Hamburg. Viele Berater wittern bei Talenten das große Geld. WhatsApp-Protokolle und interne E-Mails verraten die dunklen Seiten des Geschäfts.

Mittwochnachmittag, 15 Uhr, Volkspark. Trainingsalltag für die HSV-Profis nach zwei freien Tagen. Auf dem Platz mittendrin statt nur dabei: Stephan Ambrosius (21), Jonas David (20) und Aaron Opoku (21). Zudem noch im Kraftraum: Nationalmannschaftsrückkehrer Josha Vagnoman (19).

Gleich vier Gemeinsamkeiten hat das Talente-Quartett: Alle vier Youngster wurden in Hamburg geboren, im eigenen HSV-Nachwuchs ausgebildet und träumen jetzt von einer großen Fußballkarriere. Und: An allen vieren zieht und zerrt eine ganze Heerschar von Beratern, die den gleichen Traum hat – und diesen mit allen Mitteln zu Geld machen will.

Es geht nicht nur um Geld, es geht um viel Geld. In der Spielzeit 2018/19 gaben die 18 Bundesligaclubs laut Finanzreport der Deutschen Fußball-Liga 204,5 Millionen Euro für Spielerberater aus. Dem HSV waren die Dienste der Agenten 3,31 Millionen Euro wert. Tendenz: steigend. Die wertvollsten Aktien im Portfolio der Berateragenturen sind hochtalentierte Nachwuchsspieler.

Vagnoman soll sich beim HSV durchsetzen – oder?

Beispiel Vagnoman: Der Außenverteidiger gilt als das aktuell größte Talent des HSV. Aufgewachsen in Lemsahl, ausgebildet in Poppenbüttel, seit seinem zehnten Lebensjahr beim HSV. Seit vielen Jahren wird der U-21-Nationalspieler von der renommierten Hamburger Agentur FTC betreut, deren Geschäftsführer der frühere HSV-Nachwuchsleiter Dieter Gudel ist.

Ihr Plan mit Vagnoman: Der 1,87 Meter große Nachwuchsfußballer, der im vergangenen Jahr mit der silbernen Fritz-Walter-Medaille in Silber als zweitgrößtes U-19-Talent Deutschlands ausgezeichnet wurde, soll in seinem gewohnten Umfeld in Hamburg reifen – und sich beim HSV durchsetzen. „Bei uns steht die sportliche Entwicklung im Mittelpunkt“, sagte Gudel kürzlich dem Abendblatt. So weit die Theorie.

In der Praxis irritierten vor Kurzem Meldungen aus Italien, nach denen Serie-A-Club Hellas Verona Vagnoman unbedingt kaufen wollte. Nur: Ein offizielles Angebot hat es nie gegeben. Einen Vermittler, der diesen Millionendeal gerne durchsetzen wollte, dagegen sehr wohl: Gianluca Fiorini.

HSV: Kam es wegen Vagnoman zu Bedrohungen?

Der Italiener, der in London wohnt und einen 19 Monate alten Sohn Oliver in Hamburg hat, ist höflich und freundlich, als ihn das Abendblatt erreicht. Er berichtet von einem offiziellen Mandat aus Verona, von einem Angebot von vier Millionen Euro (plus eine Million Euro Bonuszahlung) und von dem unbedingten Wunsch Vagnomans und seiner Hamburger Agentur, diesen Transfer durchzuziehen.

Allerdings: WhatsApp-Protokolle mit 25 Nachrichten vom 15. bis zum 28. Juli zwischen ihm und Berater Gudel und interne E-Mails zwischen ihm und HSV-Sportvorstand Jonas Boldt, die dem Abendblatt vorliegen, bestätigen diese Version nicht.

Ein Kennenlerntreffen in Hamburg, das Agenturchef Gudel zur Bedingung machte, kam nie zustande. Später soll es zu Beschimpfungen und sogar Bedrohungen gekommen sein. Sowohl Gudel als auch Boldt blockten Fiorinis Kontakt. Der Italiener bestreitet gegenüber dem Abendblatt, ausfallend geworden zu sein. Am Ende habe sich Verona einfach für einen anderen Rechtsverteidiger entschieden. Für zwei Millionen Euro wurde Kevin Ruegg (21) vom FC Zürich gekauft. „So ist das Business“, sagt Fiorini.

Was plant Ambrosius’ neuer Berater?

Dass dieses Business gerade auch in Italien erstaunliche Blüten treibt, wird auch im Fall von Stephan Ambrosius schnell klar. Ebenfalls Hamburger Jung, in Wilhelmsburg aufgewachsen, seit seinem 14. Lebensjahr beim HSV – und glaubt man seinem neuen Berater Nochi Hamasor, dann ist auch er genau wie Vagnoman besonders in Italien begehrt.

Ambrosius gilt als Kämpfertyp, der das Herz am rechten Fleck hat. Einziges Manko: Sein Passspiel müsse besser werden. Den Doppelpass mit den Medien beherrscht Berater Hamasor dagegen wie kein Zweiter. Am Montag berichtet die „Bild“-Zeitung von Interessenten aus Zypern, den Niederlanden und eben Italien und zitierte Hamasor: „So ein Spieler wie Ambrosius gehört nicht in die 2. Liga.“

Am Dienstag folgten Meldungen aus Italien, nach denen es ein konkretes Interesse vom SSC Neapel geben soll und sich Hamasor bereits mit den Verantwortlichen getroffen habe.

HSV weiß nichts von Ambrosius-Offerten

Das Problem an all den Meldungen: Beim HSV weiß man von nichts und ist – gelinde gesagt – verwundert über das ungewohnte Offensivspiel von Ambrosius, beziehungsweise von dessen Berater. Zur Erinnerung: Der 21-Jährige, der auf dem Platz vor allem in der Sommervorbereitung zu gefallen wusste, hat in den vergangenen zwei Jahren genau zwei Profispiele absolviert, aber schon fünf (!) Beraterwechsel hinter sich.

Den Anfang machte die Hamburger Agentur Sports United. Es folgte FTC, die den ersten Profivertrag von Ambrosius mit einem Monatsverdienst von 12.000 Euro erfolgreich aushandelten. Trotzdem wechselte der bullige Abwehrmann schon bald zur Kölner Agentur 100&10 Percent, die auch HSV-Kollege Jeremy Dudziak vertritt. Ein Jahr später die Rückkehr zu FTC, im Januar dann der Wechsel zu Seven United und nun also Hamasor.

Neuer Ambrosius-Berater ist beim HSV bekannt

Der Schwede, ein Jugendfreund von Zlatan Ibrahimovic, ist beim HSV kein Unbekannter. Ex-Trainer Markus Gisdol hat er einmal in einem Interview als „Feigling“ und „Memme“ bezeichnet, weil dieser seinen damaligen Klienten Nabil Bahoui nicht spielen ließ.

Und vor Kurzem überredete er HSV-Talent Moritz Kwarteng (22), der noch ein Jahr Vertrag hat, zu einem Probetraining beim dänischen Club FC Randers. Ein weiterer Vorwurf: Gleich mehrere HSV-Talente soll er hinter ihren Rücken in Skandinavien angeboten haben, darunter auch Vagnoman. Der sonst so auskunftsfreudige Hamasor war für eine Stellungnahme diesmal nicht zu erreichen.

Mehr zum Thema:

HSV-Talent David in Holland angeboten

Ambrosius Abwehrkollege Jonas David, aufgewachsen in Meiendorf, hat zwar mit Italien und Skandinavien nichts am Hut, wäre aber fast in den Niederlanden gelandet – allerdings ohne sein Wissen. Im Sommer hatten zwei Berater der holländischen Agentur Key Sports Management den U-20-Nationalspieler David bei Heracles Almelo und beim FC Utrecht feilgeboten. Nur: Der HSV, Davids Berater und er selbst wussten von nichts.

„Es wäre sehr zu befürworten, wenn die Verbände und Clubs strenge Zulassungsbedingungen miteinander verabreden, damit zumindest absurde und branchenverzerrende Aktionen unterbleiben – denn viele Berater arbeiten seriös und vertrauensvoll mit Clubs und Spielern zusammen und werden mit diesen Trittbrettfahrern in einen Topf geworfen“, sagt FTC-Chef Gudel.

HSV-Talent Opoku bei niederländischer Agentur

Gut beraten muss nun auch Talent Opoku werden. Der Flügelflitzer aus Hamburg-Billstedt, dessen Zukunft ungewiss ist, wechselte vor einiger Zeit von FTC zur niederländischen Großagentur SEG (Sports Entertainment Group). Beim Fachportal „transfermarkt.de“ hat die Agentur 266 (!) Klienten gelistet, Opoku ist an Jubiläumsstelle 100.

Anders als bei Ambrosius ist ein erneuter Beraterwechsel in Kürze für den 21-Jährigen allerdings ausgeschlossen. Im Gegensatz zu Deutschland ist man laut niederländischem Vertragsrecht an die Agentur gebunden, bei der man einen Vertrag unterzeichnet hat.

In Deutschland brauchen Spielerberater mittlerweile keine Lizenz mehr. Um die Auswüchse auf dem Markt zu kontrollieren, wird beim Weltverband Fifa diskutiert, ob künftig die Spieler bei Transfers selbst ihre Agenten bezahlen und nicht die Vereine. Eine klares Regulativ ist aber noch nicht in Sicht.

„Letztendlich hat jeder Spieler den Berater, den er verdient“, sagt Dieter Gudel. „Es gibt einige Spieler, die sich durch ihre Beratung auf dem Weg in die Bundesliga wähnen, aber dann doch in der Regionalliga auf der Ersatzbank landen.“