Hamburg. Der Innenverteidiger trifft im ersten HSV-Pflichtspiel gleich auf Heimatverein Dynamo Dresden. Macht ihn Thioune zum Kapitän?

Rund 10.000 Zuschauer sollen am Montagabend im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion dabei sein, wenn Drittligist Dynamo im DFB-Pokal auf Zweitligist HSV trifft. Auch die Familie von Toni Leistner wird auf der Tribüne sitzen. Der 30-Jährige, der vor genau zwei Wochen als Neuzugang beim HSV vorgestellt wurde, kommt aus Dresden, spielte für Dresden und wird mit seiner Familie nach der Karriere auch wieder in Dresden leben.

Ob Leistner am Montag (18.30 Uhr) in Dresden gegen seinen Heimatverein aber auch spielen kann, ist noch nicht sicher. Der Grund ist ein schöner. Leistner und seine Frau Josefin werden zum zweiten Mal Eltern.

Stichtag ist der 22. September. „Ich habe meine Frau so getrimmt, dass sie auf das Spiel Rücksicht nimmt“, sagte Leistner am Donnerstag im Spaß. Sollte das Baby allerdings früher kommen, könnte der Innenverteidiger das Spiel verpassen. „Ich bin auf Abruf. Wenn ich den Bauch meiner Frau sehe, könnte es jederzeit losgehen. Sollte es am Montag im Stadion einen Aufschrei geben, könnte es meine Frau sein“, sagt Leistner und lacht. „Ich hoffe aber, dass ich das Spiel auf dem Platz genießen kann.“

HSV: Was Leistners bester Kumpel Kirsten sagt

Dass Leistner gleich sein erstes Pflichtspiel für den HSV in seiner Heimatstadt bestreitet, hätte man nicht besser konstruieren können. Die ersten 24 Jahre seines Lebens verbrachte Leistner in der sächsischen Elbmetropole. Er spielte in der Jugend für die SG Verkehrsbetriebe Dresden und den SC Borea Dresden, ehe es mit 20 zu Dynamo ging. Gerade erst hat er in Dresden ein Grundstück gekauft, auf dem er in ein paar Jahren ein Haus bauen will, wenn seine Tochter eingeschult wird. „Ich bin noch so oft wie möglich in Dresden und freue mich, am Montag einige bekannte Gesichter wiederzusehen.“

Eines dieser bekannten Gesichter könnte Benjamin Kirsten sein. Der ehemalige Torwart von Dynamo Dresden überlegt noch, ob er sich das Spiel im Stadion anschaut. Seinen Kumpel Toni Leistner zu sehen wäre sicher ein Grund. Allerdings telefonieren die beiden ohnehin fast jede Woche. Seit sie zusammen in Dresden spielten, sind sie beste Freunde.

„Dass wir unsere Freundschaft über all die Jahre erhalten haben, ist im Fußball sicher nicht alltäglich“, sagt Kirsten am Donnerstag im Gespräch mit dem Abendblatt auf dem Weg zur Reha. Der 33-Jährige hat sich vor wenigen Wochen den Meniskus eines verstorbenen Spenders in sein geschädigtes Knie einsetzen lassen. Vier Jahre spielte Kirsten zwischen 2010 und 2014 in Dresden mit Leistner zusammen.

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Leistners Stärken wären beinahe verkannt worden

Dass es der neue HSV-Profi bis in die Bundesliga schaffte, hat er auch seinem Freund zu verdanken. Als die beiden zunächst in der Oberliga für Dynamo II spielten, war Leistner noch Rechtsverteidiger. „Ich habe damals im Verein schon gesagt, dass der Junge nicht rechts hinten spielen sollte“, erinnert sich Kirsten. „Toni war groß, schnell, robust und hatte ein gutes Zweikampfverhalten. Ich habe früh gesagt, wenn er in der Innenverteidigung spielen würde, hätte er Bundesliganiveau. Das wurde aber erst später verwirklicht.“

Leistner (r.) 2008 als Borea-Dresden-Kapitän gegen Dynamo.
Leistner (r.) 2008 als Borea-Dresden-Kapitän gegen Dynamo. © imago sportfotodienst | imago sportfotodienst

Zehn Jahre sollte es dauern, bis es Leistner in die Bundesliga schaffte. Nicht für Dresden, sondern für den 1. FC Köln, der ihn für ein halbes Jahr von den Queens Park Rangers auslieh. Auch in Dresden hatte der damalige Trainer Olaf Janßen das Innenverteidigerpotenzial Leistners erkannt, doch da war es schon zu spät. Dynamo stieg 2014 in die Dritte Liga ab und Leistner hatte sich bereits für einen Wechsel zu Union Berlin entschieden.

Dresden blieb Leistners Zuhause

Sein Zuhause aber blieb Dresden. „Toni ist sehr heimatverbunden. Ich rechne ihm hoch an, dass er nie vergessen hat, wo er herkommt“, sagt Kirsten. Dass bewies sein Kumpel kürzlich, als er in der Corona-Krise bei seinem ersten Herrenverein Borea Dresden nachfragte, ob er helfen könne. Wenig später übernahm er für einen Monat die Gehälter aller Borea-Jugendtrainer. Auch beim jährlichen Borea-Stammtisch im November ist Leistner nahezu immer dabei.

Es waren daher auch nicht nur die fußballerischen Qualitäten, mit denen Leistner den HSV von sich überzeugen konnte. Der neue Abwehrchef soll der Mannschaft auch als Typ helfen. Es wäre keine große Überraschung, sollte Leistner auf Anhieb Kapitän werden. Trainer Daniel Thioune will noch in dieser Woche den neuen Spielführer bestimmen, wenn das Team den Mannschaftsrat gewählt hat. Leistner hat gute Chancen, nachdem er schon im jüngsten Test gegen Hertha die Binde am Arm trug. „Er ist sicher allein schon aufgrund seiner Art und seiner Vita ein Kandidat“, sagt Thioune.

Leistner spricht schon wie ein echter Hamburger

Leistners Kumpel Kirsten würde Thioune mit dieser Entscheidung überraschen. „In Dresden war ich eher derjenige, der geführt hat. Toni war noch jung und etwas ruhiger. Aber er wurde später Kapitän in England, und das als Deutscher. Das ist ein Privileg.“ Bei den Queens Park Rangers wurde Leistner schon einmal auf Anhieb Kapitän. Die Fans nannten ihn liebevoll „Big Friendly German“.

Im Sommer löste Leistner seinen noch bis 2021 laufenden Vertrag in London auf, weil er nach der Leihe in Köln weiter in Deutschland spielen wollte. Darüber war auch Benjamin Kirsten informiert. „Wir haben uns in den vergangenen Wochen häufig unterhalten, auch über den HSV. Toni wollte gerne in Deutschland bleiben. Ich wünsche ihm, dass er mit Hamburg in die Bundesliga zurückkehrt“, sagt Kirsten.

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Zunächst aber muss Leistner mit dem HSV die erste Pokalrunde überstehen. Wenn er über das Spiel spricht, ist er schon echter Hamburger. „Wir sind immer noch der HSV und können in Dresden mit einem großen Selbstvertrauen antreten“, sagt Leistner. „Dynamo hat einen großen Umbruch hinter sich. Da weiß man noch nicht, ob gleich alles greift.“ Und wenn das beim HSV jemand weiß, dann ist es Toni Leistner.