicht vom Aufsichtsrat geprüft
Anders als Wüstefeld behauptet, hat er in diesem Kontext keine Scheu, seinem Namen und dem Doktorgrad noch den rätselhaften „Prof.“ voranzustellen. Unter der im Bundesanzeiger offiziell veröffentlichten Bilanz der Firma WHome, die er gemeinsam mit seiner Frau betreibt, steht als Unterschrift Prof. Dr. Thomas Wüstefeld.
Das Dokument stammt aus dem Jahr 2021. Ein Handelsregisterauszug zu den Gesellschaftern seiner „Hauptfirma“ Medsan vom Amtsgericht Hamburg aus dem Jahr 2019 zeigt genau einen Gesellschafter: die groupW3 GmbH. Nach vertraulichen Dokumenten, die das Abendblatt einsehen konnte, führte er den Professortitel schon bei der Gründung der Firma. Zuletzt unterschrieb er laut Bundesanzeiger den Jahresabschluss 2020 der Medsan auf einem Feld mit dem Titel Prof. Dr.
Beim HSV führt Thomas Wüstefeld offiziell „nur“ den Doktor. Ob es sich da bei wirklich um den deutschen Doktorgrad handelt, ist unklar. Auch ein „PhD“-Titel spukt in unterschiedlicher Konstellation über die Websites im Firmengeflecht von Wüstefeld: Mal trägt er ihn nach Doktor und Namen, mal in Klammern, mal gar nicht. Auch das wollte oder kann Wüstefeld nicht aufklären. Dass er „auch in den USA“ gewesen sei und damit wohl einen akademischen Kontext meint, ist die konkreteste seiner Angaben.
HSV: Titel wurde bei Amtsantritt nicht geprüft
Nach Abendblatt-Informationen wurden die Titel des HSV-Vorstands bei seinem Amtsantritt im Volkspark nicht vom Aufsichtsrat oder von anderen Gremien im Club geprüft. Nicht nur bei krassem Betrug und Hochstapelei, sondern auch bei Regelverstößen kennen die Behörden wenig Spielraum. Es ist klar reglementiert, wann ein ausländischer Doktorgrad oder Professorentitel ohne Weiteres in den deutschen Dr. oder Prof. umgewandelt und in offiziellem Schriftverkehr geführt werden darf – und wann es erst einer Anerkennung bedarf.
Bislang sind die Titel von Thomas Wüstefeld in der Hamburger Verwaltung nach Abendblatt-Informationen noch kein Thema. Aus der zuständigen Wissenschaftsbehörde heißt es aber, dass man intensiv recherchiere, sobald Hinweise bekannt würden. Die Behörde kann im Zweifelsfall auch Belege einfordern.
Was das Hochschulgesetz sagt
Der Titel Prof. wird zudem in Deutschland nicht immer automatisch auf Lebenszeit verliehen. Ob er nach Ende der Tätigkeit an einer Hochschule noch geführt werden darf, hängt von Landesgesetzen ab – im Regelfall müssen Professorinnen und Professoren aber dafür entweder mehrere Jahre gelehrt haben oder es sich extra genehmigen lassen, den Titel weiter zu verwenden, falls sie keine berufenen ordentlichen Professoren waren.
Im Hamburger Hochschulgesetz heißt es dazu, dass zwingend ein Antrag dazu erforderlich ist, wenn die Betroffenen vor dem Ruhestand ausscheiden. Wenn Wüstefeld also den „Prof.“ hierzulande erwarb, hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Antrag auf Weiterführung stellen müssen.
Thomas Wüstefeld: "In die Schweiz nur zum Skifahren"
Warum bloß klärt Thomas Wüstefeld die Sache nicht selbst ein für allemal auf? Wieder eine Frage, auf die man von dem Unternehmer keine Antwort bekommt, auch im direkten Gespräch nicht. Eher trägt er dazu bei, dass die Fragezeichen größer werden.
Bevor er am Dienstag mit den Abendblatt-Reportern zusammensitzt, hatte er anderen Reportern schon schriftlich gegeben, dass der Professorentitel aus „seiner Zeit in der Schweiz stamme“. Ob es Sinn ergebe, also in der Alpenrepublik weiter nach einem Beleg zu suchen, will man dann von ihm wissen.
Und was sagt Wüstefeld? Nein, mit der Schweiz habe die ganze Sache nichts zu tun. Dahin reise er nur zum Skifahren.