Hamburg. Erwartete Trennung wurde am Sonnabend beschlossen. Der HSV-Coach lehnte ein Angebot für einen neuen Vertrag ab. Das sagt Boldt.
Cheftrainer Dieter Hecking (55) möchte Verantwortung übernehmen: Nach dem verpassten Bundesliga-Aufstieg des HSV hat der Coach nach der Saisonanalyse ein Angebot für einen neuen Vertrag abgelehnt. Die Entscheidung fiel laut Trainer Hecking und Sportvorstand Jonas Boldt einvernehmlich.
Am Mittag äußerte sich Dieter Hecking dann auch offiziell: „Wir haben das angestrebte Ziel nicht erreicht. Dafür übernehme ich die Verantwortung.“ Zu der gemeinsamen gefällten Entscheidung der Trennung sagte der Fußballlehrer: „Ich werde, nach ausführlichen Gesprächen u.a. mit Jonas Boldt, meine Tätigkeit in Hamburg nicht fortführen. Ich möchte den Verantwortlichen auch die Möglichkeit geben, in der Nach-Corona-Zeit und unter veränderten Bedingungen die nun nötigen Schritte zu gehen.“
HSV: Hecking und Boldt äußern sich zum Aus des Trainers
Sportvorstand Jonas Boldt unterstrich ebenfalls die gemeinsame Entscheidungsfindung: „Wir hatten einen sehr offenen, ehrlichen Austausch. Wir haben erst die Analyse der abgelaufenen Saison vorgenommen und uns anschließend über die Möglichkeiten für die kommende Spielzeit unterhalten. Unterm Strich sind wir dadurch gezwungen, einen veränderten Weg einzuschlagen."
Heckings Vertrag hätte sich nur bei einem Aufstieg automatisch über den 30. Juni dieses Jahres hinaus verlängert. Als Favorit auf die Nachfolge des 55-Jährigen gilt momentan auch der frühere HSV-Profi Dimitrios Grammozis.
Ungewöhnliche Situation beim HSV
Schon zuvor war die Situation beim HSV ungewöhnlich: Da scheiterte der Club zum zweiten Mal in Folge an seinem großen Aufstiegsziel und verschlechterte sich im Vergleich zur Vorsaison sogar noch um zwei Punkte, und trotzdem wurde im Volkspark darüber diskutiert, ob man den Vertrag mit dem Trainer verlängert.
Wann hatte es das schon einmal gegeben? „Der HSV setzt auf den Anti-HSV-Weg“, hatte das Abendblatt noch am Dienstag getitelt, nachdem Sportvorstand Jonas Boldt deutliche Signale sendete, dass er sich eine gemeinsame Zukunft mit Dieter Hecking gut vorstellen könne.
Und auch der Trainer ließ zunächst wissen: „Ich bin kein wankelmütiger Mensch.“ Zuvor hatte Hecking proaktiv seine Bereitschaft mitgeteilt, beim HSV zu bleiben, wenn die Voraussetzungen stimmen. „Wir werden in Ruhe analysieren, inwieweit es auch zur neuen Saison passen würde und wie wir das große Ganze so aufbauen können, dass alle Beteiligten daran glauben, dass wir es in der neuen Saison schaffen können.“
HSV-Trainer seit 2010
- Dieter Hecking – 29.05.2019 bis 30.06.2020
- Hannes Wolf – 23.10.2018 bis 19.05.2019
- Christian Titz – 12.03.2018 bis 23.10.2018
- Bernd Hollerbach – 22.01.2018 bis 12.03.2018
- Markus Gisdol – 26.09.2016 bis 21.01.2018
- Bruno Labbadia – 15.04.2015 bis 25.09.2016
- Peter Knäbel (Interimscoach) – 23.03.2015 bis 15.04.2015
- Josef Zinnbauer – 16.09.2014 bis 22.03.2015
- Mirko Slomka – 16.02.2014 bis 15.09.2014
- Rodolfo Cardoso (Interimscoach) – 17.09.2013 - 24.09.2013
- Thorsten Fink – 17.10.2011 bis 16.09.2013
- Frank Arnesen (Interimscoach) – 10.10.2011 - 16.10.2011
- Rodolfo Cardoso (Interimscoach) – 20.09.2011 - 10.10.2011
- Michael Oenning – 13.03.2011 bis 19.09.2011
- Armin Veh – 01.07.2010 bis 13.03.2011
Hecking hatte sich nach dem verpassten Aufstieg und dem schlimmen 1:5-Saisonabschluss gegen Sandhausen in sein Haus in Ohndorf bei Bad Nenndorf zurückgezogen, um etwas Abstand zu gewinnen. Doch schon am Mittwoch saß der Trainer gemeinsam mit Boldt im Volkspark zur Saisonanalyse zusammen. Dabei wurde vor allem die Frage erörtert, was insbesondere nach der Corona-Pause – nur zehn Punkte in neun Spielen – schiefgelaufen ist.
Hecking soll im HSV-Kader Führungsspieler vermisst haben
Hecking soll im Kader insbesondere Führungsspieler vermisst haben, die dem Druck in den engen Spielen standhalten konnten. Nahezu alle Leistungsträger der Hinrunde wie Sonny Kittel, Adrian Fein, Rick van Drongelen, Lukas Hinterseer oder Bakery Jatta waren im entscheidenden Saisondrittel außer Form. Ein Versagen in der Trainingsarbeit? Oder doch in der Kaderplanung?
Genau in diesem Punkt gab es zwischen Hecking und dem HSV offensichtlich unüberbrückbare Richtungsdifferenzen, und deshalb soll nach Informationen des Pay-TV-Senders Sky die Trennung bereits beschlossen gewesen sein.
Dem Trainer, dessen Vertrag am Dienstag ausgelaufen ist, wurde in dem Gespräch nämlich deutlich gemacht, dass ein Weg wie im vergangenen Jahr auch aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich ist. Da stemmte der HSV einen Gehaltsetat von 30 Millionen Euro und setzte alles auf die Karte Aufstieg.
HSV-Trainer von 1997 bis 2010
- Ricardo Moniz (Interimscoach) – 26.04.2010 bis 30.06.2010
- Bruno Labbadia – 01.07.2009 bis 26.04.2010
- Martin Jol – 01.07.2008 bis 26.05.2009
- Huub Stevens – 02.02.2007 bis 30.06.2008
- Thomas Doll – 19.10.2004 bis 31.01.2007
- Klaus Toppmöller – 23.10.2003 bis 17.10.2004
- Kurt Jara – 04.10.2001 bis 22.10.2003
- Holger Hieronymus – 18.09.2001 bis 03.10.2001
- Frank Pagelsdorf – 01.07.1997 bis 17.09.2001
Hecking hatte sich für erfahrene Spieler wie Martin Harnik ausgesprochen. Spieler, die man von den Ersatzbänken der Bundesligisten bekommen könnte. Doch selbst routinierte Profis wie der gerade zum FC Augsburg gewechselte Tobias Strobl (30), den Hecking in Mönchengladbach betreute und der dort keine Perspektive mehr hatte, sind für den HSV finanziell nicht zu stemmen. Insbesondere nicht, nachdem die Verträge mit den Hauptsponsoren Emirates (Trikot) und Klaus-Michael Kühne (Stadionname) endeten.
Vergangene HSV-Saison hatte auch Hecking viel Energie gekostet
So bleibt den Hamburgern gar nicht mehr viel übrig, als einen Weg mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern zu gehen und nicht gleich wieder vom Aufstieg zu sprechen. Für diesen Weg aber steht der Name Hecking nicht.
Am Wochenende sollte es ein weiteres Gespräch mit dem Trainer und der sportlichen Leitung des HSV geben. Dabei wollten beide Parteien eine Entscheidung herbeiführen – das ist nun geschehen.
Die vergangene Saison, das wurde zuletzt immer deutlicher, hatte auch Hecking unheimlich viel Energie gekostet. Der Fußballlehrer musste erfahren, dass Mönchengladbach trotz aller Tradition im Vergleich zu Hamburg doch ein nahezu beschaulicher Standort ist. Hecking wollte den HSV mit seiner Ruhe stabilisieren. Doch das Konstrukt wurde von Spieltag zu Spieltag fragiler, ehe es gegen Sandhausen völlig zusammenbrach.
Die Kaderplanung läuft hinter den Kulissen bereits seit Anfang der Woche auf Hochtouren. Vor allem Sportdirektor Michael Mutzel treibt diese im Zusammenspiel mit Chefscout Claus Costa voran, während sich Boldt verstärkt um die strategische Ausrichtung des Clubs kümmert.
Klar ist, dass der HSV noch einige Verstärkungen braucht, um in der kommenden Saison mit einer neuen Mannschaft eine gute Rolle in der Zweiten Liga spielen zu können. Zehn Spieler aus dem Kader haben den Club bereits verlassen. Bislang aber hat der HSV nur für Berkay Özcan Geld eingenommen. Der Gehaltsetat für den Lizenzspielerkader wird auf mindestens 23 Millionen Euro sinken. Das entspricht den Einnahmen, die der Club in der kommenden Saison durch die TV-Einnahmen erhält.
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Einig sind sich aber alle, dass die Mannschaft neue Führungsspieler braucht. Insbesondere in der zentralen Achse hatte der HSV in der vergangenen Saison am Ende keine stabilen Profis mehr. Hier liegt ein Schwerpunkt in der Kaderplanung.
Ein Spieler wie Heidenheims Niklas Dorsch (22), der beim Relegationshinspiel in Bremen (0:0) am Donnerstag überzeugte, ist für den HSV zwar nach wie vor ein interessanter Mann, in der zurückliegenden Saison hätte dem HSV aber eher Dorschs Nebenmann Sebastian Griesbeck mit seiner Robustheit sowie Kopf- und Zweikampfstärke geholfen.
Übrigens: Rick van Drongelen (21) ist am Freitag erfolgreich am Kreuzband operiert worden. Die Verletzung hatte sich der Niederländer im letzten HSV-Saisonspiel gegen Sandhausen zugezogen.