Hamburg. Marcell Jansen lehnt das Angebot des Investors ab und setzt auf einen Deal mit HanseMerkur. Doch es bleiben viele Fragen offen.
Viel schlechter hätte der Freitagabend für Marcell Jansen wahrscheinlich nicht laufen können. Beim Aufsichtsratsvorsitzenden des HSV lief so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte. Das einzige Glück im Unglück: Gemeint ist nicht der vergangene Freitag, an dem das HSV-Kontrollgremium tagte. Sondern der vorletzte Freitag, als Jansen mit HSV III in der Oberliga auf den SC Victoria traf, sogar noch zum zwischenzeitlichen 2:1 traf, kurz danach aber verletzt ausgewechselt werden musste. Das Ende vom Lied: Seine Mannschaft verlor 2:3 – und beim 36-Jährigen wurde wenige Tage später ein Muskelbündelriss diagnostiziert. Die voraussichtliche Pause: zehn Wochen.
HSV und Jansen geben Klaus-Michael Kühne einen Korb
Genau eine Woche später hatte Jansen am Freitagabend mehr Glück. Die mit Spannung erwartete Aufsichtsratssitzung verlief harmonischer als erwartet, der große Knall blieb vorerst aus. „Es war eine gute Sitzung“, sagte Jansen nach dem fünfstündigen Treffen, auf dem es um Geld, Posten, Macht – und natürlich auch um das 120-Millionen-Euro-Angebot von Investor Klaus-Michael Kühne ging. Zur Erinnerung: Der Wahl-Schweizer hatte am Vortag einen Zehn-Punkte-Katalog per Pressemitteilung verschickt und dem HSV insgesamt 120 Millionen Euro in Aussicht gestellt, wenn sich der Club auf seine umfassenden Forderungen einlässt.
Vier Tage später ist klar: Der HSV lässt sich nicht ein. So wurde am Montagmittag erneut eine Pressemitteilung verschickt – diesmal aber nicht von Kühne aus der Schweiz, sondern von Jansen aus dem Volkspark. Der Kontrollchef hatte sich auf der Homepage des HSV quasi selbst interviewt und dieses Gespräch sämtlichen Medienvertretern zur Verfügung gestellt. Die überdeutliche Überschrift: „Das Angebot ist in dieser Form nicht umsetzbar.“
Viele Forderungen des Milliardärs wären gar nicht spontan umsetzbar
Kühnes Mail war in den vergangenen Tagen das beherrschende Thema – obwohl schnell klar war, dass die Forderungen des Milliardärs (wie zum Beispiel die Aufweichung der 24,9-Prozent-Regel) kurzfristig gar nicht machbar wären. Auch Jansen erinnerte in seinem HSV-Statement daran, „dass wir als Präsidium seinerzeit den klaren Auftrag der Mitgliedschaft erhalten haben, die Grenzen für Anteilsverkäufe in unserer Satzung zu verankern. Das haben wir gemacht“. Das höfliche Fazit von Jansen, der selbst erst parallel zu Kühnes Pressemitteilung durch eine E-Mail von dem Unternehmer informiert wurde: „Vor diesem Hintergrund möchten wir natürlich mit Herrn Kühne im engen Dialog sein und nach vorn blicken, aber das an uns herangetragene Angebot ist in dieser Form nicht umsetzbar. Daher sehen wir es vor allem als weiteren Impuls, mit dem wir uns beschäftigen werden.“
Man könnte auch sagen: Viel Lärm um nichts. Denn die Forderungen Kühnes – unter anderem die Aufstockung der Anteile auf 39,9 Prozent, die Bildung eines ständigen Arbeitsausschusses, Neubesetzung von Aufsichtsrat und Vorstand – waren in dieser Form schlicht nicht annehmbar.
Aufsichtsratschef Jansen hält Kühne aber weiter die Tür offen
So ganz wollte Jansen, der früher ein sehr vertrauensvolles Verhältnis mit Kühne pflegte, dem 85-Jährigen die Tür vor der Nase dann aber doch nicht zuschlagen. Jansen erinnerte den vermögenden HSV-Fan daran, dass er und sein Präsidium ohnehin auf der Mitgliederversammlung 2021 den Auftrag erhalten hätten, „die bestmögliche Rechtsform für den HSV zu bewerten und der Mitgliedschaft vorzustellen. Diesem Mandat kommen wir mit aller Überzeugung, Sorgfalt und mit der notwendigen Zeit nach“.
Vor allem Schatzmeister Michael Papenfuß, der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, treibt die Planungen im Hinblick auf eine mögliche Umwandlung der AG in eine KGaA voran. In so einer Kommanditgesellschaft auf Aktien könnten dann tatsächlich auch wieder mehr Anteile verkauft werden – ohne, dass man die 50+1-Regelung der DFL verletzt. „Das bedeutet, dass wir demokratische Partizipation, wirtschaftliche Sicherheit und Handlungsfähigkeit gewährleisten“, schrieb Jansen.
HanseMerkur bietet Darlehen zur Stadionsanierung an
Das alles: Zukunftsmusik. Im Hier und Jetzt muss vor allem der richtige Ton im Hinblick auf die Stadionmodernisierung getroffen werden. „Thomas Wüstefeld hat zu diesem Thema in der Aufsichtsratssitzung klare Wege und Optionen aufgezeigt, und wir haben diesem Vorgehen ebenfalls zugestimmt“, ließ Jansen wissen. „Die ersten Maßnahmen können starten, und die lange Pause im Herbst/Winter kann entsprechend genutzt werden.“
Wie das Abendblatt bereits in der Montagsausgabe berichtete, hat Wüstefelds Weg und Option vor allem einen Namen: HanseMerkur. Der neue Hauptsponsor, der in der Zweiten Liga 2,6 Millionen Euro zahlt und im Falle des Aufstiegs sogar 5,8 Millionen Euro ausgeben würde, ist sich mit dem HSV-Vorstand über ein Millionendarlehen in Höhe von 23 Millionen Euro im Hinblick auf die Stadionmodernisierung einig. „Für uns gehört der HSV genauso zu Hamburg wie der Michel und die Elbphilharmonie. Deshalb ist es uns als neuer Hauptsponsor des HSV im Sinne gelebter Partnerschaft ein Anliegen, den Verein im Rahmen unserer Möglichkeiten bestmöglich bei der Modernisierung des Stadions zu unterstützen“, bestätigt das Unternehmen am Montag den Abendblatt-Artikel in einem offiziellen Statement – und betont dabei ein weiteres Mal, dass die Voraussetzung für das Darlehen die Einigung mit allen Bürgen sei. Denn noch immer gibt es offene Fragen.
Bürgt die Stadt doch? Wüstefeld hofft auf Wirtschaftssenator Westhagemann
So hat Wüstefeld in der Aufsichtsratssitzung bekräftigt, dass die Stadt Hamburg als einer von mehreren Bürgen – unter anderem auch Investor Detlef Dinsel – geradestehen würde. Zunächst muss es allerdings ein geordnetes Verfahren geben. Zuletzt gab es aus der Finanz- und der Sportbehörde eher ablehnende Zeichen. Aber Wüstefelds großer Vorteil: Vorsitzender der städtischen Kreditkommission ist Wirtschaftssenator Michael Westhagemann, ein guter Bekannter von ihm.
Nun müssen also die Unterschriften her. Genau diese erwartet in dieser Woche auch Aufsichtsrat Hans-Walter Peters, der aufgrund des HanseMerkur-Plans am Freitag seinen Abwahlantrag gegen Wüstefeld kurzfristig zurückzog. Wüstefeld selbst will bereits in den kommenden Tagen mit dem kritischen Banker das Gespräch suchen – genauso wie mit Karl Gernandt, dem Chef der Kühne-Holding. Dieser hatte erst kürzlich von Wüstefelds Anwälten Post mit dem Vorwurf der „arglistigen Täuschung“ beim Anteilsdeal im vergangenen Herbst bekommen. Ein Gesprächsangebot würde Gernandt nach Abendblatt-Informationen deswegen auch nicht annehmen.
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Dabei ist das Miteinandersprechen doch eigentlich immer gut – findet zumindest auch Marcell Jansen. „Selbstverständlich werde ich mich auch direkt und persönlich mit Herrn Kühne zu seinem Angebot austauschen“, ließ sich der Aufsichtsratsvorsitzende am Montag zitieren. Und auch zum schlechten Verhältnis der Vorstände Wüstefeld und Jonas Boldt wollte Jansen noch etwas loswerden: „Wir haben beiden Vorständen klar unser Vertrauen ausgesprochen und stehen hinter den jeweiligen Planungen und Zielsetzungen. Jetzt ist es wichtig, den Fokus darauf zu setzen, diese Ziele zu erreichen im Sport, bei den Finanzen und in der Struktur.“
HSV hält an bestehender Vorstandskonstellation fest
Von seinem ursprünglich selbst gesetzten Zeitplan, sowohl mit Boldt (Vertrag bis Sommer 2023) als auch mit Wüstefeld (in den Vorstand bis Januar 2023 entsandt) kurzfristig zu verlängern, ist Jansen nach den Geschehnissen der vergangenen Wochen vorerst abgerückt. „Wir haben uns darauf verständigt, in der längeren Pause ab November in die Gespräche zu gehen, um dann auch zu sehen, wo wir im Hinblick auf die Zielsetzungen stehen.“
Und auch dazu, wo der HSV sportlich aktuell steht, hat Jansen eine klare Meinung: „Die Ausgangssituation ist so gut wie lange nicht. Die Mannschaft konnte gehalten werden und wir haben uns gezielt mit neuen Spielern verstärkt. Die Transferausgaben und weitere Transfermöglichkeiten sprechen eine klare Sprache in der Zweiten Liga.“ Alles andere als das klar formulierte Ziel Aufstieg ist für Jansen nicht mehr darstellbar. „An diesem Ziel müssen wir uns alle orientieren. Wir brauchen eine klare Leistungskultur, die wir bis zum Schluss der Saison über die Ziellinie bringen.“ Und noch ein Ziel hat Jansen: schnellstmöglich gesund werden.