Hamburg. Reduzierung der Rekordstrafe für das Stadtderby ist dem HSV nicht genug. Immer mehr Clubs auf Konfrontation mit dem Verband.

Die Regeln für den Verkauf des Silvesterfeuerwerks sind klar: Lediglich vom 28. bis zum 31. Dezember dürfen Feuerwerkskörper der Klasse II ausschließlich an Personen ab 18 Jahren verkauft werden. Außerhalb dieses Zeitraums ist der Einkauf oder Einsatz von Feuerwerk nur nach Genehmigung gemäß der Verordnung zum Sprengstoffgesetz erlaubt. So weit die graue Theorie.

Die farbenfrohe Praxis kann man dagegen Woche für Woche in vielen Fußballstadien Deutschlands sehen. Nimmt man die verhängten Strafgelder als Maßstab, kann man gut und gerne behaupten, dass es in Deutschlands Stadien noch nie so viel Feuerwerk gegeben hat. 2015/16 mussten die Proficlubs 1,6 Millionen Euro an den DFB überweisen, ein Jahr später waren es 1,76 Millionen Euro, 2017/18 1,9 Millionen Euro und in der vergangenen Saison 3,3 Millionen Euro.

Rekord-Strafmeister war wenig überraschend der HSV. Es gab 15 geahndete Vorfälle, von denen neun mit einer Gesamtstrafe von 294.140 Euro sanktioniert wurden. Und genau hier wird die Geschichte nun spannend.

Pyrotechnik als Teil der Fankultur

Cornelius Göbel sitzt im Stadionrestaurant „Die Raute“, schaut auf die leere Nordtribüne und runzelt die Stirn. „Der HSV begreift Pyrotechnik als Teil der Fankultur und vertritt die Position, dass härtere Sanktionen nachweislich nicht dazu führen, dass sie weniger zum Einsatz kommt“, sagt der leitende Fanbeauftragte des HSV. Das ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass sich Göbel intensiv mit dem Strafenkatalog des DFB beschäftigt hat und er diesem – gelinde gesagt – so gar nichts abgewinnen kann.

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„Wir sind uns der Logik der aktuell praktizierten Sportgerichtsbarkeit bewusst. Es soll maximaler Druck auf die Vereine ausgeübt werden, die dann diesen Druck auf die Anhängerschaft weitergeben. Die Vergangenheit hat leidvoll gezeigt, dass diese Maßnahmen, wenn sie überhaupt irgendetwas bringen, die Problematik nur für eine kurze Zeit zu bezwingen scheinen“, sagt Göbel. „Viel eher bekommt man es dann mit Solidarisierungseffekten und einer Radikalisierung zu tun, die die Vereine wie ein Bumerang trifft.“

DFB will Rekordstrafe nach Derby reduzieren

Besonders über eine angedrohte Rekordstrafe nach Pyrovergehen beim Derby sind Göbel und der ganze HSV verstimmt. Wie das Abendblatt aus DFB-Kreisen erfuhr, sollen beim Verband sogar ein Zuschauerteilausschluss und ein Punktabzug diskutiert worden sein. Beides Kollektivstrafen, die der DFB vor zweieinhalb Jahren abgeschafft hatte.

Was Göbel aber wirklich ärgert, ist die Mär vom Wiederholungstäter. Denn: Nach 15 geahndeten Vorfällen in der vergangenen Saison gab es in der laufenden Spielzeit „nur“ noch drei Vorfälle, die der DFB trotzdem schlimmer als je zuvor sanktionieren wollte. Vergleichsweise bescheidene 13.800 Euro kostete das Feuerwerk beim Pokalspiel in Chemnitz. Für die konzertierte Pyroaktion der HSV-Ultras in Kiel steht der Strafbescheid noch aus.

HSV und St. Pauli gehen gegen Rekordstrafen vor

Doch den Vogel schossen die strengen DFB-Richter nach dem Hamburger Stadtderby ab. So sollte der HSV die Rekordstrafe von 250.000 Euro zahlen, obwohl die Vergehen im Vergleich zum Vorjahr sehr viel harmloser wirkten – und der Club so intensiv wie möglich mit Polizei und Behörden zusammengearbeitet hatte. Der FC St. Pauli wurde zu 200.000 Euro verdonnert.

Beide Vereine legten Einspruch ein – und dürften damit anders als im Vorjahr sogar Erfolg haben. Damals reisten Göbel, Clubchef Bernd Hoffmann, Stadionchef Kurt Krägel und der damalige Justiziar Julius Becker extra zur Anhörung nach Frankfurt, um nach einer kurzen Verhandlung mit leeren Händen zurückzukehren. Dies dürfte sich in diesem Jahr nicht wiederholen.

Der HSV und die Pyrostrafen:

  • In der Strafentabelle belegt der HSV regelmäßig einen der traurigen Spitzenplätze
  • 2019 verteidigten die HSV-Fans sogar den fragwürdigen Titel des deutschen "Randalemeisters"
  • In der Saison 2017/18 wurden insgesamt 235.000 Euro Strafe an den DFB fällig
  • In der Saison 2018/19 überboten die Anhänger diese Summe mit ihrem Fehlverhalten auf 294.150 Euro
  • Die höchste Einzelstrafe gegen den HSV wurde für Pyrotechnik im Stadtderby beim FC St. Pauli verhängt: 150.000 Euro (10.03.2019)
  • In der ewigen Strafentabelle seit der Saison 2011/12 liegt der HSV mit 1,214 Millionen Euro auf Rang drei (Stand: Dezember 2019)

Gute Nachricht für den HSV

Nach Abendblatt-Informationen wurde die Rekordstrafe mündlich bereits zweimal um mehrere Zehntausend Euro gesenkt. Doch das reicht einem Großteil der HSV-Verantwortlichen nicht mehr. Ihre Forderung: Der DFB solle das gesamte Pyrothema und vor allem den aus ihrer Sicht willkürlichen Strafenkatalog neu überdenken. Zur Erinnerung: Seit 2011 wurde der HSV zu einer Gesamtstrafe von 1,214 Millionen Euro verdonnert.

Die gute Nachricht für den HSV: Die Hamburger sind nicht allein. Immer mehr Clubs gehen auf Konfrontationskurs mit dem DFB. Aktuellstes Beispiel: Carl-Zeiss Jena. Weil der Drittligist Strafen von 24.900 Euro aus dem Jahr 2018 nicht zahlen will, hatte er sich durch alle Instanzen bis zum Ständigen Schiedsgericht geklagt. Nachdem auch die letzte DFB-Instanz den Einspruch abgelehnt hatte, wollen Jenas Verantwortliche nun die Pyrostrafen vor einem ordentlichen Gericht verhandeln lassen.

Jenas Geschäftsführer Chris Förster verweist darauf, dass es auch dem Verband selbst bei den Pokalendspielen nicht gelungen sei, als Veranstalter Pyrotechnik zu verhindern. „Wir werden zu 99,9 Prozent vor ein ordentliches Gericht ziehen“, sagt Förster dem Abendblatt – und kündigt an, zeitnah auch Kontakt zu HSV-Chef Bernd Hoffmann aufzunehmen.

Wegen Pyro: HSV erwägt Prozess gegen DFB

Tatsächlich wird in Hamburg der angekündigte Musterprozess ganz genau verfolgt. Nach Abendblatt-Informationen wurde bereits nach der Verkündung der Derby-Rekordstrafe innerhalb des Vorstands darüber diskutiert, ob nicht auch der HSV vor ein ordentliches Gericht ziehen sollte. Allerdings ist man sich über das weitere Vorgehen auch innerhalb der Clubspitze noch uneinig.

Cornelius Göbel würde sich selbst nicht als Pyrofan bezeichnen. Aber von einem strikten Verbotskurs hält der leitende Fanbeauftragte eben auch nichts. „Die Situation erfordert es, neue Wege zu gehen“, sagt Göbel, der einen nationalen Arbeitskreis „Pyro“ proklamiert. In der „Raute“ spricht er von einem runden Tisch mit Funktionsträgern, Fanarbeitern und Vertretern der aktiven Fanszene, um den eingeschlafenen Dialog wieder neu zu beleben.

"Kalte" Pyro: HSV guckt nach Dänemark

Ein Blick über die Grenzen könnte bei der Debatte durchaus hilfreich sein. So ist es genau zehn Tage her, dass es in Dänemark beim Spiel zwischen Bröndby IF und dem FC Midtjylland im Kopenhagener Fanblock lichterloh brannte. Allerdings angemeldet und genehmigt. Mit der sogenannten „kalten Pyrotechnik“ verwandelten Bröndbys Ultras die gesamte Kurve erfolgreich in ein Lichtermeer. Die Fackeln, die der Däne Tommy Cordsen erfunden hat, werden statt 2500 Grad „nur“ noch bis zu 230 Grad heiß.

„Die Entwicklungen in Dänemark und anderen Ländern stimmen uns grundsätzlich optimistisch und machen Mut, dass unsere konstruktiven Bestrebungen richtig und konsequent sind“, sagt Göbel, der aber einräumt, noch ganz am Anfang der Diskussionen zu sein. Ob das dänische Modell überhaupt auf Deutschland übertragen werden kann, bleibt ungewiss. Bislang fielen alle Tests hierzulande durch. Zu heiß, zu gefährlich, zu giftig, so lautete die Begründung.

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Neben der „kalten Pyro“ gilt aber auch sogenannter Theaterrauch als mögliches Stilmittel, das die Fanszene gerne legalisieren würde. Göbel und seine HSV-Kollegen haben eine Pyroshow mit Theaterrauch bereits für das Heimspiel gegen den Karlsruher SC bei den Behörden angemeldet. „Bei einem positiven Bescheid erfolgt selbstverständlich die Anmeldung beim DFB“, sagt Göbel. Die Partie steigt am 8. Februar – also 39 Tage nach dem Silvesterfeuerwerk.

Und der DFB? Hat am Dienstag einen ausführlichen Fragebogen zu allen Punkten bekommen. Auf eine Antwort wartete das Abendblatt aber vergeblich.