Hamburg. Fans rund um den Globus halten heute den Atem an, wenn das Spiel gegen Werder Bremen beginnt. Eindrücke aus Afrika und Amerika.

Luciano Altman war noch nie im Volksparkstadion, nicht einmal in Hamburg ist er gewesen. Der Argentinier aus der Ciudad Autónoma de Buenos Aires hat sogar noch nie ein HSV-Spiel live im Stadion gesehen. Und trotzdem kann Altman das 105. Nordderby zwischen dem HSV und Werder Bremen kaum noch erwarten. „Ich bin ein großer HSV-Fan seit Bernardo Romeo 2002 nach Hamburg wechselte“, sagt der Südamerikaner, der erst vor Kurzem den ersten offiziellen HSV-Fanclub Argentiniens („Bernardo Romeo 9“) gegründet hat und selbstverständlich auch das Derby an diesem Sonnabend (15.30 Uhr, MEZ/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) im Fernsehen nicht verpassen wird.

Nordderby in anderer Zeitzone

Fox-Sports und ESPN übertragen das Duell zwischen Blau-Weiß-Schwarz und Grün-Weiß live ab 11.30 Uhr Ortszeit. „Ich schaue mir das Spiel zusammen mit einem Freund gemütlich von zu Hause aus an“, sagt der Fan von Nicolai Müller.Altman ist nicht der einzige HSV-Anhänger, der das Nordderby in einer anderen Zeitzone verfolgt. Trotz der Dauerkrise gibt es beeindruckende 856 offizielle HSV-Fanclubs, von denen immerhin 55 Clubs ihren Sitz im Ausland haben. Es gibt HSV-Fanclubs in Indonesien, China, Dubai, Paraguay und Sierra Leone, alleine in Europa haben sich 39 offizielle HSV-Supportersclubs gegründet. Spitzenreiter ist die Schweiz mit acht Fanclubs.

Es gibt 55 HSV-Fanclubs im Ausland

„Ich bin HSV-infiziert, seit ich laufen und denken kann“, sagt Harm Woortman, der 2015 den HSV-Club Namibia gegründet hat. „Als der HSV es in der Relegation gegen den KSC doch noch geschafft hat, schien mir der HSV irgendwie unabsteigbar. In dem Moment musste ich den Fanclub einfach gründen“, sagt der Afrikaner, der zwischen den Omatakobergen in der Region Otjozondjupa im Nordosten Namibias eine Farm betreibt. „Der HSV ist für mich der Traditionsverein schlechthin. Mich hat es von klein auf erwischt“, sagt Woortman, auf dessen Farm sogar zwei Leoparden zu Hause sind. Die beiden Schmusekätzchen seien aber nicht wirklich gefährlich, ganz im Gegenteil zur aktuellen HSV-Situation. „Gegen Bremen müssen unbedingt drei Punkte her“, sagt Woortman, der das Spiel auf dem Sportkanal StarTimes verfolgt.

Was im Mittleren Osten abgeht

Dem HSV schon etwas länger verfallen ist Mostafa Abdel-Sabour, der Vorsitzende des Arabic-HSV-Fanclubs, der 64 Mitglieder im Mittleren Osten zählt. „Wir sind HSV-Fans aus Ägypten, Marokko, Syrien, Irak, Jordanien, Tunesien, den Emiraten, Libyen, Sudan, Algerien, Libanon und Palästina“, sagt der Ägypter, „Und wir werden immer mehr!“ Die Raute hatte sich 2008 in sein Herz gedribbelt, als der HSV und Werder sich noch um einen internationalen Startplatz duellierten. „Der HSV spielte einen wunderschönen, emotionalen und auch taktisch herausragenden Fußball“, sagt Mostafa und zählt begeistert seine Helden von früher auf: „Zé Roberto, Jonathan Pitroipa, Marcell Jansen, Joris Mathijsen, David Jarolim und mein Lieblingsspieler aller Zeiten: Mladen Petric.“

In schlechten Zeiten zum HSV

Und obwohl diese Zeiten lange her sein mögen, konnte an seiner HSV-Liebe auch der sportliche Niedergang nichts ändern: „Die besten Momente sind natürlich, wenn wir gewinnen“, sagt Mostafa. „Aber natürlich halten wir auch in schlechten Zeiten zum HSV.“ Schlechte Zeiten hat es zuletzt mehr als genug gegeben. Filip Wollin aus Ystad, einer Kleinstadt in der südschwedischen Provinz Skåne län, kann sich genau genommen nur an schlechte HSV-Zeiten erinnern. Das hinderte ihn aber nicht daran, 2014 Präsident vom Fanclub HSV Sverige zu werden. „Ich kann mir kein Leben ohne den HSV mehr vorstellen“, sagt der Schwede, dessen Lieblingsspieler Albin Ekdal (verletzt) und Nabil Bahoui (Ersatz) im Nordderby keine Rolle spielen dürften.

Unabhängig vom weltweiten Interesse am Nordderby ist HSV-Fanbetreuer Joachim Ranau auch ein wenig stolz darauf, dass die Anzahl der über den ganzen Globus verstreuten Fanclubs trotz der sportlichen Misere stetig ansteigt. „Das ist schon ein starkes Zeichen“, sagt Ranau, der auf mehr als 900 offizielle HSV-Fanclubs bis zum Ende der Saison hofft. Das „Projekt 1000“ soll innerhalb der nächsten anderthalb Jahre abgeschlossen werden.

HSV-Club "Big Apple"

Auch auf Alexander Berscheid und den HSV-Club „Big Apple“ aus New York können Ranau und Co. weiter setzen. Der Wahl-Amerikaner, der vor 25 Jahren in die USA ausgewandert ist, guckt jedes HSV-Spiel, „auch wenn es in den vergangenen Monaten nicht immer ein Vergnügen war“. Berscheid wohnt am Saint-Martins-Place in Manhattan, wird das Nordderby aber beim Skifahren in Killington/Vermont schauen. „Ich habe mir extra einen Livestream für mein Handy besorgt, damit mein Sohn Nicolau und ich das Spiel ab 9.30 Uhr morgens verfolgen können“, sagt Berscheid, der auf einen 1:0-Heimsieg setzt.

Schon aus egoistischen Motiven hofft der gebürtige Hamburger, der eine Baufirma in New York betreibt, dass der HSV eher früher als später wieder zurück in die Spur findet. „In den USA werden pro Spieltag immer vier Livespiele gezeigt“, sagt Berscheid, und erklärt: „Früher war der HSV immer dabei. Seitdem die Mannschaft aber so spielt, wie sie spielt, werden auch immer seltener HSV-Partien gezeigt.“

Fans im "Feindesland"

Diese Sorge kennt Peter Kubka nicht. Der kaufmännische Angestellte darf zwar für sich reklamieren, dass er von allen HSV-Fans am exotischsten wohnt, zu den Spielen kann er aber problemlos mit dem Bus anreisen. Namibia? Argentinien? USA? Alles schön und gut – aber Pubka wohnt mitten im Feindesland. Im Großraum Bremen, wenn man es genau nimmt. In Ganderkesee, wenn man es ganz genau nimmt. Der Name von Kubkas Fanclub, der in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum feierte? Natürlich: mitten im Feindesland.

HSV-Welt aus dem Häuschen?

„Ich sehe schwarz für den HSV“, sagt der 51 Jahre alte Anhänger, der aber selbstverständlich trotzdem wieder an diesem Sonnabend live vor Ort ist. Nordkurve, Block 22 B. „Direkt über der Uhr“, sagt Kubka, dessen größte Sorge ist, dass genau diese Uhr schon sehr bald abgeschaltet werden muss. „Verdient hätten sie es ja“, sagt der Niedersachse, der nach eigenen Angaben „so gut wie keine Hoffnung mehr hat.“ Nur diese: „Beim letzten Derby am 22. April hatte ich Geburtstag. Und auch da hatte ich keine Hoffnung.“ Das Ende der Geschichte ist bekannt: Der HSV gewann 2:1, es war bis heute der letzte Heimsieg – und zumindest für einen Tag war die ganze HSV-Welt aus dem Häuschen.