Hamburg. Kurioses Spiel im Volkspark. St. Paulis Präsident Göttlich weint. Folgt beim HSV nun der Derby-Knacks im Aufstiegsrennen?
St. Paulis Spieler rissen die Arme hoch, die Profis des HSV sackten dagegen mit dem Abpfiff enttäuscht zu Boden. Wie schon im Hinspiel hat der FC St. Pauli das Derby beim HSV mit 2:0 gewonnen und bleibt dank der Tore von Henk Veerman (20.) und Matt Penney (29.) inoffizieller Stadtmeister. Während sich die Kiezkicker nach dem Befreiungsschlag im Abstiegskampf ausgelassen vor dem Gästeblock feiern ließen, schlichen die HSV-Profis genervt vom Platz. Es war ein rabenschwarzer Tag für den Club aus dem Volkspark.
Doch damit nicht genug: Nach der schmerzhaften Niederlage hat der HSV auch seinen direkten Aufstiegsplatz verloren. Neuer Tabellenzweiter ist nun der VfB Stuttgart, der sein Heimspiel 2:0 gegen Regensburg gewann. „Das wirft uns nicht aus der Bahn", meint Linksverteidiger Tim Leibold. Hoffnung macht dem Club vor allem die starke Anfangsphase. "Das waren unsere besten 20 Minuten dieses Jahres", sagte Offensivspieler Martin Harnik. „Es tut mir leid für die Fans."
HSV: Derby-Knacks im Aufstiegsrennen?
Auch Sportvorstand Jonas Boldt geht nicht davon aus, dass der HSV nun einen Derby-Knacks im Aufstiegskampf erleidet. Der Manager sah vielmehr Parallelen zum Hinspiel, in dem sein Team ebenfalls beste Chancen ausließ. „Die erste Viertelstunde war richtig, richtig stark. Es waren alle auf den Punkt da", sagte er.
Boldt weiter: "Doch wir haben in vielen Situationen die Konsequenz vermissen lassen. Die 2:0-Führung spielt St. Pauli natürlich komplett in die Karten. Tage, an denen nichts funktioniert, sind leider menschlich.“
Hecking nimmt HSV-Pleite auf seine Kappe
Deutlich emotionaler analysiert Trainer Dieter Hecking die Pleite im Derby. Nach „sehr guten" ersten 20 Minuten habe er nach dem Doppelschlag von St. Pauli „nicht die Lösungen gefunden, damit wir den Faden nochmal aufnehmen können", sagte er reumütig. „Die Niederlage nehme ich auf meine Kappe und ich muss mich auch hinterfragen, was wir hätten besser machen können."
Seine Spieler sprach der erfahrene Coach dagegen von Kritik frei. „Ich nehme meine Jungs heute bewusst raus. Sie haben alles probiert – mit sehr viel Leidenschaft. Ich finde nicht, dass man ihnen das absprechen sollte."
Kabinenparty bei St. Pauli
Riesenjubel dagegen beim FC St. Pauli. Präsident Oke Göttlich weinte sogar nach dem Abpfiff für Freude. Es waren emotionale Szenen, die sich in diesen Minuten im Volkspark abspielten. „Hier ist eine Stimmung, das ist unfassbar, einfach nur geil“, sagte Kapitän Daniel Buballa mit heiserer Stimme.
Der Verteidiger marschierte nach dem Interview schnell in die Kabine, wo Mitspieler Christopher Buchtmann seiner Aufgabe als DJ bereits gerecht wurde. Stilecht dominierten Schlager wie "Radler ist kein Alkohol" die Playlist beim Kiezclub. Immer wieder stimmten die Spieler den Schlachtruf "Derbysieger! Derbysieger! Hey! Hey!" an.
St.-Pauli-Ultras scheitern mit Blocksturm
Noch vor dem Anpfiff hatte das Derby seinen ersten negativen Höhepunkt erlebt: Ultras des Kiezclubs versuchten um 12.15 Uhr, eine Polizeikette im Volksparkstadion zu durchbrechen, um zu den HSV-Fans durchzudringen. Die Polizei konnte die gewaltbereiten Zuschauer gerade noch rechtzeitig in den Gästeblock zurückdrängen und einen Blocksturm verhindern.
Nach Ansicht des FC St. Pauli gingen zunächst Provokationen von HSV-Fans aus, die Böller und Leuchtraketen gezündet und sich dem Gästeblock genähert haben sollen. Dies bestätigte die Polizei auf Anfrage wenig später, ergänzte aber, dass die Anhänger des Kiezclubs eine zur Fantrennung angebrachte Folie entfernten, um ihren Block zu verlassen. Im Anschluss wurden vier Personen vorläufig festgenommen.
HSV druckvoll, aber St. Pauli trifft
Danach ging es sportlich auf dem Rasen zur Sache. Angeführt von Kapitän, Aaron Hunt wirkte es in der Anfangsviertelstunde so, als würde der HSV den ungeliebten Stadtrivalen „auffressen“, wie es Sky-Kommentator Hansi Küpper kommentierte.
Der HSV drängte St. Pauli von Beginn an tief in die eigene Hälfte und scheiterte gleich zweimal am Aluminium. Erst traf Sonny Kittel nur die Latte (8.), dann war beim Schuss von Joel Pohjanpalo, der überraschend für Lukas Hinterseer in der Startelf stand, der Pfosten im Weg (10.).
Leibold: HSV "nicht gierig genug"
„Wir fangen grandios an, müssen aber die Tore machen. In den Szenen waren wir wohl nicht gierig genug", sagte Leibold. „Wir hätten heute noch drei, vier Stunden spielen können, hätten aber wahrscheinlich trotzdem kein Tor gemacht. Es ist ein gebrauchter Tag.“
Auch St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann zu: „Wir dürfen uns nicht beschweren, wenn der HSV in dieser Phase 2:0 in Führung geht.“ Trainer Jos Luhukay fügte ergänzend hinzu: „Der HSV hat das Spiel in der Anfangsphase verloren.“ Recht hat er.
Die Tore erzielte dagegen der FC St. Pauli mit seinen ersten beiden Angriffen. Nach einem üblen Querpass von Louis Schaub eroberte Ryo Miyaichi den Ball und setzte Veerman in Szene. Im ungleichen Sprint-Duell mit HSV-Verteidiger Rick van Drongelen ließ der Sturm-Hüne seinen niederländischen Landsmann ganz alt aussehen und chippte den Ball über Torhüter Daniel Heuer Fernandes hinweg zur Gäste-Führung (20.). Kurz darauf erhöhte Abwehrspieler Penney mit einem Distanzschuss auf 2:0 (29.).
St. Pauli mit kurioser Auswechslung
2:0 für St. Pauli nach nicht mal einer halben Stunde. Was war denn hier los? Und es wäre beinahe sogar noch schlimmer für den HSV gekommen, aber der 19-jährige Finn-Ole Becker verzog freistehend im Strafraum. Es war zugleich seine letzte Szene: Direkt im Anschluss musste St. Paulis hoffnungsvolles Talent den Platz verlassen. Eine kuriose Auswechslung aus taktischen Gründen. Für Becker kam der defensivstärkere Marvin Knoll ins Spiel.
Die gefährlichen Torchancen von Schaub (36.), Hunt (40.) und Jatta (45. + 1) konnte aber auch Knoll nicht verhindern, doch dem HSV fehlte an diesem Nachmittag die nötige Fortune im Abschluss.
Tore von HSV und St. Pauli aberkannt
Nach der Pause kam der HSV erneut druckvoll aus der Kabine, doch wieder war es St. Pauli, das den Torschrei auf den Lippen hatte. HSV-Torhüter Heuer Fernandes verhinderte jedoch einen noch höheren Rückstand mit einem Klasse-Reflex nach dem Kopfball von Knoll (51.).
Danach ging beim HSV gar nichts mehr. St. Pauli schoss sogar noch das 3:0 durch Benatelli (67.), doch der Treffer wurde nach einem Hinweis aus dem Video-Keller in Köln wegen Abseits aberkannt.
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Zumindest für wenige Sekunden durften dann auch die HSV-Fans noch einmal jubeln, als der eingewechselte Hinterseer den vermeintlichen Anschlusstreffer erzielte. Doch auch dieses Tor zählte nicht – diesmal wegen eines Handspiels von Pohjanpalo. Den Hinweis aus Köln erhielt Schiedsrichter Manuel Gräfe allerdings erst, als der Tor-Jingle schon lief. Diese unglückliche Derby-Anekdote passt zu einem rabenschwarzen Tag für alle, die zum HSV halten.
Polizei begleitet Fanmärsche mit Großaufgebot
Vor der Partie hatten beide Ultra-Gruppierungen mit getrennten Fanmärschen das Stadion erreicht. Rund eine halbe Stunde nach dem Treffpunkt am S-Bahnhof Stellingen setzte sich zunächst um 9.59 Uhr der Fanmarsch von etwa 2500 HSV-Anhängern (Polizeiangaben) in Bewegung. Um 10.34 Uhr erreichte die Entourage den Stadionvorplatz.
Kurz zuvor, um 9.51 Uhr, hatte sich bereits St. Paulis Fanlager auf den Weg vom Millerntor-Stadion zum S-Bahnhof Landungsbrücken gemacht, von wo aus der 1800 Mann starke Tross gegen 10.15 Uhr in drei Sonderzügen zum S-Bahnhof Othmarschen fuhr. Um 11.51 Uhr erreichten die Anhänger des Kiezclubs zu Fuß den Gästeblock des Volksparkstadions.
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Die Polizei begleitete beide Fanmärsche mit einem Großaufgebot und verfolgte das klare Ziel, ein Aufeinandertreffen beider Gruppen zu verhindern. Eingreifen mussten die Beamten nicht. Bis auf den vereinzelten Einsatz von Pyrotechnik bei beiden Märschen blieb es friedlich. Es kam außerdem zu Straßensperrungen – vor allem im Umfeld der Bahnhöfe Stellingen und Othmarschen.
Die Statistik:
HSV: Heuer Fernandes – Beyer, Letschert, van Drongelen, Leibold – Jung – Schaub, Hunt (62. Kinsombi) – Jatta (71. Hinterseer), Pohjanpalo, Kittel (62. Harnik).
St. Pauli: Himmelmann – Penney, Östigard, Buballa, Ohlsson – Becker (35. Knoll) – Miyaichi, Sobota (90.+1 Flum), Benatelli, Diamantakos (87. Tashchy) – Veerman.
Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin)
Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Veerman (20.), 2:0 Penney (29.)
Gelbe Karten: – Diamantakos (2), Ohlsson (4), Veerman, Buballa (2)
Torschüsse: 19:8
Ballbesitz: 63:37 %