Hamburg. Kurios: Obwohl für Todt im Sommer Schluss sein soll, muss der Sportchef auf Abruf eine mögliche HSV-Zukunft nach dem Abstieg planen.
Am Dienstagmorgen war eigentlich alles wie immer. Sportchef Jens Todt kam kurz nach dem Trainingsbeginn auf den Rasenplatz, schlenderte von links nach rechts, von rechts nach links und schaute ab und an auf sein Mobiltelefon. Als dann Cheftrainer Bernd Hollerbach das Mannschaftstraining nach gut anderthalb Stunden beendete, war auch für Todt zunächst Schluss. Der Manager verabschiedete sich vom Coach und machte sich auf den kurzen Rückweg ins warme Büro. Also alles wie immer, oder?
Nein. Seit Sonntag ist beim HSV nichts mehr wie immer. Nicht für den Verein, der von der Präsidentenwahl Bernd Hoffmanns kräftig durchgerüttelt wurde. Nicht für die Fußball-AG. Und schon gar nicht für Jens Todt.
Todt geriet einst mit Hoffmann aneinander
„Ich bin weder empfindlich noch benötige ich eine Kuschelatmosphäre. Aber es sollte Einigung über einen gemeinsamen Kurs für die Zukunft geben. Diesen gemeinsamen Kurs gab es am Ende aber leider nicht mehr“, beantwortete Todt die Abendblatt-Frage nach seinem Verhältnis zu Bernd Hoffmann. Nicht am Sonntag – und auch nicht am Montag. Aber am Dienstag – am Dienstag, dem 28. Juli 2009.
Seinerzeit, vor knapp neun Jahren, waren der damalige Nachwuchschef Todt und der damalige Vorstandschef Hoffmann aneinandergeraten, weil beide unterschiedliche Auffassungen über die Ausrichtung im HSV-Nachwuchs hatten. „Offene Baustellen gibt es immer, aber ich dachte, dass wir mit unserer Arbeit auf einem richtig guten Kurs sind, und bin auch immer noch überzeugt davon“, sagte Todt damals. „Leider sehen das offenbar nicht alle so.“
Neun Jahre später war dann alles vergessen und vergeben. Das sei doch längst ausgeräumt, versicherte Todt vor der Wahl. Er habe nun ein gutes Verhältnis zu Hoffmann. Mit überschlagenen Beinen saß der Sportchef Todt am Sonntag in der ersten Reihe in der Kuppel und musste lauschen, wie Hoffmann vom Podium aus nicht mehr und nicht weniger als die Revolution ausrief: „Ich halte Kontinuität für die falsche Strategie. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen“, sagte der 55-Jährige, der öffentlich auch gleich noch die Installierung eines neuen Sportvorstands forderte.
Das HSV-Training am Dienstag:
Schmerzhaftes HSV-Training für Holtby, Arp und Papa
Wettstein zweifelt an Todt
Und Todt? „Es war eine sehr emotionale Mitgliederversammlung“, meinte der Manager. Viel mehr wolle er aber nicht über Hoffmanns Wahl und über seine persönliche Zukunft sagen.
Allzu viel scheint es ohnehin nicht mehr über Todts persönliche Zukunft in Hamburg zu sagen zu geben. Sein Vertrag läuft zwar noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass der Rückhalt für den Niedersachsen – unabhängig von Hoffmanns Präsidentenwahl – schwindet.
Investor Klaus-Michael Kühne hatte schon immer Vorbehalte. Und unlängst berichtete Kontrolleur Felix Goedhart seinen Aufsichtsratskollegen in einer brisanten E-Mail, dass offenbar auch Vorstand Frank Wettstein starke Zweifel am Manager habe. Zudem soll sich auch Hoffmanns Konkurrent Jens Meier nach Abendblatt-Informationen vor seiner Abwahl für einen Neuanfang ohne Todt starkgemacht haben.
Todt soll HSV-Zukunft ohne ihn planen
Bleibt die entscheidende Frage: Warum eigentlich? Die undifferenzierte Antwort eins lautet: Weil es der HSV ist. So überlebten auch Todts Vorgänger Peter Knäbel (19 Monate), Oliver Kreuzer (13 Monate), Frank Arnesen (23 Monate) und Bastian Reinhardt (13 Monate) keine vollen zwei Jahre in der ach so schönsten Stadt der Welt. Und die etwas differenziertere Antwort zwei lautet: Weil Todt trotz Ausgaben von knapp 30 Millionen Euro innerhalb eines Jahres keine homogene Mannschaft zusammenstellen und die offensichtlichen Fehler auch in diesem Winter nicht mehr ausbügeln konnte.
Wenn man nun aber Antwort eins und zwei in einen Topf zusammenschmeißt und kräftig umrührt, dann ist das traurige Süppchen HSV schnell servierbereit. Denn obwohl der selten offen und meist hinter dem Rücken ausgesprochene Hauptvorwurf an Todt ist, keinen wettbewerbsfähigen Kader zusammengestellt zu haben, darf man nun dreimal raten, was der nur noch auf Abruf stehende Sportchef derzeit machen soll. Richtig: einen schlagkräftigen Kader für eine HSV-Zukunft in Liga zwei oder Liga eins zusammenstellen. Diese Konstellation – und da sind wir wieder bei der undifferenzierten, aber deswegen nicht weniger wahren Antwort Nummer eins – hat: nur der HSV.
Wie schwierig es aber ist, Zukunftsverhandlungen ohne eigene Zukunft zu führen, durfte Todt in den vergangenen beiden Wochen erfahren. Da sagten ihm zunächst Dennis Diekmeier und anschließend Gotoku Sakai ab, obwohl Todt bei beiden Profis fest davon ausgegangen war, die im Sommer auslaufenden Verträge verlängern zu können.
Welche Spieler bleiben bei Abstieg?
Knifflig dürfte die Zusammenstellung eines Kaders für den Fall des Abstiegs werden. Zwar besitzen alle Profis, die noch über den Sommer hinaus unter Vertrag stehen, auch für die Zweite Liga gültige Arbeitspapiere. Jedoch könnte sich der HSV kaum einen der teuren Spieler leisten.
Wer nach einem Abstieg bleiben oder gehen würde, muss also bald entschieden werden – und zwar ausgerechnet von demjenigen, der kaum bleiben wird. Liebhaber von Wortspielen haben auch schon die treffende Zustandsbeschreibung für diesen HSV-Weg gefunden. Der Club riskiere den schleichenden Todt.