Hamburg. Daniel Thioune: Degradierung des Keepers habe keine sportlichen Gründe. Doch eindeutig ist die Pollersbeck-Story nicht.

Am Sonntag hatte Julian Pollersbeck mal wieder Grund zum Jubeln. Im Trainingsspielchen feierte sein Team am Vormittag einen Sieg im Elfmeterschießen gegen das Team von Konkurrent Daniel Heuer Fernandes. Tom Mickel, der dritte HSV-Torhüter im Bunde, schaute sich das wilde Treiben aus sicherer Entfernung an. Eine Szenerie aus dem Training, die im Vergleich mit der Realität gleich drei Fehler offenbarte: Denn in Wahrheit ist Heuer Fernandes kein Verlierer, Mickel kein Beobachter aus der Distanz – und Pollersbeck mit Sicherheit derzeit kein Gewinner.

„Ich habe eine Entscheidung getroffen, die nicht für zwei Spieler, sondern gegen einen Spieler ausgefallen ist“, hatte Trainer Daniel Thioune noch am Vorabend nach dem 2:0-Sieg gegen Hertha BSC gesagt. Ein Satz wie ein Peitschenhieb. Im Klartext: Die Torhüterentscheidung, die Thioune am Freitag seinen Keepern verkündet hatte, sei keine Entscheidung für Heuer Fernandes oder Mickel gewesen, die beide bis zum Pokalspiel in Dresden weiter um die Nummer eins kämpfen sollen.

Sondern in erster Linie eine Entscheidung gegen Pollersbeck, dem ab sofort nur ein Platz auf der Tribüne bleibt. „Polle ist mit seinen Gedanken nicht so im Hier und Jetzt“, erklärte Thioune etwas mysteriös. „Er verspürt eine gewisse Müdigkeit im Kopf.“

HSV-Degradierung: Pollersbeck reagiert auf Instagram

Pollersbecks mutmaßliche Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Am frühen Sonnabend postete der Torhüter ein Foto von sich, grinsend, mit dem Hashtag „#NurderHSV“ versehen. Die Botschaft hinter dem Foto, so schien es zumindest: Ihr könnt mir mal gar nichts!

Das Bild des Abzockers, der notfalls sein letztes Vertragsjahr auf der Tribüne aussitzen will, war perfekt. Doch wird dieses Bild dem mittlerweile 26-Jährigen tatsächlich gerecht? Oder gibt es zwischen schwarz und weiß vielleicht nicht doch noch einen Grauton?

Menschen, die nichts mit dem Fußballbusiness zu tun haben, aber Pollersbeck gut kennen, haben jedenfalls eine etwas differenziertere Antwort auf diese Frage. Der gebürtige Oberbayer sei höflich, zuvorkommend, respektvoll, nett. Aber auch noch immer jugendlich, naiv und unreif.

Mit 19 Jahren verließ der 1,95-Meter-Schlaks sein Elternhaus, um in der Pfalz beim 1. FC Kaiserslautern von Torwartschleifer Gerry Ehrmann zum Profi gedrillt zu werden. Vier Jahre später wurde Pollersbeck U-21-Europameister, wurde zum besten Torhüter der EM gewählt und wechselte schließlich als Nummer eins zum großen HSV.

Pollersbeck pendelte ständig zwischen Stamm- und Tribünenspieler

Doch der große HSV war schon längst nicht mehr so groß – und Pollersbeck genauso wenig die automatische Nummer eins. Was folgte, ist eine dieser typischen HSV-Karrieren: Ex-Trainer Markus Gisdsol entschied sich gegen das vorlaute Talent Pollersbeck und machte stattdessen den soliden Christian Ma­thenia zur Nummer eins. Im November 2017 folgte Degradierung Nummer zwei: Pollersbeck musste für Tom Mickel den Bankplatz räumen und zunächst auf die Tribüne.

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Pollersbeck kämpfte sich zurück, rotierte direkt ins Tor – und wurde von Gisdol-Nachfolger Hollerbach erneut degradiert. Unter den Hollerbach-Nachfolgern Christian Titz und Hannes Wolf die erneute Rolle rückwärts: Pollersbeck wurde wieder zur Nummer eins, ehe Dieter Hecking ihn wieder zur Nummer drei, dann zwei und schließlich eins machte.

Wahrscheinlich gibt es kaum einen Profitorhüter, dessen Status in so kurzer Zeit so häufig zwischen Stamm-, Ersatz- und Tribünenspieler hin und her wechselte. Und nun auch noch Thioune. „Ich bin ja erst ein paar Tage hier, aber auf diese Tage sollte man die Entscheidung Pollersbeck nicht reduzieren“, sagt der Trainer. „In den vergangenen Jahren ist viel mit Julian passiert.“

Das alles: bekannt. Unbekannt ist dagegen, was im kommenden Jahr noch passieren wird. Verlässt Pollersbeck den HSV? Oder bleibt er? „Julian ist ein guter Junge“, sagt Thioune. Da sei er sich sicher. Unsicher bleibt, ob er auch ein guter Fußballprofi ist.