Hamburg. Wie die meisten Clubs schottet sich auch der HSV immer öfter ab. Doch was bringt diese Geheimniskrämerei?

Die Ankündigung auf der Homepage war unmissverständlich. Training: nicht öffentlich. So sah und sieht es der Trainingsplan des HSV am Donnerstag und an diesem Freitag vor. Sieben Kiebitze, sechs Journalisten, ein Fotograf und zwei Hunde ließen sich aber gestern von der Nicht-Einladung nicht abschrecken. Sie konnten aus der Entfernung und hinter einem Zaun mit weißem Sichtschutz raten, wer zwei Tage vor dem Spiel gegen Köln das Leibchen der Stammspieler erhielt (Santos und Walace), wer sich kurzzeitig am Boden krümmte (Porath) und wer die Einheit vorzeitig abbrach (Sakai). „Ist das wirklich der Gotoku?“ fragte einer der Kiebitze, der hinter dem Zaun die Augen zusammenkniff, um den weit entfernten Japaner etwas besser erkennen zu können.

Auch Bernd Lauritzen war am Donnerstag mittendrin, aber nicht dabei. Der 69 Jahre alte HSV-Anhänger traf sich zum Mittagessen im Stadionrestaurant „Raute“, sparte sich dann aber einen Blick über den Zaun beim nicht-öffentlichen Training am Nachmittag. Seit Lauritzen 1994 in Rente gegangen ist, versucht der Schleswig-Holsteiner aus Halstenbek-Krupunder jede Woche mindestens dreimal in den Volkspark zu kommen. Nur dreimal beim Training kann Lauritzen schon lange nicht mehr zuschauen. „Ich verstehe, dass man sich ein oder zwei Tage vor einem wichtigen Spiel abschottet“, sagt der Fan. „Aber kein Verständnis habe ich dafür, wenn das öffentliche Training nicht-öffentlich ist.“

Unter Gisdol wurde öffentliches Training seltener

Was Lauritzen meint: In der Regel bietet der HSV seinen Fans zwei öffentliche Einheiten in der Woche, meistens dienstags und mittwochs. Dabei kommt es wie auch in dieser Woche immer häufiger vor, dass Fans zwar das Gelände betreten dürfen, aber nichts sehen, weil Trainer Markus Gisdol mit seiner Mannschaft auf einem Ausweichplatz weit weg trainiert. „Ich finde diese Geheimniskrämerei albern“, sagt Lauritzens Kiebitz-Kumpel Benno Hafas (76), der seit elf Jahren regelmäßig zum Training kommt.

Unter Gisdol wurden die ohnehin seltenen Trainingseinheiten mit Fans sukzessive eingeschränkt, was der Trainer auf die Beschaffenheit der Plätze schiebt: „Wir suchen schon die Nähe der Fans, aber leider sind die Gegebenheiten bei uns suboptimal.“ Auch das nicht-öffentliche Training gefalle ihm momentan nicht. „In Hamburg gibt es gar kein nicht-öffentliches Training“, klagt er. „Man sieht alles. Dabei ist es längst Usus, dass man Leute zu den Einheiten der gegnerischen Teams schickt.“ Andere Clubs würden daher die Möglichkeit nutzen, komplett dicht zu machen. Der HSV könne das nicht. „Wir können nicht wie in München die Vorhänge zumachen und Standards trainieren. Diese Einheiten kann jeder verfolgen, auch gegnerische Scouts.“

Tatsächlich ist der HSV nicht der einzige Club in der Bundesliga, der auf das Prinzip der geschlossenen Gesellschaft setzt. Unter anderen haben auch Hertha, Frankfurt, Schalke und Mainz einen fast identischen Trainingsplan wie der HSV. Der SV Darmstadt 98 wirbt zwar mit dem Slogan „aus Tradition anders“, verhält sich aber nicht viel anders: Donnerstags und freitags sind beim Tabellenletzten keine Zuschauer mehr erwünscht.

Gisdol orientiert sich am FC Bayern

Als Vorreiter der Geheimniskrämerei gilt der von Gisdol angesprochene FC Bayern, der bereits seit Sommer 2011 überwiegend geheim trainieren lässt. Ähnlich zurückgezogen hat sich auch Borussia Dortmund: Beim BVB ist es inzwischen für die Anhängerschaft fast unmöglich, auf dem Trainingsgelände in Brackel „echte Liebe“ auszuleben. Nur etwa zweimal im Monat können Besucher bei den Schwarz-Gelben zusehen. Sogar das Nachbargrundstück samt Hügelchen wurde nun für 330.000 Euro gekauft, um auch das letzte Schlupfloch zu schließen.

In Hamburg geht man einen anderen Weg. Nicht im Volkspark, aber sehr wohl in Niendorf beim FC St. Pauli. Beim Kiezclub bleiben Spione anderer Clubs und Journalisten beim nicht-öffentlichen Training draußen. Die rund zehn bekannten Kiebitze sind dagegen geduldet – und würden wohl auch potenzielle Späher umgehend melden.

Auch Lauritzen und Hafas haben ab und an schon Spione beim HSV beobachtet. Viel lieber würden die beiden Rentner aber vor allem mal wieder in Ruhe das Training der eigenen Mannschaft verfolgen. Das Schlimmste, was dabei ab und an vorkomme, sei lautstarker Applaus nach einem erfolgreichen Torschuss, sagt Lauritzen. Aber wirklich oft müssten die Spieler diese Art der „Lärmbelästigung“ zuletzt ohnehin nicht über sich ergehen lassen.