Nürnberg/Hamburg. Das 2:0 beim 1. FC Nürnberg zeigte eindrucksvoll, wie wohl sich das Walter-Team in der Fremde fühlt. Klappt es nun auch im Volkspark?
Tim Walter war genervt. „Wir wollen auch noch zum Flieger“, ächzte der HSV-Trainer, als bei der Pressekonferenz nach dem Spiel beim 1. FC Nürnberg noch eine letzte Wortmeldung aufkam. Eine Viertelstunde lang lief die Medienrunde schon, bei der sich die Journalisten gewohnt fragefreudig und Nürnbergs Trainer Robert Klauß gewohnt detailverliebt gegeben hatten. Entsprechend hurtig huschte Walter im Anschluss von dannen. Damit er noch den Flug nach Hannover bekommen konnte, ehe es mit dem Bus nach Hamburg ging, wo das HSV-Team um 3.30 Uhr ankam.
HSV News: Walter schwärmte von "reifer Leistung"
Genervt war Walter – mit Ausnahme dieses kurzen Moments – aber natürlich nicht. Im Gegenteil: Der 46-Jährige hatte sogar richtig gute Laune. Nach dem überzeugenden 2:0-Sieg seiner Mannschaft im Top-Spiel in Nürnberg wurde der Trainer trotz fortgeschrittener Stunde nicht müde, von einer „reifen“ Leistung seines Teams zu sprechen. Tatsächlich war es ein abgeklärter Auftritt an einem Abend, der gleich mehrere Geschichten bereithielt.
Da war vor allem das Comeback von Tim Leibold. 305 Tage nach seinem Kreuzbandriss feierte der Ex-Kapitän an Ort und Stelle des Geschehens seine Rückkehr in die Startelf. Für ihn war es natürlich „ein besonderer Moment“, sagte der 28-Jährige, „Als das Spiel losging, war ich komplett im Tunnel.“ Dass er von Beginn an auflaufen würde, habe der 28-Jährige erst kurz vor dem Spiel erfahren.
Tatsächlich aber hatte sich Walter schon in der Trainingswoche für Leibold entschieden, da Kontrahent Miro Muheim aufgrund eines Hexenschusses mehre Einheiten verpasst hatte: „Nach seiner langen Verletzungspause war es eine Vorhersehung, dass er hier, in seiner Heimat, bei seinem Ex-Verein, wo er sich auch verletzt hat, wieder auf dem Platz steht“, sagte Walter und analysierte: „Ich finde, dass er es sehr gut gemacht hat. Natürlich hat er ab und zu noch ein bisschen Schwierigkeiten, aber da fehlt auch die Matchpraxis.“ Nach 58 Minuten war Leibolds Einsatz beendet. „Der Trainer wollte Miro auch noch einmal eine halbe Stunde geben“, sagte der Rückkehrer.
Dompé feierte erfolgreiche Startelf-Premiere beim HSV
Eine Rückkehr in die Startelf feierte am Sonnabend auch Bakery Jatta, der anstelle des rotgesperrten Ransford Königsdörffer die rechte Außenbahn besetzte. Auf Linksaußen gab es mit Jean-Luc Dompé zudem einen dritten Startelfdebütanten. Die neue Flügelachse bescherte dem HSV, was sich Walther schon seit Saisonbeginn erhofft hatte: Mehr Tempo und Eins-gegen-Situationen. Doch während Dompé gute Ansätze zeigte und nur wegen einer Glanztat von Nürnbergs Torhüter Christian Mathenia nicht über sein erstes HSV-Tor jubeln durfte, war auch Jatta die fehlende „Matchpraxis“ noch anzusehen.
Halb so schlimm, denn statt temporeicher Vorstöße war vor allem das konzentrierte Auftreten der Hamburger ausschlaggebend für den „reifen“ Auswärtserfolg. Zum Beispiel beim 1:0 nach einer Standardsituation (37.) durch Mario Vuskovic, das auch durch einen zentimetergenauen Pass von Jonas Meffert initiiert wurde. Für den Taktgeber gab es von Walter später ein Extralob: „Ich habe gehört, dass Meffo eine 100-prozentige Passquote hatte. Das hat man selten.“
HSV-Trainer Walter verpasste kuriose Elfmeterszene
Mit dem Sieg im Rücken konnte Walter auch über die Aufregerszene der Partie schmunzeln, als James Lawrence im Strafraum wegrutschte und Robert Glatzel resolut von den Beinen holte, Schiedsrichter Felix Zwayer aber auf Freistoß für Nürnberg entschied – nicht etwa wegen einer Abseitsstellung, wie auch das Abendblatt zunächst angenommen hatte, sondern wegen eines Stürmerfouls. „Das war schon kurios. Ich habe es erst einmal gar nicht gesehen und dann haben meine Co-Trainer gesagt: ‚gut, dass du es nicht gesehen hast‘. So konnte ich mich nicht aufregen.“ Walter, der nach der Niederlage gegen Darmstadt noch angesichts der Schiedsrichterleistung geschäumt hatte, fügte an: „Ich glaube, dass Felix Zwayer insgesamt wirklich eine gute Leistung gebracht hat. Wenn es kein Abseits war, hat er die Situation falsch wahrgenommen. Aber das passiert, das ist menschlich.“
- Wie das Tor von Vuskovic von langer Hand geplant wurde
- HSV-Elfmeter in Nürnberg? Bitte Fehler auch mal einräumen!
- Heyer mit Köpfchen aus dem Formtief – Dompé sehr umtriebig
Auch „Opfer“ Glatzel blieb entspannt. „Ein Stürmerfoul war es auf keinen Fall, er läuft mir komplett hinten rein. Im Nachhinein ist es halb so schlimm, weil wir das Spiel gewonnen haben. Wenn wir verloren oder unentschieden gespielt hätten, wäre das ein viel größerer Aufreger gewesen“, sagte der Stürmer, der nach seinem späten Tor zum 2:0 (90.+2) zunächst nicht sicher war, ob er überhaupt der Schütze war. „Ich kann es nicht hundertprozentig beantworten. Ludo (Ludovit Reis, Anm. d. Red.) hatte das Gefühl, dass er den Ball getroffen hat, ich auch. Er hat gesagt, er würde mir das Tor gönnen. Ich würde es ihm auch gönnen. Schön, dass wir noch den Deckel drauf gemacht haben.“
HSV News: Glatzel will mit seinem Team im Volkspark nachlegen
Unumstritten ist, dass sich der HSV in Auswärtsspielen zurzeit von seiner besten Seite zeigt. Der Sieg in Nürnberg war der saisonübergreifend achte (!) Pflichtspielerfolg in Serie. Seit Bestehen der Bundesliga 1963 hatte der HSV keine vergleichbare Auswärtsserie. „Es ist einfach top, wie wir auswärts auftreten!“ sagte Glatzel, der damit auch seine Kollegen in der Hintermannschaft lobte. In dieser Saison hat der HSV auswärts noch nicht einmal ein Gegentor kassiert.
Den erfolgreichen Vorstellungen in Braunschweig, Bielefeld und Nürnberg stehen aber auch die Heimniederlagen gegen Rostock und Darmstadt gegenüber. Einen echten Grund dafür konnte Hamburgs bester Torschütze (vier Saisontreffer) nicht ausmachen. „Letztes Jahr kann man sagen, dass wir eher heimstark waren. Es ist jetzt auch noch relativ früh in der Saison. Ich glaube, es wird sich einpendeln, dass wir auch zu Hause mehr Siege einfahren“, sagte Glatzel und führte aus: „Es ist auf jeden Fall das Ziel, dass wir zu Hause eine Heimmacht sind.“
Walter ist Pragmatiker. „Mir ist egal, wo wir gewinnen. Die Hauptsache ist, dass wir gewinnen“, so der Trainer. Die eigene Heimbilanz aufbessern kann der HSV am kommenden Sonnabend gegen den KSC Anpfiff ist wieder um 20.30 Uhr. Und das Beste: Tim Walter wird nicht befürchten müssen, einen Flieger zu verpassen.
- 1. FC Nürnberg: Mathenia - Valentini (79. Gyamerah), Florian Hübner, Lawrence (52. Schindler), Wekesser - Geis - Castrop (68. Wintzheimer), Nürnberger (46. Fofana) - Möller Daehli - Duah, Daferner (79. Lohkemper).
- HSV: Heuer Fernandes - Heyer, Vuskovic, Schonlau, Leibold (59. Muheim) - Meffert - Reis, Kittel - Jatta (81. David), Glatzel, Dompé (74. Benes).
- Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin).
- Tore: 0:1 Vuskovic (37.), 0:2 Glatzel (90.+2).
- Zuschauer: 35.713.
- Gelbe Karten: Fofana - Glatzel (2), Reis.
- Mannschaftsstatistiken: Torschüsse: 16:12. Ecken: 4:6. Ballbesitz: 49:51 Prozent. Zweikämpfe: 76:75.