Hamburg. Beim 2:2 im Nordderby zeigt sich der HSV als Einheit, verharrt aber auf Platz 18. Was wird aus Beiersdorfer?

Der Applaus der HSV-Fans wollte gar nicht mehr enden. Als Lewis Holtby am Sonntag um 12.40 Uhr die urige Gaststube des Fanclubs Rauten Bengelz und Engels in Barmbek betrat, feierten ihn die 40 Anwesenden mit Ovationen. Fast hätte man meinen können, der Mittelfeldspieler wäre mit seinem Team nach einem triumphalen Derbysieg gegen Werder Bremen in die Europapokalränge vorgestoßen. Tatsächlich war die Stimmung bei Fanclub-Chefin Beate Fahci und den Mitgliedern so munter, als wäre alles gut rund um den HSV. „Wir wollen heute positive Stimmung schnuppern“, sagte Holtby über die Fanclubbesuche der Spieler quer durch die Republik.

Am Tag zuvor fiel der Beifall für die HSV-Profis deutlich geringer aus. Beim 2:2 (2:2) gegen Werder Bremen verpasste es die Mannschaft auch im zwölften Saisonspiel, den sehnlich erwarteten ersten Sieg zu verbuchen. Vor allem aber verpasste es der HSV, durch einen Erfolg gegen den direkten Konkurrenten bis auf einen Punkt an Relegationsrang 16 heranzurücken. Mit nur vier Zählern bleiben die Hamburger Tabellenletzter. Und so war es am Ende im Stadion eine merkwürdige Stimmung. Nach dem Schlusspiff wusste kaum einer der 55.237 Zuschauer, wie er das Ergebnis einorden sollte. Entsprechend ruhig war es auf den Rängen im Volkspark.

Gisdol fordert neue Abwehrspieler im Winter

Kapitän Gotoku Sakai, der sich am Sonntag auf der Nordseeinsel Föhr vom Fanclub HSV Föhr Forever trösten ließ, fand das Ergebnis „einfach richtig schade“. Nicolai Müller, der in Neustadt an der Ostsee den Fanclub „Hafensänger“ besuchte, war „irgendwie enttäuscht“. Und Michael Gregoritsch, zu Gast bei „Jade Raute“ in Wilhelmshaven, empfand ein „Mittelding aus Frust und Freude“. Freude einerseits, weil der Österreicher den HSV in einer guten ersten Halbzeit zweimal in Führung gebracht hatte. Frust andererseits, weil es am Ende trotzdem nicht zum ersten Saisonsieg reichte. Und so lautete das Fazit des „Schicksalsderbys“: weder Fisch noch Fleisch.

Die Statistik

HSV

Mathenia - Diekmeier (64. Waldschmidt), Djourou , Jung , Douglas Santos - G. Sakai , Ostrzolek - Holtby - N. Müller , Kostic - Gregoritsch (82. Lasogga). Trainer: Gisdol

Werder Bremen

Drobny - Ro. Bauer , Veljkovic , Moisander , S. Garcia - Fritz , Petsos (46. Bargfrede) - Gnabry (69. Pizarro), Junuzovic , Bartels - M. Kruse. Trainer: Nouri

Schiedsrichter

Dr. Felix Brych (München)

Tore

1:0 Gregoritsch (3.), 1:1 Bartels (14.), 2:1 Gregoritsch (28.), 2:2 Gnabry (45.)

Gelbe Karten

Djourou  - Petsos, Moisander, Bargfrede

Zuschauer

55.237

1/6

Dass die Fans die Hamburger Spieler am Tag danach mit Applaus empfingen, hatte vor allem damit zu tun, dass sich der HSV zum zweiten Mal in Folge als Einheit präsentierte. Wie schon beim 2:2 in Hoffenheim setzte Trainer Markus Gisdol auf bedingungslose Geschlossenheit. Das dreitägige Trainingslager im niedersächsischen Barsinghausen in der Woche vor dem Spiel hatte seine Wirkung nicht verfehlt. „Es wächst ganz langsam etwas heran“, sagte Gisdol am Sonntag. Ähnlich äußerten sich seine Spieler. „Die Mannschaft lebt“, sagte Torhüter Christian Mathenia. Auch Nicolai Müller, der das zwischenzeitliche 2:1 mit einem Weltklasse-Sprint vorbereitet hatte, lobte den neuen Geist in der Mannschaft. „Es war ein ganz, ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung.“

Die HSV-Spieler in der Einzelkritik

Zum ersten Mal in dieser Saison konnte Gisdol zum zweiten Mal in Folge mit derselben Formation starten. Diese Formation offenbarte gegen Bremen allerdings auch, dass sie in dieser Besetzung kaum in der Lage sein wird, die Klasse zu halten. Genauer gesagt: Mit dieser Abwehr wird es sehr schwer, in der Bundesliga ein Spiel zu gewinnen. Die Viererkette um Dennis Diekmeier, Johan Djourou, Gideon Jung und Douglas Santos wackelte gegen Werder in etwa so heftig wie die Bremer Torschützen Fin Bartels und Serge Gnabry mit ihren Hinterteilen, während sie die Hamburger Abwehrspieler umkurvten.

HSV-Coach Gisdol machte am Sonntag noch einmal mit Nachdruck deutlich, dass er im Winter mindestens zwei neue Defensivspieler benötigt. „Wir müssen da etwas tun, das ist unabdingbar“, sagte Gisdol und adressierte diese Aussage mit einem dicken Stempel an das Büro von Dietmar Beiersdorfer. Der Club und (Noch-)Sportchef in Personalunion hatte es im Sommer versäumt, im Defensivzen­trum eine Verstärkung zu finden. Ein fataler Fehler, den der HSV möglicherweise mit dem Abstieg bezahlen muss.

Die Höhepunkte

3. Minute

TOOOOOR für den HSV! Drobny lädt seine alten Kollegen zur Führung ein. Bremens Torhüter spielt einen Ball unbedrängt ins Seitenaus. Den Einwurf führt Müller schnell aus, Holtby flankt von rechts in den Strafraum, wo Gregoritsch mutterseelenallein gegen Drobnys Laufrichtung einnicken darf.

7. Minute

Bremen meldet sich über Gnabry in der Offensive an, doch der Versuch des Jungnationalspielers geht doch recht deutlich an Mathenias Kasten vorbei.

9. Minute

Wieder passt Holtby auf Gregoritsch, der diesmal mit dem rechten Fuß direkt abzieht. Doch diesmal gerät der Österreicher im Strafraum leicht in Rücklage, sodass der Ball in die Wolken fliegt.

11. Minute

Die erste Gelbe Karte holt sich Bremens Petsos ab, der Müller bei einem dynamischen Vorstoß am Trikot zupft. Den fälligen Freistoß setzt Gregoritsch aus rund 25 Metern in die Mauer.

12. Minute

Erste dicke Chance für Werder: Douglas Santos verliert den Ball gegen Bartels, der links Gnabry in Szene setzt. Auch diesmal streicht der Schuss des Bremer Angreifers rechts am HSV-Tor vorbei, doch deutlich knapper als in der 7. Minute.

14. Minute

TOR für Werder. Auch diesmal ist ein ehemaliger Hamburger beteiligt, wenn auch ein St. Paulianer: Fin Bartels zimmert den Ball nach Vorlage von Fritz mit links ins rechte Eck und lässt damit Mathenia keine Chance.

20. Minute

Nächste HSV-Chance, wieder durch Gregoritsch: Der Kopfball des Österreichers nach Ostrzolek-Flanke von links landet diesmal aber im Toraus.

26. Minute

Nach etwas Leerlauf fasst sich Nicolai Müller noch einmal ein Herz und zieht aus rund 20 Metern ab. Der Schuss fliegt über das Tor, doch die Zuschauer sind wieder wach.

28. Minute

TOOOOOOOR für den HSV! Müller tankt sich durch und passt in die Mitte zu Gregoritsch, der nur noch den Fuß hinzuhalten braucht. Erster Doppelpack des jungen Stürmers für den HSV!

33. Minute

Kostic zieht vom linken Strafraumeck einfach mal ab, den strammen Hochschuss wehrt Drobny zur Ecke ab.

37. Minute

Und plötzlich taucht Bartels wieder im HSV-Sechzehner auf, doch Mathenia kann den Dropkick des Bremer Angreifers mit den Fingerspitzen zur Ecke abwehren.

43. Minute

Jetzt darf sich Bauer mit einem Distanzschuss versuchen, doch mehr als ein Raunen aus dem Gästeblock springt dabei nicht heraus.

45. Minute

TOR für Werder. Djourou verliert den Zweikampf mit Kruse und köpft den Ball unfreiwllig zu Gnabry. Werders Offensivwaffe taucht dadurch im Sechzehnmeterraum auf und schiebt lässig an Djourou und Mathenia vorbei ins rechte lange Eck zum erneuten Ausgleich ein.

45. Minute

In der Nachspielzeit fast noch einmal die Antwort durch Müller, doch der Schuss des emsigen Offensivspielers streicht linsk an Drobnys Gehäuse vorbei.

53. Minute

Bremen kommt offensiv aus der Kabine, was vor allem auf Gnabry zuftritt. Der Ex-Londoner schickt Kruse über links auf die Reise, doch der Seitenwechsel des gebürtigen Hamburgers nimmt dem Angriff jegliche Gefahr.

61. Minute

Diesmal flankt Kruse etwas präziser, doch Junuzovic kann die Flanke seines Werder-Kollegen nicht mehr recht drücken und setzt den Kopfball daher über das Tor.

72. Minute

Der eingewechselte Waldschmidt meldet sich mit einem ersten Schuss im Spiel an - weit drüber.

74. Minute

Gregoritsch wird beinahe zum Dreierpacker! Doch der Kopfball nach Flanke von Kostic ist zu schwach und landet in den Armen von Drobny.

90. Minute

In der Nachspielzeit die Chance für Holtby! Doch Drobny kann den Schuss des HSV-Akteurs abprallen lassen, anschließend wird Abseits gepfiffen.

1/19

Es ist nur einer von zahlreichen Fehlern, die der Vorstandsvorsitzende begangen hat. Trotz der Aufforderung von Aufsichtsratschef Karl Gernandt im kürzlich erschienenen Abendblatt-Interview, „dringend“ einen neuen Sportchef zu präsentieren, hat Beiersdorfer noch immer keine Lösung gefunden. Nach Gernandts Aussagen („das Manöver des letzten Augenblicks“) rechneten viele damit, dass Beiersdorfer nach einer Niederlage gegen Bremen hätte gehen müssen. Doch offenbar will der HSV mit allen Mitteln versuchen, den großen Knall zu vermeiden.

„Es ist wichtig, dass im Verein jetzt Ruhe einkehrt“, sagte Matthias Ostrzolek nach dem Derby. Die interne Forderung nach zwölf Punkten bis zur Winterpause wies Trainer Gisdol am Sonntag mit Vehemenz zurück. „Eine Punktemarke auszugeben halte ich für die Mannschaft nicht für förderlich.“ Angesichts der ebenfalls kaum punktenden Konkurrenz aus Ingolstadt, Bremen und Darmstadt bleibt der HSV trotz des historisch schlechten Starts in Reichweite des rettenden Platz 15.

Und so bewahren sich auch die Fans den Optimismus. „Nächste Woche schlagen wir Darmstadt. Dann sieht die Welt gleich anders aus“, sagte am Sonntag einer der Barmbeker Rauten Bengelz. Dem HSV wird tatsächlich keine andere Wahl bleiben.