Bad Häring/München. Neuzugang Leistner hat seinen eigenen Kopf. Das wurde ihm in England zum Verhängnis. Beim HSV soll er die junge Mannschaft führen.
Am frühen Sonntagmorgen war im verregneten Tirol noch einmal der Schweinehund gefragt. Ein sogenannter Shuttle Run Test stand kurz vor der Abfahrt in Richtung des Münchener Flughafens auf dem Programm. Intervallläufe mit immer höherem Tempo. Und das Ganze im strömenden Regen. „Zumindest das Wetter bin ich ja gewohnt“, sagte HSV-Neuzugang Toni Leistner, der erst am späten Donnerstagabend aus der Schlechtwetter-Metropole London eingeflogen war.
Toni Leistner hat sich schnell entschieden
Völlig unabhängig vom Wetter soll sich Leistner in der vergangenen Woche genauso schnell für Hamburg und den HSV entschieden haben, wie er beim Abschlusstraining in Bad Häring über den Platz sprintete. Nur Kumpel Simon Terodde, mit dem er im vergangenen Halbjahr in Köln zusammenspielte, ging es nicht schnell genug. „Simon ging mir die ganze Woche auf den Sack und fragte immer, wann ich denn nun kommen würde“, berichtet Leistner. „Durch die Zeitverschiebung hatte ich jeden Tag morgens eine Nachricht von ihm auf dem Handy.“
Am Mittwoch habe er dann erstmals auch etwas länger mit Trainer Daniel Thioune telefoniert, am Donnerstag folgte die Einigung. „Der HSV ist nicht nur ein extrem großer Club in Deutschland. Auch international“, schwärmt der gebürtige Dresdner kurz nach seiner Ankunft in Österreich. „Als ich meinen Ex-Kollegen in London erzählt habe, wo es für mich hingeht, da wussten die schon ganz genau Bescheid. Der HSV spielt in einer Liga, wo er gar nicht hingehört.“
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Leistner: Keine Lust mehr auf Spielchen
Genau dies soll Leistner nun nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten auf dem Platz ändern. „Toni ist gierig gegen den Ball, sehr aktiv. Aber er ist vor allem auch in der Lage, eine junge Mannschaft zu führen“, sagt Trainer Thioune. „Ich brauchte jemanden auf dem Platz, der sofort da ist, der sofort funktioniert.“
Zwei Jahre ist es her, dass sie auch bei den Queens Park Rangers, Traditionsclub von 1882, genauso jemanden gesucht hatten. Als Leistner nach vier Jahren als Publikumsliebling von Union Berlin auf die Insel wechselte, sprach der 1,90-Meter-Brocken davon, dass sich für ihn ein Kindheitstraum erfüllt habe. Und tatsächlich hätte Leistners Start in England nicht besser laufen können. Der Abwehrbulle wurde direkt zum Kapitän bestimmt, stand in seiner Premierensaison in 47 (!) Pflichtspielen auf dem Platz. Doch dann musste Leistner schmerzhaft herausfinden, dass es im Profifußball eben nicht immer nur um Fußball geht.
„Im zweiten Jahr bekamen wir einen neuen Trainer. Direkt an seinem zweiten Tag wurde mir dann mitgeteilt, dass ich in seinen Augen zu viel verdiene. Solange das Transferfenster offen war, habe ich kaum gespielt. Als das Transferfenster dann wieder zu war, habe ich plötzlich wieder jedes Spiel gemacht“, sagt Leistner, für den das gleiche Spiel wenig später von vorne losging. „Am 1. Januar haben wir noch 6:1 gewonnen, dann war das Transferfenster wieder offen – und ich saß wieder auf der Bank. Da habe ich mir selbst gesagt, dass ich auf solche Spielchen keine Lust mehr habe. Für mich war dann klar, dass ich den Club im Sommer verlassen werde.“
Leistner wechselte zunächst zum 1. FC Köln
Zunächst wechselte Leistner für die Rückrunde auf Leihbasis zum 1. FC Köln, wo er sich schnell einen Stammplatz erkämpfte. Doch als die Saison vorüber war, ging der Ärger mit den Besitzern des Londoner Clubs, zu denen neben einem indischen Millionär und einem malaysischen Unternehmer auch Formel-1-Lebemann Flavio Briatore gehört, weiter. „In England gibt es eben Besitzer, und ich glaube, der eine hat sich noch nicht ein Spiel in der Saison angeschaut“, hatte Leistner noch vor Kurzem Klartext gesprochen.
Als HSV-Sportdirektor Michael Mutzel und Sportvorstand Jonas Boldt von Leistners Ärger in England hörten, ging alles ganz schnell. Ähnlich wie bei Simon Terodde, der trotz laufenden Vertrags ablösefrei wechseln durfte und obendrein vom 1. FC Köln noch knapp eine Million Euro Abfindung erhielt, handelte auch Berater Thomas Kroth für Leistner ein millionenschweres Abschiedsgeschenk aus. „Ich wollte den Verein nicht verlassen, aber der Verein ist durch das ,Financial Fair Play‘ in England gezwungen, höher bezahlte Spieler von der Gehaltsliste herunterzubekommen“, hatte der Innenverteidiger im Winter dem RBB gesagt.
Heute sagt er: „Ich sage nicht zu allem Ja und Amen.“ Aber: „Trotz der Differenzen würde ich ein positives Fazit meiner Zeit in England ziehen.“
Von 2010 bis 2014 hat Leistner bei Dynamo Dresden gespielt
Eine positive Zeit wollen Leistner, Tochter Clara und seine hochschwangere Frau Josefin („Sie ist eine tickende Zeitbombe“) nun auch in Hamburg haben. Dabei darf man es ruhig als Laune des Fußballs bezeichnen, dass der neue Abwehrchef gleich in seinem ersten Pflichtspiel mit dem HSV in seiner alten Heimat Dresden im Pokal vorspielen muss. „Für den Wiederaufstieg drücke ich Dynamo die Daumen. Aber Freundschaftsgeschenke werde ich nicht ver-teilen“, sagt Leistner, der von 2010 bis 2014 bei Dynamo Dresden gespielt hat.
Ohnehin sei er stolz darauf, bislang nur für Traditionsvereine gespielt zu haben. Dynamo Dresden, Union Berlin, Queens Park Rangers, 1. FC Köln und jetzt der HSV: „Wenn ich irgendwann mal auf meine Karriere zurückschaue, dann kann man schon stolz darauf sein. Das sind geile Vereine. Und so eine Dose mache ich mir nicht so gerne auf.“
Aus der Dose muss Leistner beim HSV nicht trinken. Umstellen muss er sich in Hamburg aber dennoch. Die Wettervorhersage für die kommenden vier Tage: 21 Grad, Sonne – und kein Regen.