Hamburg/Dresden. Ralf Becker ist jetzt bei Dynamo Dresden. Ein Gespräch über Ultras, Rechte, Vorgänger Minge und nervige HSV-Altstars.

Am Dienstagmorgen um 10 Uhr ist es endlich so weit: Schlüsselübergabe. Ralf Becker steht in seiner neuen Wohnung in der Dresdner Altstadt, nur 200 Meter vom Zwinger entfernt. Zehn Wochen lang hatte der frühere HSV-Sportvorstand und jetzige Dynamo-Geschäftsführer Sport im Hotel gewohnt, ehe Becker am Dienstag endlich in seine eigenen vier Wände einziehen kann. Am Donnerstag werden die letzten Kisten aus der Garage von der Oma in Stuttgart abgeholt – dann kann Beckers Abenteuer im wilden Osten endlich so richtig los gehen.

„Ich komme aus dem Süden, war lange im Norden, habe auch schon mal Fußball im Westen gespielt und bin jetzt im Osten“, sagt Becker wenige Tage vor dem Pflichtspielauftakt von Dynamo Dresden im Gespräch mit dem Abendblatt. „Und ich muss sagen, dass ich mich wirklich ausgesprochen wohl fühle.“

Mutzel freut sich auf Wiedersehen mit Becker

Dass seine neue Mannschaft am Montagabend im DFB-Pokal auf seinen Ex-Club HSV trifft, ist so eine typische „Ausgerechnet“-Geschichte. Natürlich freue er sich auf das Spiel gegen seinen Ex-Club, auf die Mannschaft, die er in großen Teilen noch selbst zusammengestellt hatte – und vor allem auf Sportdirektor Michael Mutzel.

„Es ist ja kein Geheimnis, dass Ralf einst ein wichtiger Grund für mich war, nach Hamburg zu kommen. Auch nach seinem Ende beim HSV pflegen wir regelmäßigen Kontakt. Ralf war und ist nicht nur ein Kollege, sondern ein Freund“, sagt Mutzel, der im vergangenen Jahr Becker noch oft bei sich zu Hause begrüßen konnte.

Nun arbeitet der eine (Becker) die Elbe hoch, der andere (Mutzel) die Elbe runter. „Ich bin sehr herzlich empfangen worden“, sagt Becker, der all die Stereotypen über Dresden nicht mehr hören kann. „Viele Klischees, die man über Dresden hört, sind einfach nicht wahr. Auch in Dresden gibt es ein Viertel wie die Neustadt, das teilweise an das Schanzenviertel oder St. Pauli erinnert.“

Becker: Dresden ist kein Rassisten-Verein

Natürlich kennt auch Becker die Probleme Dresdens und will diese nicht beschönigen. Die schlimmen Krawalle in Freital oder Heidenau, rechtsradikale Aufmärsche, Montagsdemonstrationen. Bei der Landtagswahl vor einem Jahr haben 22,4 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Kein Wunder also, dass von den 13 Neuzugängen, die Becker in den vergangenen zwei Monaten verpflichtet hat, er manch einem erklären musste, dass es auch in Dresden neben schwarz und weiß jede Menge Buntes gibt.

„Auch Dynamo ist kein Rassisten-Verein, zu dem ihn manch einer von außen macht, wenn er sich nicht richtig mit dem Club beschäftigt“, sagt er. „Es gibt hier alle politischen Richtungen auf der Tribüne – und natürlich haben wir null Toleranz gegen rechte Tendenzen.“

Dynamo Dresden und seine treuen Fans

Dynamos Fanszene ist auch unabhängig von etwaigen Tendenzen weit über die Stadtgrenzen berühmt-berüchtigt. In der ewigen Strafentabelle des DFB liegt der Club seit Jahren auf Platz eins, wurde sogar mal für eine Saison aus dem DFB-Pokal ausgeschlossen. Das ist die eine Seite.

Doch natürlich gibt es in Dresden auch eine andere Seite: Die der Anhänger, die den hoch verschuldeten Club durch zwei Sonderumlagen entschuldeten. So wurde vor Corona aus acht Millionen Euro Schulden im Sommer 2014 innerhalb von nur fünf Jahren bis zum Herbst 2019 ein positives Eigenkapital von rund acht Millionen Euro.

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„Ich finde es total verständlich, dass in Dresden die Fans möglicherweise mehr mitgenommen werden sollen und müssen als in manch einer anderen Stadt. Am Ende waren es die Dynamo-Fans, die den Verein in den zurückliegenden Jahrzehnten durch verschiedene Aktionen am Leben erhalten haben“, sagt Becker, der nach wenigen Tagen im Amt auch Bekanntschaft mit einigen der führenden Dynamo-Ultras machte.

„Wir wollen ein gutes Miteinander, wobei es im operativen Geschäft natürlich auch Grenzen gibt“, sagt er und betont erneut: „Natürlich wollen wir da auch nichts schönreden: Wenn es Ausschreitungen gibt, dann werden wir da konsequent handeln. Wir haben null Toleranz für Gewalt oder Rassismus.“

Becker hofft auf 10.000 Fans gegen den HSV

Am Montag wollen und sollen sich Dynamos Fans nach vielen Monaten unbedingt von ihrer besten Seite zeigen. Nach der Sicherheitsbesprechung am Dienstag ist endgültig klar, dass erstmals seit Corona wieder Fans ins Rudolf-Harbig-Stadion dürfen, der Kartenverkauf geht bereits an diesem Mittwoch los.

„Ich hoffe schon auf rund 10.000 Zuschauer“, sagt Becker. „Es wäre ein Stück weit Normalität, die allen gut tun dürfte. Das Infektionsgeschehen in Sachsen ist einfach sehr gut, deswegen finde ich es richtig, wenn man versucht, Dinge möglich zu machen. Auch beim HSV wird man sich darüber freuen, wenn man wieder vor Zuschauern spielen kann.“

Tatsächlich nennt auch Mutzel die Entscheidung Dresdens „einen ersten guten Schritt.“ Eine Obergrenze ist vom Gesundheitsamt nicht festgelegt. Einzige Bedingung: Zwischen unterschiedliche Freundes- und Familiengruppen, die jeweils bis zu zehn Personen umfassen können, muss Abstand gehalten werden.

Becker übt Kritik an HSV-Ikonen

Mehr als nur 1,50 Meter Abstand hätte Becker gerne in seiner HSV-Zeit von manch einer sogenannten Legende gehalten. Im Gegensatz zu seinem neuen Club, der als Traditionsverein auch jede Menge Ehemalige zu bieten hat, habe ihn die permanente Negativität mancher Ex-Stars schwer genervt.

„Grundsätzlich habe ich in Dresden schon das Gefühl, dass es den ehemaligen Spielern immer nur um Dynamo geht und dass sie persönliche Dinge hinten anstellen“, sagt er. „Dieses Gefühl hatte ich in Hamburg leider nicht immer. Da war manch ein Ehemaliger sehr viel destruktiver – und hat damit dem Club leider nicht geholfen.“​​

Ähnliches musste Becker nun auch in Dresden befürchten, nachdem er ausgerechnet Dynamo-Legende Ralf Minge beerbte. „Mir war von Anfang an klar, dass ich mich nicht mit Ralf Minge vergleichen will. Er ist eine Vereinslegende, die er immer bleiben wird“, sagt Becker, der sich aber positiv überraschen ließ: „Mir war wichtig, dass wir einen gemeinsamen Übergang finden, der tatsächlich auch schnell gelungen ist. Ralf Minge ist immer ansprechbar und hilft gerne.“

Sicherlich dürfte sich Minge auch die Partie seiner Dynamo gegen den HSV am Montag anschauen. Und Becker? Der muss bis zum Anpfiff zunächst einmal Kisten auspacken.