Hamburg. Pikante Details über umstrittenen HSV-Deal mit der Stadt. Wettsteins Sanierungskonzept stand, aber Wüstefeld setzte es nicht um.
Es ist fast auf den Tag ein Dreivierteljahr her, als Frank Wettstein in bester Plauderstimmung war. Der damalige Finanzvorstand, der zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass er den HSV verlassen wird, war zu Besuch in der Redaktion beim Abendblatt. Im Podcast „HSV – wir müssen reden“ sprach Wettstein über seinen Abschied, eine mögliche Nachfolgeregelung und natürlich auch noch mal ausführlich über das 23,5-Millionen-Euro-Geschäft mit der Stadt Hamburg. „Der Stadiondeal war der beste Deal, den ich je für den HSV gemacht habe“, frohlockte der 48-Jährige Ende November.
Neun Monate später könnte man modifizieren: Es war sicher der am meisten diskutierte Deal, den Wettstein je abgeschlossen hat. So vergeht kaum ein Tag, an dem nicht kontrovers über die Einigung zwischen dem HSV und der Stadt über den Grundstückskauf gestritten wird. Und Haupttreiber dieser Diskussion ist Wettsteins Nachfolger: Thomas Wüstefeld.
HSV: Wüstefelds Kritik an Wettstein
Doch anders als Wettstein empfindet Wüstefeld den Deal mit der Stadt nicht als „Top-Deal“, sondern als eine Art Hauptgrund aller finanziellen HSV-Sorgen. Wüstefelds zentrale Vorwürfe lauten: Zum einen habe Vorgänger Wettstein die 23,5 Millionen Euro nicht für die Sanierung des Stadions benutzt und damit quasi zweckentfremdet – und zum anderen habe er dies den Gremien auch nie klargemacht. Hauptbeweisstück für seine These ist eine einseitige PDF-Datei vom 15. September 2021, die wenig spektakulär mit den Worten „Verkauf Stadiongrundstück“ überschrieben ist und die dem Abendblatt vorgelegt wurde.
Die DIN-A4-Seite ist eine von vielen Dokumenten aus der Due Diligence, die Wüstefeld und seine Wirtschaftsprüfer vor seinem Anteilskauf angefordert und bekommen haben. Der aus seiner Sicht wichtigste Satz in diesem Dokument: „Da die Fußball AG ihre Leistungsverpflichtung aus dem Grundstückskaufvertrag bereits zum 30. Juni 2021 vollumfänglich (wirtschaftlich) erfüllt hat und die Voraussetzung für die Gewinnrealisierung sowie aus unserer Sicht vorgelegt haben, wird der Geschäftsvorfall im Geschäftsjahr 2020/2021 berücksichtigt.“
Es ist ein Satz, den Wüstefeld schon häufiger zitiert hat – und der seiner Meinung nach beweist, dass Wettstein „auf explizite Nachfragen“ eingeräumt habe, dass alle wirtschaftlichen Risiken im Zusammenhang mit der kostspieligen Sanierung „vollumfänglich“ berücksichtigt seien.
Doch stimmt das überhaupt?
23,5 Millionen für das Stadion flossen in das Geschäftsjahr 2020/21
Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich. Die einfache Antwort: Nein, das stimmt nicht. Denn bei dem Dokument handelt es sich nur um eine Zusatzanlage aus dem vorläufigen Geschäftsbericht, den Wettstein Wüstefeld vor dessen Anteilskauf in einem sogenannten Datenraum zur Verfügung gestellt hat. Bei dem viel zitierten Satz ging es lediglich darum, in welches Geschäftsjahr die 23,5 Millionen Euro mutmaßlich verbucht werden – und dann auch verbucht wurden.
Doch natürlich gibt es auch noch eine komplizierte Antwort. Denn Wüstefeld bemängelt auch, dass sich im Lagebericht des Geschäftsberichts keine explizite Warnung befinde, dass der HSV noch einen zweistelligen Millionenbetrag in die Stadionmodernisierung investieren muss. Der formale Grund hierfür: Der Lagebericht umreißt nur das nächste Geschäftsjahr (2021/22) – und in diesem wurden auch keine Millionenbeträge ins Stadion investiert. Aus heutiger Sicht muss man das Wörtchen „leider“ hinzufügen.
HSV: Wüstefeld setzte Wettsteins Stadion-Konzept nicht um
Denn so sind die 23,5 Millionen Euro aus coronabedingten Gründen tatsächlich längst ausgegeben – am Stadion hat sich allerdings wenig bis nichts getan. Über die Verantwortung hierfür dürfen sich nun Wüstefeld und Wettstein weiter streiten. Denn einerseits kann man Wettstein natürlich vorwerfen, dass er viel früher das in die Jahre gekommene Stadion hätte sanieren müssen.
Andererseits hatte er genau das vor seiner Beurlaubung im Januar auch längst vorbereitet – was allerdings von Wüstefeld nicht umgesetzt wurde. Nach Abendblatt-Informationen hatte Wettstein ein Finanzierungskonzept ausgearbeitet, bei dem er auf die Gläubiger des Schuldscheindarlehens zugehen wollte. 40 Millionen Euro hatte sich der HSV 2016 bei institutionellen Geldgebern geliehen, 20 Millionen Euro sind davon bereits wieder zurückgeflossen. Die Idee: Was einmal klappt, klappt auch zweimal.
Wettstein hatte auch schon Kostenvoranschläge für Beschallungsanlage und Flutlicht, zudem lagen erste Kostenschätzungen für die teure Dachmembran (rund zehn Millionen Euro) bereits im Dezember vor. Nach Wettsteins Beurlaubung wurde all das Wüstefeld am 12. Januar bei einer internen Präsentation durch die zuständigen Direktoren vorgestellt. Doch passiert ist danach erst einmal: nichts.
Wüstefeld will, dass Untersuchungskommission gegen Wettstein vorgeht
Bis zum April, als Wüstefeld einen 48 Seiten starken Bericht zum Stand der HSV Fußball AG anfertigte, der einem echten Alarmruf gleichkam. Den Bericht erhielten alle Anteilseigner und Aufsichtsräte. Der Tenor: Dem HSV geht es nicht schlecht – sondern verdammt schlecht.
Wie schlecht es dem HSV nun wirklich geht und welche Schuld dabei die damaligen Vorstände (Wettstein und Jonas Boldt) trifft, soll nun juristisch untersucht werden. Die Aufsichtsräte Detlef Dinsel und Andreas Peters leiten die interne Untersuchungskommission, die mithilfe der renommierten Kanzlei Latham and Watkins sämtliche Vorgänge rund um die Stadionmodernisierung aufklären will. Geprüft wird, ob der Finanzausschuss des Aufsichtsrats alle relevanten Dokumente zur Stadionsanierung vom Vorstand erhalten hat. Kostenpunkt: 100.000 Euro.
Für Wüstefeld steht das Ergebnis fest: Der 53-Jährige ist sich sicher, dass man bereits im September auch gegen Vorgänger Wettstein vorgehen wird. Wettstein, der sich mit Verweis auf seine Verschwiegenheitspflicht nicht äußern wollte und konnte, soll nach Abendblatt-Informationen dem Verfahren gelassen entgegensehen. Schließlich waren jederzeit auch alle Ressortleiter in seine Planungen involviert – zum Beispiel der damalige und heutige Finanzchef Erik Huwer. Außerdem: Nicht der HSV war beim Anteilskauf Wüstefelds in der detaillierten Auskunftspflicht, sondern die Kühne Holding als Verkäufer.
HSV-Stadion: Was Wüstefeld versäumte
Und genau diesen Vorwurf muss sich Wüstefeld wahrscheinlich gefallen lassen. Denn zum Zeitpunkt seines Anteildeals mit der Kühne Holding war ja auch noch rund ein Prozent der HSV-Anteile zu erwerben. Hätte er auch (oder stattdessen) diese gekauft, wäre die Auskunftspflicht aufseiten des HSV noch mal größer gewesen. Dann hätte Wettstein seinem späteren Nachfolger wahrscheinlich auch erklärt, dass er erstmals mit Finanzsenator Andreas Dressel im Juni 2020 in der Berenberg Bank zusammensaß, um mögliche Finanzkonzepte als Antwort auf die Corona-Folgen zu diskutieren.
Vier Ideen soll Wettstein dem Finanzsenator präsentiert haben, von denen Dressel lediglich die Idee des Grundstückverkaufs überzeugte. Seinen Wunsch, dass die Gelder auf einem gesonderten Konto für die Modernisierung sozusagen „geparkt“ werden, hatte der HSV allerdings schon damals abgelehnt – und daraus auch nie ein Geheimnis gemacht. Genauso wenig beim Thema Dachmembran, die im kommenden Jahr fertig ausgewechselt sein muss. Laut Wüstefeld fehlte ihm aber auch diese Information bei der Due Diligence.
Vielleicht hätte Wüstefeld auch einfach beim Abendblatt-Podcast mit Wettstein genau hinhören sollen. Da sagte der Rheinländer, dass er sich um die Stadionmodernisierung keine Sorgen mache. „Die Finanzmittel dafür werden zur Verfügung stehen“, sagte Wettstein: „Man muss am Kapitalmarkt Geld aufnehmen, aber man hat den nötigen Vorlauf.“
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Wüstefeld kassiert von der Stadt Absage für HSV-Bürgschaft
Den hat man neun Monate später nun nicht mehr. Und auch Wüstefelds Deal mit HSV-Hauptsponsor HanseMerkur, der dem HSV 23 Millionen Euro leihen will, wackelt gewaltig. Denn nach Abendblatt-Informationen haben die Grünen, der Koalitionspartner der SPD, angekündigt, von ihrem Vetorecht in der Kreditkommission Gebrauch zu machen.
Wenn überhaupt, sei lediglich eine sogenannte De-Jure-Bürgschaft denkbar – und auch nur dann, wenn eines vorher geklärt ist: die ganze Wahrheit rund um das Volksparkstadion.