Hamburg. Am Sonnabend wird im Volksparkstadion kontrolliert gezündelt. Die Szene schaut darauf – und auf einen drohenden DFB-Rechtsstreit.
Am Morgen nachdem sich auch der sprichwörtliche Rauch verzogen hatte, sitzt Cornelius Göbel in einem Bahrenfelder Café und bestellt sich Frühstück. Am Vortag hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) per Kommuniqué verkündet, dass der seit vielen Monaten geplanten Pyroaktion des HSV an diesem Sonnabend vor dem Heimspiel gegen den KSC auch aus Verbandssicht nichts mehr im Wege steht.
Die Entscheidung habe natürlich für Aufsehen gesorgt, sagt der leitende Fanbeauftragte des HSV, dessen Telefon nicht mehr stillsteht. Auch Kollegen von anderen Clubs hätten sich gemeldet. Borussia Dortmund, Schalke 04, Heidenheim. Und Göbel? Trinkt im "Was wir wirklich lieben" einen Americano und pustet einmal kräftig durch.
HSV-Pyro-Show dauert 90 Sekunden
Der Name des Cafés ist Zufall – und doch geht es im Kern genau darum: Was wir (also: die aktive Fanszene) wirklich lieben. "Der HSV begreift Pyrotechnik als Teil der Fankultur“, sagt Göbel. Die in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen und Sanktionen hätten nicht dazu geführt, dass Pyrotechnik in Stadien weniger zum Einsatz gekommen sei. "Wir sind der Meinung, dass es erforderlich ist, neue Wege zu gehen.“
Also ist der HSV losmarschiert. Um im Bild zu bleiben: sogar in zwei Richtungen. Richtung Nummer eins kann am Sonnabend verfolgt werden. Unter Aufsicht einer Fachfirma werden Mitglieder der aktiven Fanszene drei Minuten vor dem Anpfiff kontrolliert zehn BAM-zertifizierte Rauchtöpfe anzünden, dazu ein sogenanntes T1-Feuerwerk abbrennen.
Es sind nur 90 Sekunden vor den 90 Minuten, auf die aber ganz Fußball-Deutschland gucken wird. Das Spektakel, das vor anderthalb Wochen bereits zusammen mit der Feuerwehr im Volksparkstadion getestet und abgenommen wurde, gilt als harmlos. „Die im Dialog mit den Fans geplante Umsetzung ist im Grunde mit Musikkonzerten zu vergleichen“, sagt Göbel, der nur zu gut weiß, dass am Sonnabend kein neuer Pyrostandard gesetzt werden dürfte. Es gehe vielmehr darum, ein Zeichen zu setzen.
HSV-Ultras waren in Pläne eingebunden
Bleibt nur die Frage, ob dieses Zeichen von den Ultras überhaupt wahrgenommen und unterstützt wird. Das Abendblatt hörte sich in der aktiven Fanszene um, was kein einfaches Unterfangen ist. Journalisten haben keinen leichten Stand in Ultrakreisen, deswegen möchte sich auch keiner der Befragten namentlich zitieren lassen.
Doch die Reaktionen auf die seit Monaten vorbereitete Pyroaktion des HSV sind überwiegend positiv. Vor allem die Ultra-Gruppierung Castaways war von Anfang an in sämtliche Überlegungen eingebunden. Es gebe zwar auch kritische Stimmen der Radikalen, aber diese würden sich am Wochenende zurückhalten. Denn auch für die Ultras ist klar: Nur bei Gelingen des Pyroprojekts ist eine weitere Annäherung an den noch immer extrem kritisch gesehenen DFB überhaupt möglich.
HSV und St. Pauli im Clinch mit dem DFB
Und wie notwendig eine derartige Annäherung wäre, wird vor allem bei Richtung Nummer zwei deutlich. So schaut die gesamte Fußballszene Deutschlands nicht nur ganz genau bei den 90 Sekunden vor den 90 Minuten hin. Sondern auch der immer noch schwelende Rechtsstreit zwischen HSV und DFB wird ganz genau verfolgt.
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Zur Erinnerung: Nach Pyrovergehen im vergangenen Stadtderby am Millerntor hatte der DFB-Kontrollausschuss (mit dem Vorsitzenden Anton Nachreiner, einem Hardliner aus dem niederbayerischen Gottfrieding) für den HSV zunächst 250.000 Euro und für den FC St. Pauli 180.000 Euro Strafgelder gefordert. Das DFB-Sportgericht hatte diese Forderung im ersten Urteil auf 200.000 Euro (HSV) und 120.000 Euro (St. Pauli) reduziert, gegen das beide Clubs allerdings trotzdem Einspruch eingelegten.
DFB überraschte mit erneutem Einspruch
Das zweite Urteil des Vorsitzenden Richters Hans Lorenz, dem Vernehmen nach ein kompromissbereiter Jurist aus dem rheinhessischen Wöllstein, hatten schließlich beide Clubs akzeptiert. Der HSV sollte 140.000 Euro, der FC St. Pauli 90.000 Euro zahlen, wobei jeweils ein Drittel der Summe in sicherheitsrelevante Maßnahmen im Club fließen würde.
Ein eher mildes Urteil, gegen das nun die DFB-Spitze um Rainer Koch und vor allem der Kontrollausschuss auf die Barrikaden ging. Es folgte zur Überraschung aller der erneute Einspruch, der aus DFB-Sicht im schlimmsten Fall nun in einem Musterprozess vor dem Zivilgericht enden könnte.
Carl Zeiss Jena hat einen Rat für den HSV
Ganz so weit ist die Eskalation allerdings noch nicht. Die Einspruchsbegründung ist noch nicht bei den Clubverantwortlichen eingegangen – und zunächst würde die gesamte Thematik auch erst vor dem DFB-Bundesgericht verhandelt werden. Nur wenn dieses die Entscheidung des DFB-Sportgerichts zurücknehmen und verschärfen würde, droht der HSV mit dem Gang vor ein Zivilgericht.
Ein Schritt, den der FC Carl Zeiss Jena vor Kurzem bereits vollzogen hat. Am 30. April wird Jenas Klage gegen aus Vereinssicht überhöhte DFB-Strafgelder vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verhandelt – und natürlich wird auch der HSV diesen Prozess genau verfolgen. So hat Jenas Geschäftsführer Chris Förster den HSV-Verantwortlichen auch den Tipp gegeben, die bislang verhängte Pyrostrafe nur unter Vorbehalt zu zahlen. Denn sollte Jena mit seiner Klage Erfolg haben, könnte der HSV gegebenenfalls das Strafgeld vom DFB zurückverlangen.
„Wir sind im engen Austausch mit dem HSV“, sagt Förster dem Abendblatt. „Auch die angemeldete Pyroaktion vor dem Karlsruhe-Spiel werden wir mit großem Interesse verfolgen.“
HSV-Profis freuen sich auf die Pyro-Show
Dabei ist Förster keinesfalls alleine. Auch in der HSV-Mannschaft hat sich herumgesprochen, dass die Fans am Wochenende etwas Besonderes vorhaben. Die überwiegende Meinung: Solange die Gesundheit nicht gefährdet wird, freuen sich die meisten Spieler auf die Zusatzmotivation. Tatsächlich ist die Gefahr für Leib und Leben noch immer das stärkste Argument gegen das unkontrollierte Zündeln.
Allerdings reicht ein Blick ins Nachbarland Österreich, um zu erkennen, dass kontrollierte Pyro durchaus als Alternative geeignet sein könnte. Seit 2010 hat es keinen einzigen Verletzten in den überwachten Pyrobereichen gegeben – und das illegale Abbrennen von Pyro ist um 90 Prozent zurückgegangen. In diesem Sinne: Feuer frei!