Hamburg. Dompés Debüt? Jattas Comeback? Im HSV-Spiel gegen Darmstadt Nebensache angesichts von vier Platzverweisen. Schiedsrichter erklärt sich.
Gerade als die Sonne hinter dem Volksparkstadion untergegangen war, war auch der HSV-Tag gelaufen. 1:2 hatten die Hamburger gegen Darmstadt 98 verloren – und standen noch Minuten nach dem Schlusspfiff ein wenig ungläubig auf dem Rasen. Auch ein Großteil der Zuschauer blieb zunächst auf den Plätzen, ehe sich das Volksparkstadion langsam, aber sicher leerte.
Dann verließen auch die HSV-Profis und -Betreuer den Rasen – einige von ihnen wutschnaubend. „Bodenlos, das ist eine Frechheit. Ich habe noch nie schlechtere Schiedsrichter gesehen“, schimpfte Trainer Tim Walter über das Gespann um Robert Schröder. Sein Mittelfeld-Abräumer Jonas Meffert wurde konkreter: „Was der Schiedsrichter zu unseren Spielern gesagt hat, war unter der Gürtellinie, unfassbar.“
Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. SC Paderborn 5 / 18:6 / 12
2. Darmstadt 98 5 / 9:4 / 12
3. Heidenheim 4 / 7:1 / 9
4. HSV 5 /6:3 / 9
5. Holstein Kiel 5 / 11:12 / 8
6. FC St. Pauli 4 / 9:6 / 7
Aber der Reihe nach. Stadionsprecher Christian Stübinger hatte gerade erst die Namen der Startelf verlesen, als er direkt auch schon den ersten Namen eines Torschützen bekannt geben durfte: Ausgerechnet der gebürtige Hamburger und frühere HSVer (von 2013 bis 2019) Patric Pfeiffer (22) brauchte nicht einmal 200 Sekunden, um per Kopf Darmstadts Ratzfatz-Führung zu erzielen. 0:1 nach nicht einmal vier Minuten, wann hat es das das letzte Mal gegeben?
HSV gerät im Topspiel gegen Darmstadt früh in Rückstand
Doch noch bevor HSV-Historiker in der Vereinschronik nachschauen konnten, mussten sie auch schon nach dem schnellsten 0:2-Rückstand suchen. Denn nicht einmal weitere 200 Sekunden später war der Ball schon wieder drin. Diesmal war es Philip Tietz, der eine zentimetergenaue Tobias-Kempe-Flanke einköpfte.
Auch die minutenlange Überprüfung des Videorichter machte die Sache aus Hamburger Sicht nicht besser. Sebastian Schonlaus Schuhspitze war entscheidend und machte das 0:2 nach nicht einmal sieben Minuten offiziell.
Dompé erstmals beim HSV dabei, Jatta wieder
So wanderte nach Rekordzeit der hoffnungsvolle Blick der Anhänger vom Rasen auf die HSV-Ersatzbank. Denn nach nur einer Trainingseinheit durfte auf dieser Bank direkt Neuzugang Jean-Luc Dompé (27) Platz neben. Doch die Fans hofften nicht nur auf den neuen Flügelflitzer, der erst am Vortag für 1,3 Millionen Euro aus Metz verpflichtet wurde, sondern auch auf einen altbekannten Flügelflitzer.
Denn nach seiner schweren Muskelverletzung war auch Bakery Jatta (24) erstmals in dieser Saison wieder mit von der Partie. Einen Tag nachdem Trainer Tim Walter in der Pressekonferenz sagte, dass der Gambier noch keine Option sein kann. Last, but not least hatte Walter auch wieder Nesthäkchen Omar Mageed, nominiert, der eigentlich mit 43.943 Partygästen seinen 17. Geburtstag feiern wollte.
Ex-HSV-Profi Klaus Gjasula eröffnet Platzverweis-Reigen
Doch nach den ersten 45 Minuten war im Volkspark niemandem zum Feiern zumute. Das sah auch Trainer Walter ähnlich, der in der Pause reagierte und den schwachen Maximilian Rohr für Neuling Dompé rausnahm. Der Franzose okkupierte direkt die linke Außenbahn, der zuvor sehr agile Sonny Kittel rotierte dafür ins Mittelfeldzentrum.
Nur am grundsätzlichen Geschehen änderte sich zunächst einmal nichts: Der HSV machte das Spiel, Darmstadt hatte die Chancen. Doch weil Tietz (50.) und Braydon Manu (54.) auch beste Möglichkeiten vergaben, blieb es vorerst spannend.
HSV-Einzelkritik: Heyers schlimmer Auftritt, Rohr spielt sich aus der Startelf
Nach einer knappen Stunde entschieden sich die Gladiatoren auf dem Platz dann aber, aus einem zuvor durchaus unterhaltsamen Fußballspiel einen Ringkampf zu machen. Erst war es Klaus Gjasula, der das machte, was er auch schon 2020 bis 2021 beim HSV immer gerne machte: Gelbe Karten sammeln. Nummer eins erhielt er nach einer halben Stunde, Nummer zwei nach einer knappen Stunde. Und weil zwei Gelbe Karten im modernen Profifußball von heute noch immer mit einem Platzverweis gleichzusetzen sind, war der HSV plötzlich in Überzahl – allerdings nicht für lange.
Opoku dezimiert den HSV mit übler Tätlichkeit
Denn auch der in der 56. Minute für den indisponierten Moritz Heyer eingewechselte Aaron Opoku hatte offenbar Lust auf einen ganz eigenen Rekord. Vier Minuten brauchte er für seine erste Gelbe Karte, vier weitere Minuten für eine glatt Rote Karte.
„Natürlich ist es auch das Spiel der Darmstädter zu provozieren, aber das darf dir nicht passieren und ist nicht zu entschuldigen“, sagte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt später bei Sky. Platzverweis nach Nachtreten – es dürfte eine lange Pause vom DFB folgen. Es war der Tiefpunkt an einem gebrauchten Abend.
Königsdörffer wird zur tragischen Figur
Dachte man eigentlich. Doch kurz nachdem Ransford Königsdörffers zum 1:2 (87.) verkürzte, musste auch er nach einer mutmaßlichen Tätlichkeit mit Rot vom Platz. „In den Bildern war abseits des Balles eine klare Wischbewegung ins Gesicht des Gegenspielers zu sehen“, sagte Schröder später.
Damit aber nicht genug. Auch Sportvorstand Boldt, der wild protestierte und auf den Rasen lief, erhielt innerhalb vom zehn Sekunden zwei Gelbe Karten und musste den Stadioninnenraum verlassen.
Boldt kritisiert nach Platzverweis Schiedsrichter Schröder
Boldt versuchte es später zu erklären: „Es gab viele Entscheidungen, die sehr hektisch waren. Dann gab es die Elfmeterszene, wo ich überhaupt nicht verstehe, dass man da die Fahne hebt. Sicher auch eine Überreaktion von mir. Ob man da gleich die Rote Karte zeigen muss, weiß ich nicht. Ich habe nur nach Königsdörffers Platzverweis gesagt: ‚Da kannst du keine Rote Karte geben, das ist außer Rand und Band.‘ Da muss man als Schiedsrichter einfach kühlen Kopf bewahren.“
Schröder ließ das nicht gelten: „Er betrat den Platz, das war schon grenzwertig, dafür hat er Gelb bekommen. Aber er hat einfach nicht aufgehört, unsportlich zu reklamieren.“
Schröder weist Mefferts harte Vorwürfe zurück
Mefferts harten Vorwurf, Schröder habe übel mit den HSV-Profis gesprochen, wies der Schiedsrichter ebenfalls zurück: „Ich habe den Spielern klar gesagt, dass wir bei klaren Vergehen nicht lange zu diskutieren brauchen. Und die Spieler, die die Rote Karte gesehen haben, habe von mir die Ansage bekommen, das Spielfeld zu verlassen. Auch mit Nachdruck.“ Beleidigt aber habe er niemanden.
Dass an diesem Freitagabend aber nicht nur über Fußball und Karten im Volkspark geredet wurde, lag vor allem an den Enthüllungen rund um Vorstand Thomas Wüstefeld, die das Abendblatt bereits Stunden vor dem Anpfiff veröffentlicht hatte.
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Trotz zweier Millionenklagen kann sich der HSV-Vorstand allerdings weiterhin der uneingeschränkten Solidarität von Aufsichtsratschef Marcell Jansen gewiss sein. „Das betrifft uns ja gar nicht direkt. Herr Wüstefeld hat sich da klar geäußert. Es gibt für uns keine neuen Erkenntnisse“, sagte der Kontrollchef bei Sky, als er auf diese neuen Erkenntnisse angesprochen wurde. „Die Sachlage ist sehr dünn:“ Und auch einen Interessenskonflikt könne er beim besten Willen nicht erkennen, bekräftige Jansen mit einer eigenwilligen Begründung. „Wichtig ist, dass wir gut in die Saison gestartet sind.“
Auch darüber darf man natürlich nach zwei Niederlagen in drei Heimspielen geteilter Meinung sein. „So schläfrig wie in der Anfangsphase dürfen wir nächste Woche nicht sein, sonst wird es gegen jeden Gegner schwer“, sagte Meffert. Am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) geht es zum 1. FC Nürnberg.
Hamburger SV – Darmstadt 98 1:2