Hamburg. Der 1. FC Köln hat seit dem Rücktritt des Präsidenten eine erstaunliche Entwicklung genommen. Hamburg könnte nachziehen.
Der diesjährige 30. Januar war ein durchaus bedeutendes Datum in der jüngeren Club-Historie des 1. FC Köln. Denn an jenem Tag gab es folgendes zu berichten: Wolfgang Overath hat sich mit seinem Herzensverein versöhnt und dazu durchgerungen, wieder Spiele des rheinischen Fußball-Bundesligisten im Stadion zu besuchen. Die Nachricht war insofern bemerkenswert, als dass sich Overath, diese kölsche Club-Ikone vergleichbar mit dem Range eines Uwe Seeler in Hamburg, zuvor mehr als sechs Jahre lang beleidigt zurückgezogen hatte. Ausschlaggebend für den Schmollwinkel war anhaltende Kritik an Führungsstil und Wirtschaftspolitik des damaligen Präsidenten, die 2011 zunächst zum Rücktritt des Weltmeisters von 1974 und anschließend zum fünften Abstieg des FC in die Zweite Liga geführt hatten.
Der 1. FC Köln hat ein neues Label
Seit Overaths Liebesentzug ist viel geschehen um den "Effzeh", das meiste mit positiver Wirkung. Unter Nachfolger Werner Spinner an der Spitze, Harald "Toni" Schumacher als Vize-Präsident und Jörg Schmadtke im Management hat sich das Gründungsmitglied der Bundesliga satzungsgemäß neu aufgestellt, wirtschaftlich nahezu konsolidiert, sportlich unter Trainer Peter Stöger bis in die Spitzengruppe im Oberhaus heraufgearbeitet und so ganz nebenbei auch das eingefahrene Image als Karnevalsverein abgelegt. Unter dem neuen Label "Spürbar anders" kultiviert der dreimalige Deutsche Meister inzwischen eigeninitiativ sein jeckes Karma und nimmt somit Spöttern den Wind aus den Segeln. Diese konzentrieren sich mittlerweile abwechselnd auf andere Vereine, der HSV oder auch 1860 München lassen grüßen.
Der HSV hat Schwierigkeiten mit Altstars
Es wäre vereinfacht, den Wandel des lange Zeit als Klüngel-Club wahrgenommenen Fußballvereins aus der Domstadt lediglich an der Person Overath zu deklinieren. Und doch offenbart das Gebaren des früheren Supertechnikers auf Funktionärsebene den für einen Traditionsverein nicht immer konfliktfreien Umgang mit seinen Identifikationsfiguren. Beim HSV kann darüber eine gehaltvolle Ballade gesungen werden. Schließlich war an der Elbe mit "Uns Uwe" Seeler ebenfalls bereits ein Sinn stiftender Vereinsheld als Präsident gescheitert. Dazu reihen sich etliche Altstars, die sich an ihrem Ex-Verein abarbeiteten (Thomas von Heesen), sich diesem inzwischen verweigern (Felix Magath) oder gar nicht erst je ins Boot geholt wurden (Uli Stein).
Mit neuem Personal ist Ruhe eingekehrt
Auch die Rückholaktion des zum Retter auserkorenen Managers Dietmar Beiersdorfer war rund um den Volkspark mit reichlich Folklore verbunden. Doch der bis zu seinem Ausscheiden als Vorstandsvorsitzender und Sportchef in Personalunion arbeitende Ex-Profi konnte den schwerfälligen Dinosaurier trotz einiger Ansätze wie etwa dem vereinsphilosophischen Leitbild nach Geschmack des Aufsichtsrats nicht genügend entkrusten. Seit einigen Monaten ist nun spürbar mehr Ruhe eingekehrt beim HSV. Der neue Boss heißt Heribert Bruchhagen, der Sportdirektor Jens Todt und der Trainer Markus Gisdol – mit dem nach ersten zufriedenstellenden Arbeitsnachweisen der Vertrag gerade um zwei Jahre verlängert wurde.
Gisdol und Todt hegen Sympathien füreinander
"Wir sind fest entschlossen, den eingeschlagenen Weg in den nächsten Jahren gemeinsam fortzusetzen“, sagte Todt zu dem Schritt, der auch als Belohnung für ein vertrauensvolles Zusammenspiel gewertet werden darf. Überhaupt erinnert in der Konstellation Bruchhagen-Todt-Gisdol derzeit vieles an das harmonische Kölner Triumvirat Spinner-Schmadtke-Stöger. "Wir haben von Anfang an große Sympathie füreinander gehabt", sagt Gisdol über Todt. "Es ist schön, so einen Partner an seiner Seite zu haben, wir ticken in vielen Dingen ähnlich." In Köln klingt die gegenseitige Lobhudelei so: "Wir haben vor allem eine ähnliche Sicht auf die Dinge", sagt Schmadtke über Stöger. Der Trainer wiederum versäumt es selten, seinen Kollegen für erfolgreiche Transfers öffentlich zu preisen.
Eklatante Unterschiede in Transferbilanz
Apropos Spielerwechsel: In kaum einer Geschäftssparte treten die Unterschiede zwischen dem 1. FC Köln und dem HSV so offensichtlich in Erscheinung wie in der Transferpolitik. Seit 2012, als Spinner übernahm (Schmadtke kam ein Jahr später), erzielte Köln bei An- und Verkäufen einen Überschuss von 16,80 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de). Ausgegeben wurden für 83 neue Profis gerade einmal 37,32 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der HSV bewegte in diesem Zeitraum für ebensoviele Neuzugänge insgesamt stolze 131,45 Millionen Euro. Für fast die gleiche Anzahl an Abgängen (HSV: 83/Köln: 86) kassierten beide Vereine dagegen auch nahezu gleich (HSV: 59,85 Millionen/Köln: 54,12 Millionen). Macht beim HSV ein Transferdefizit von 71,60 Millionen Euro in fünf Jahren.
Köln bewältigt das Spannungsfeld
Viele HSV-Fans sehnen sich auch angesichts des Finanzgebarens nach einer Entwicklung, wie sie der 1. FC Köln seit dem Overath-Aus genommen hat. Gerade auch, weil sich der Geißbock-Club seine Vereinsstrukturen bewahrt hat und den Spagat zwischen Tradition und gesundem Wirtschaften kontinuierlich bewältigt. Dennoch muss bei der HSV AG noch viel geschehen, dass sie neben Gemeinsamkeiten wie Bundesliga-Gründungsmitgliedschaft, tierischem Maskottchen oder emotionaler Stadionhymne auch strukturell und sportlich wieder auf Augenhöhe mit Köln agieren kann. In dem Spannungsfeld Emotionalität und Sachlichkeit liegt wohl auch für den Hamburger SV die vielleicht größte Herausforderung. Darin soll natürlich auch Uwe Seeler seinen Platz behalten.
Seeler soll beschenkt werden
"Uwe Seeler ist für uns der HSV", sagte Markus Gisdol in der Pressekonferenz vor dem direkten Vergleich mit dem 1. FC Köln an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de). "Jeder fühlt direkt mit und man spürt die Verbundenheit in jeder Form", sagte er zu Seelers überstandener Tumor-Operation. Deshalb denkt Gisdol auch bei diesem Heimspiel an den 80-jährigen Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. "Ich hoffe, dass wir ihm da ein gutes Geschenk machen können, dass er mit einem guten Gefühl nachhause gehen kann", sagte Gisdol. Dieses Präsent wären nicht nur drei wichtige Punkte im Abstiegskampf wert, sondern gleichzeitig auch der Sieg über einen Bundesliga-Kontrahenten, dessen Weg der HSV mittelfristig allzu gerne selbst beschreiten würde.