Hamburg. Erneut schwere Anschuldigungen gegen den Hamburger Unternehmer. HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld wehrt sich.
Am Freitagabend war Thomas Wüstefeld da, wo er am liebsten ist: im Volksparkstadion. Der HSV, sein HSV, spielte gegen Darmstadt 98 um die Tabellenführung in der Zweiten Liga. Wüstefeld ist Anteilseigner, Vorstand und vor allem Fan. „Ich habe nach Bier gestunken und fand das einfach nur geil“, sagte der 53-Jährige kürzlich bei einem Fantalk in der HSV-Kiezkneipe Tankstelle.
Doch ausgerechnet an diesem Freitag ging es für Wüstefeld trotz des Spiels nicht nur um seinen HSV, um Darmstadt und um die Zweitliga-Tabelle. Es ging nach einem Artikel des Abendblatts, der bereits am Mittag veröffentlicht wurde, viel mehr um schwere Vorwürfe, die nichts mit seinem HSV zu tun haben. Um Anzeigen. Und um juristischen Ärger.
Schuld an all dem hat ein kleiner roter Kasten, der wahlweise als Toaster oder Brotbox bezeichnet wird. Man legt von zwei Dutzend Menschen Abstriche aus der Nase oder dem Rachen hinein – und schon nach weniger als 30 Minuten weiß man, wer mit dem Coronavirus infiziert ist. Es war eine kleine Sensation, als der Hamburger Medizinunternehmer Thomas Wüstefeld (53) ein mobiles Ultra-PCR-Testgerät zum HSV in den Volkspark brachte. Im Dezember 2020 zeigte er dem medizinischen Team des Zweitligavereins, wie man sicher und schnell und ohne Labor jeden Tag die Profis und die Mannschaft dahinter auf Corona testet.
Geschäfte von HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld im Zwielicht
Für den Verein war es, noch bevor ein Impfstoff für alle verfügbar war, ein beinahe schon wundersames Hilfsmittel, um die Nöte in der Pandemie zu lindern. Aus dem Volkspark traten diese Geräte ihren Siegeszug bei anderen Profi-Vereinen an. Das geschah auch dank der Hilfe von HSV-Aufsichtsrat Marcell Jansen, der Wüstefeld beim Vertrieb half (das Abendblatt berichtete)
Und genau diese Ultra-PCR-Tester bereiten Wüstefeld nun erheblichen juristischen Ärger. Auch er hat seinen Karrieresprung gemacht vom HSV-Fan zum Anteilseigner mit gut fünf Prozent der Aktien, die er dem Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne für 14,2 Millionen Euro abkaufte. Er wurde in den Aufsichtsrat berufen, und als Frank Wettstein den Platz als Finanzvorstand räumen musste, kam Wüstefeld sogar in das operative Vereinsgeschäft.
Seine Geschäfte als Unternehmer allerdings stehen derzeit in einem anderen Licht. Bereits vor Wochen berichtete das Abendblatt über „Millionenforderung und Vorwürfe gegen Thomas Wüstefeld“. In der „Bild“-Zeitung wehrte sich Wüstefeld daraufhin und sprach von „einer Kampagne“.
Zwei Anzeigen gegen Wüstefeld
Es geht jetzt erneut um die schweren Vorwürfe, mit denen auch die Staatsanwaltschaft betraut wird. Ob sie aktiv wird, ist noch nicht ausgemacht. Wüstefeld soll als Firmeninhaber und Geschäftsführer (unter anderem der Medsan) Geschäftspartner um Millionen-Summen betrogen haben. Er sagt, diese Vorwürfe seien unwahr und hätten zudem nichts mit seiner Rolle als HSV-Verantwortlicher zu tun.
Gegen Wüstefeld liegen nach Abendblatt-Informationen zwei Anzeigen vor. Darin heißt es unter anderem, er habe sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen „rechtswidrigen Vermögensvorteil“ verschaffen wollen. Der Hamburger Rechtsanwalt Otmar Kury, der eine der Firmen vertritt, sagte dem Abendblatt: „Nach meiner rechtlichen Einschätzung und unter Berücksichtigung aller Informationen besteht der dringende Tatverdacht des Betruges in einem besonders schweren Fall.“
PCR-Geräte nicht vertragsgemäß geliefert?
Wüstefeld soll der Firma V.M. aus Schleswig-Holstein, einem Spezialisten für Wundheilverfahren, die Lieferung von 2000 PCR-Testgeräten vertraglich zugesagt und 5,5 Millionen Euro Vorkasse dafür bekommen haben. Dabei soll er gewusst haben, dass er die Geräte des chinesischen Herstellers Egens Biotechnology gar nicht besorgen könne. Am Ende wurden V.M. auch nur 28 Geräte geliefert. Dem Abendblatt liegen zu diesem Fall Aussagen Beteiligter sowie Verträge und E-Mails vor.
Wüstefeld sagte dem Abendblatt, die Vorwürfe seien substanzlos. Er gehe selbst gegen das Unternehmen V.M. vor. „Den Vorwurf des Betrugs weisen wir energisch zurück, diese Anschuldigungen sind nicht substanziell.“ Es seien erneute Angriffe auf ihn und sein operatives Geschäft. Es sei im Gegenteil so, dass Wüstefelds Firma Medsan „reale Forderungen“ im einstelligen Millionenbereich gegenüber V.M. habe.
Weltweit gibt es mehrere Firmen unter anderem in Australien und China, die diese mobilen PCR-Testgeräte herstellen. Die Medsan kaufte und verkaufte solche und ähnliche Produkte. Wüstefeld führte nicht nur dem HSV, sondern auch Kunden den Kasten vor. Er sagte, er habe bei der „Brotdose“ immer deutlich gemacht, dass das Gerät von einem Partner komme.
Manchen war das nicht klar. Die Firma V.M. fühlt sich von Wüstefeld getäuscht, weil er vorgegeben habe, 2000 Geräte liefern zu können. Damit hätte man, so das Unternehmen, erheblichen Umsatz und Gewinn machen können. Deshalb fordert V.M. auch Schadenersatz in Höhe von 32 Millionen Euro. Ob eine solche Summe in einem Prozess vor Gericht zu erstreiten wäre, ist völlig ungewiss. Wüstefeld sagte, zu laufenden Zivilverfahren könne er sich nicht äußern. Es gebe genau eines, gegen das er sich „mit guten Gründen“ wehre und einem positiven Ausgang entgegensehe.
Eine frühere Saatgut-Firma hält die Anteile am HSV
Eine weitere, international renommierte Pharmafirma wirft Wüstefeld vor, sie um einen Millionenbetrag geprellt zu haben. Es gehe um Untreue in einem besonders schweren Fall, teilte die Firma dem Abendblatt mit. Strafanzeige sei erstattet worden. Die Firma hatte mit Wüstefeld ein gemeinsam betriebenes Unternehmen, in dem Wüstefeld Geschäftsführer war, es aber nicht mehr ist.
Dazu erklärte Wüstefeld: Auch hier erhalte er nach „nachweislicher Aufrechnung“ von dieser Firma noch einen Betrag im hohen fünfstelligen Bereich. Er werde Unterlagen vorlegen, die die Vorwürfe entkräften können.
Die Vorwürfe gegen Wüstefeld stehen unter anderem im Zusammenhang mit seiner Firma CaLeJo. Der Unternehmer ist in mehr als einem Dutzend Firmen Geschäftsführer oder Anteilseigner oder beides. Doch diese Gründung ist eine spezielle. CaLeJo erwuchs aus der Wüstefeld-Firma leafFarming. Die war mal eingerichtet worden, um Gärtnereien zu betreiben und mit Saatgut zu handeln. So steht es im Handelsregister. Im Jahr 2021 benannte Wüstefeld sie nach den Abkürzungen für die Vornamen seiner Kinder um. Jetzt hält sie die Anteile am HSV.
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Wüstefeld fühlt sich beim Kühne-Deal getäuscht
Wüstefeld betont im persönlichen Gespräch mit dem Abendblatt mehrfach, dass all die Geschehnisse um seine unternehmerischen Aktivitäten nichts mit seiner Funktion als HSV-Vorstand zu tun hätten – und hat natürlich recht. Allerdings war es auch Wüstefeld, der am 2. August als HSV-Vorstand ins Volksparkstadion zu einer Medienrunde bat – und dort ausführlich als Anteilseigner darüber referierte, warum er sich beim Aktien-Deal mit der Kühne-Holding getäuscht fühle. Karl Gernandt, dem Chef der Kühne-Holding, der einst selbst Aufsichtsratschef des HSV war, warfen Wüstefelds Anwälte sogar „arglistige Täuschung“ vor.
Doch auch in dieser Angelegenheit müssen nun zeitnah die Gerichte entscheiden, wer recht hat und wer nicht. Dass aber ein HSV-Vorstand (als HSV-Anteilseigner) den größten HSV-Partner verklagt, das hat es in der langen HSV-Geschichte so auch noch nie gegeben. Und es kommt noch irrer: Denn weiterhin offen sind auch Forderungen der Kühne-Holding in Millionen-Höhe an Wüstefeld (das Abendblatt berichtete). So steht in der Niederschrift der Ordentlichen Hauptversammlung vom 30. November 2021 (liegt dem Abendblatt vor) unter Top 9, dass es eine Kaufverpflichtung für einen weiteren Anteilskauf geben soll, der Wüstefeld bis heute nicht nachgekommen sein soll – und der er offenbar auch nicht nachkommen will. Mehr noch: Wüstefeld erwägt sogar, den gesamten Anteilskauf rückabzuwickeln. Auch hierzu werden sich wohl bald die Anwälte austauschen müssen.
Im Aufsichtsrat des HSV wird man sich wahrscheinlich schon bald wieder mit all diesen Geschichten beschäftigen. Das hat man auch am 1. Juli nach der ersten Abendblatt-Geschichte über die Vorwürfe gegen Wüstefeld als Unternehmer. Damals hat Aufsichtsratschef Jansen dem Vorstand sein Vertrauen ausgesprochen, hat gleichzeitig aber angedachte Vertragsgespräche mit Wüstefeld verschoben. Am vergangenen Montag kündigte Jansen nun sogar an, dass man erst im November über die Zukunft des Vorstands sprechen wolle.
Wüstefeld und Jansen arbeiteten bereits vor der HSV-Zeit zusammen
Im aktuellen „Spiegel“, der berichtet, dass es zwei Anzeigen gegen Wüstefeld gibt, heißt es nun, dass Jansens Treue „auch private Gründe haben“ könnte. Das Hamburger Nachrichtenmagazin greift dabei eine Abendblatt-Geschichte aus dem Frühjahr auf und beschreibt, wie die beiden wichtigsten HSV-Männer schon vor Wüstefelds Zeit beim HSV in Jansens gemeinnützigen Firma HygieneCircle zusammengearbeitet haben. Wörtlich heißt es: „Wüstefeld sitzt im Kuratorium dieser Firma und spendete mehrmals beachtliche Summen – auch als Dank für Jansens Unterstützung beim Verkauf der PCR-Testgeräte. Der Präsident sieht darin keine Compliance-Probleme.“
Viele beim HSV sehen das anders. Erst vor wenigen Tagen äußerten sich beispielsweise auch die früheren Aufsichtsräte Manfred Ertel und Frank Mackerodt in diesem Kontext deutlich im Abendblatt: „Ein Neuanfang ist das Einzige, was den HSV jetzt noch weiterbringen kann.“
Am Freitagnachmittag, als sich die Neuigkeiten über die beiden Anzeigen als Lauffeuer verbreiteten, kam sogar das Gerücht auf, dass noch am Abend nach dem Spiel gegen Darmstadt der Aufsichtsrat tage. Doch ganz so schnell geht es beim HSV dann eben doch nicht.