Hamburg. Der HSV darf sich über eine gelungene Generalprobe freuen. Ist der Club aber auch bereit für Anlauf Nummer drei?
Natürlich wusste Michael Mutzel ganz genau, welche Rolle er am Tag nach der gelungenen Generalprobe gegen Hertha BSC zu übernehmen hatte. Der frühere Mittelfeldstaubsauger, der in 211 Spielen als Profi eher für das Grobe zuständig war, war auch am Sonntagvormittag als Sportdirektor für die erste Abwehrlinie verantwortlich. Selbstverständlich habe der HSV gut gespielt, gab also Mutzel am Rande des Vormittagstrainings zu, mahnte aber direkt im nächsten Halbsatz: „So einen Test darf man aber auch nicht überbewerten.“
2:0 hatte der HSV am Abend zuvor gegen Hertha BSC den letzten Test vor dem Pflichtspielauftakt am kommenden Montag im DFB-Pokal bei Dynamo Dresden gewonnen. Dabei dummerweise auch noch gut gespielt, phasenweise sogar sehr gut. Doch Mutzel, der bei Traditionsvereinen wie Frankfurt, Stuttgart und Karlsruhe gespielt hatte, ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man gerade in einer Stadt wie Hamburg nun erst einmal auf die Bremse zu treten habe.
Vorsichtiges Lob vom Sportdirektor
„Es waren Dinge zu sehen, die positiv stimmen“, lobte er vorsichtig, und verwies dann aber schnell auf die gern zitierte Kirche, die man doch bitteschön im Dorf lassen sollte. Er selbst habe mal als Spieler die Generalprobe mit Zweitligist KSC 3:0 gegen Bundesligist Eintracht Frankfurt gewonnen, den Auftakt dann aber mit 2:4 gegen Alemania Aachen verloren.
Trainer Daniel Thioune dürfte in den verbleibenden sieben Tagen bis zum Pokalspiel in Dresden alles tun, um Ähnliches zu verhindern. Und so nahm sich der Coach ein Beispiel an Mutzel und sprach nach der gelungenen Generalprobe gegen zugegebenermaßen ersatzgeschwächte Berliner über das „teilweise unsaubere“ und das „teilweise unseriöse Spiel“ seiner Mannschaft, wohl wissend, dass sein Team in den 90 Minuten gegen Hertha trotz aller erhobener Zeigefinger vor allem eines tat: zu überzeugen.
Thiounes Mannschaft kann mehrere Systeme spielen
Auf den Tag einen Monat nach dem Trainingsauftakt gefiel Thiounes Mannschaft vor allem durch die einstudierte Variabilität, die den HSV in der kommenden Saison nicht so ausrechenbar machen dürfte wie zuletzt. Neu-Coach Thioune setzte ähnlich wie beim erfolgreichen Test gegen Rotterdam (1:0) zunächst auf ein variables 3-4-1-2-System, das er bei Bedarf immer wieder in eine 3-5-2-, eine 4-4-2- oder sogar eine 5-3-2-Taktik veränderte.
Neuzugang Toni Leistner, der sich auch direkt die Kapitänsbinde überstreifen durfte, überzeugte als Abwehrchef und ließ sogar Gästetrainer Bruno Labbadia erstaunen: „Der HSV hat sehr gut miteinander verteidigt“, lobte der frühere Hamburger, und weiter: „Sie haben für die Zweite Liga ein paar sehr gute Einkäufe getätigt.“
Mannschaft setzt Traineransagen gut um
Dabei waren es gar nicht mal die Neuzugänge, die im Rahmen des zuschauerlosen Volksparkfestes, das lediglich digital übertragen werden konnte, überzeugten. Neu-Stürmer Simon Terodde musste mit Oberschenkelproblemen zuschauen, Neu-Staubsauger Klaus Gjasula weilte bei der Nationalmannschaft und Neu-Talent Amadou Onana durfte erst nach einer guten Stunde ran. Doch weil einige Alte wie komplett Neue auftraten, ließ sich selbst Mahner Mutzel am Tag danach zu einem vorsichtigen Lob hinreißen: „Natürlich hat mir auch einiges gefallen. Die Mannschaft setzt sehr gut um, was das Trainerteam bislang vorgibt.“
Exemplarisch dafür darf besonders Rückkehrer Manuel Wintzheimer herhalten. Der Stürmer, der in der Vorbereitung bereits drei Treffer erzielen konnte, war erneut maßgeblich an beiden Toren beteiligt. Vor dem frühen Führungstreffer ließ er Gegenspieler Maximilian Mittelstädt nur die Möglichkeit, seine überlegte Hereingabe mit der Hand abzuwehren. Den fälligen Strafstoß verwandelte Aaron Hunt (7.) zum 1:0.
Und bei Lukas Hinterseers Treffer zum 2:0 (34.) war der variable Wintzheimer Teil einer vierköpfigen Passstafette mit Jeremy Dudziak, Sonny Kittel und Khaled Narey. „Manu nimmt an, adaptiert sehr schnell. Er hat die Erwartungen bislang als Rückkehrer übertroffen“, lobte Thioune nach der Partie. „Manu hat den Finger gehoben, wenn es um die Startelfplätze geht.“
Überraschung in der Abwehr beim HSV
Wintzheimer ist aber nicht die einzige Überraschung dieser Vorbereitung. In der Abwehr etwa konnte Stephan Ambrosius durch unbändigen Willen und Zweikampfstärke Pluspunkte sammeln. Der 21-Jährige, der in zwei Jahren nur zwei Profispiele absolvierte, hat sogar die Verantwortlichen ins Grübeln gebracht.
Eigentlich wollten die neben Leistner noch einen weiteren Innenverteidiger holen. Da aber sogar Jenas Regionalligaverteidiger Maximilan Rohr (25), der sich über die U21 bei den Profis aufdrängen sollte, als zu teuer gilt, dürfen sich nun die Talente Ambrosius und Jonas David um die vakante Stelle neben dem gesetzten Leistner duellieren.
Doch natürlich war auch nach den Testsiegen gegen Rotterdam und Berlin längst nicht alles Gold, was da vorsichtig glänzt. Für die Talente Aaron Opoku und Xavier Amaechi scheint der anspruchsvolle Fußball Thiounes aktuell noch eine Nummer zu groß. „Wir schauen uns unsere Talente noch eine gute Woche an, dann überlegen wir, ob eine Leihe möglicherweise sinnvoll sein kann“, sagte Sportdirektor Mutzel, der sich Opoku am Sonntag bei seinem Auftritt mit der U21 anschaute.
Sorgen bereiten Jatta und Pollersbeck
Wirklich Sorgen machen neben Torhüter Julian Pollersbeck derzeit aber nur zwei Spieler: Zum einen Bakery Jatta, der aufgrund von
Adduktorenschmerzen gegen Hertha vorzeitig runter musste. Eine MRT-Untersuchung soll an diesem Montag Klarheit ergeben. Und zum anderen ist da ja auch noch der Brasilianer Ewerton, der als einziger Feldspieler 90 Minuten lang auf der Bank blieb und eben nicht für den verletzten Jatta rein durfte. „Ich wollte die Ordnung nicht verändern“, erklärte Trainer Thioune nach dem Spiel, warum er die Partie gegen Berlin lieber zu zehnt beendete als Ewerton ein paar Minuten Spielzeit zu gewähren.
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Aber am Sonnabend reichten am Ende auch zehn Hamburger gegen den selbst ernannten „Big City Club“ aus Berlin. Dass das nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass elf Hamburger am kommenden Montag ein leichtes Spiel in Dresden haben, betonte Mutzel noch einmal: „Wir haben gegen keinen Zweit- oder Drittligisten getestet. Natürlich spielt Hertha ganz anders als Dynamo oder Sandhausen.“
Auf eine Erkenntnis war Trainer Thioune aber doch stolz: „Wir haben gegen Hertha gezeigt, dass wir auch eklig sein können.“ Folgt in Dresden die Fortsetzung, dürfte man sich für Anlauf Nummer drei in Liga zwei gerüstet fühlen.
HSV: Heuer Fernandes – Ambrosius, Jung (62. Kinsombi), Leistner (85. David) – Narey (89. Fabisch), Hunt (62. Onana), Dudziak (85. Amaechi), Leibold (89. Hein) – Kittel (85. Opoku) – Wintzheimer (85. Wood), Hinterseer (62. Jatta). Tore: 1:0 Hunt (7./HE), 2:0 Hinterseer (34.).