Hamburg. Am Montag wird der neue HSV-Trainer vorgestellt. Beiersdorfer rechtfertigte Entlassung am Telefon. Labbadias emotionaler Abschied.
Markus Gisdol beerbt Bruno Labbadia (50) als Trainer beim HSV – ein Fast-Nobody beim letzten verbliebenen Gründungsmitglied in der 53 Jahre währenden Bundesliga-Geschichte. Es gebe noch keinen rechtsgültigen Vertrag, säuselte Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer noch am Sonntagvormittag, nachdem er Labbadia per Telefon entlassen hatte. Am Abend machte der Club es dann offiziell.
Markus Gisdol ist neuer Trainer des kriselnden Bundesligisten. Am Montag soll der 47-Jährige offiziell vorgestellt werden und sitzt am Sonnabend bei Hertha BSC Berlin erstmals auf der Bank. Er unterzeichnete auf eigenen Wunsch einen Vertrag nur bis zum Saisonende.
Markus wer? Genau! Gisdol ist Teil eines Milliardärs-Pokers in der Bundesliga. Man mag die Scheichs bei Manchester City verlachen, den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch und den FC Chelsea („FC Chelski“) kritisch sehen – aber auch das deutsche Oberhaus hat ein Hauch von Oligarchentum erreicht: Dietrich Mateschitz (Red Bull) in Leipzig, Klaus-Michael Kühne in Hamburg und Dietmar Hopp in Hoffenheim.
Bundesliga als Tummelplatz der Milliardäre?
Das muss nicht schlecht sein, wie das Beispiel von 1899 Hoffenheim und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp zeigt. Der Mann wird zwar heftig von Fans kritisiert, ist aber mit Leidenschaft Fußballfan und strategischer Investor. Er installierte einst in Ralf Rangnick einen Trainer im Sinsheimer Vorortclub, der mithilfe von Scouts, Jugendarbeit nach sportwissenschaftlichen Aspekten und modernen Trainingsmethoden den Durchmarsch aus dem Amateurlager in die Bundesliga schaffte. Inzwischen und nach reichlich Trainerverschleiß und Abstiegskampf hat Hoffenheim in Julian Nagelsmann (29) wieder den jüngsten Trainer der Liga.
Beiersdorfer über die Labbadia-Beurlaubung
Gisdol arbeitete im Umfeld der Hoffenheimer Fußball-Akademie in Zuzenhausen mit den „traumhaften“ Bedingungen (Holger Stanislawski), trainierte die „Zweite“ von 1899, war Assistent von Rangnick in Schalke und kehrte als Chef nach Hoffenheim zurück. Bernhard Peters, inzwischen Super-Direktor beim HSV, ist ihm kein Unbekannter.
Matz ab mit Stefan Schnoor und Vahid Hashemian nach dem Bayern-Spiel
Gisdol hospitierte beim THW Kiel und Atletico Madrid
In Hoffenheim überstand Gisdol die Relegation gegen den 1. FC Kaiserslautern, holte hintereinander zwei gute Mittelfeldplätze und wurde – Tabellenplatz 17 – am 26. Oktober 2015 entlassen. Ein Jahr später ist er wieder ganz oben angekommen. Seine taktischen Qualitäten werden gerühmt, eine Mannschaft kann er offenbar weiterentwickeln.
Im Frühjahr 2016 hospitierte er beim Handball-Club THW Kiel, auch bei Atletico Madrid und dem mega-impulsiven Trainer Diego Simeone schaute er vorbei. In Kiel gab Gisdol zu Protokoll, wenn er wieder als Trainer arbeite, wolle er auch mal das Handy ausschalten und bei Waldspaziergängen entspannen. Das wollte auch Thomas Tuchel in Mainz – und landete in Dortmund – beim Wahnsinn der Südtribüne. Aber: Alle, die sich eine Auszeit genommen haben wir Tuchel oder auch Pep Guardiola vor seinem Bayern-Engagement, sind stärker wiedergekommen.
Die HSV-Trainer der letzten zehn Jahre
14 Trainer in zehn Jahren beim HSV
Entdeckung Niklas Süle
Und Gisdol sagte im Frühjahr auch: „Ich muss eine Lanze brechen für die Fußballer. Ich versuche immer, die Menschen zu sehen, nicht das viele Geld, das dahinter steht. Ob es ein Raúl ist oder ein Niklas Süle – letztlich wollen sie alle nur Fußball spielen.“ Süle – das ist ein Stichwort. Der Hoffenheimer Abwehrmann ist die Entdeckung des Olympia-Sommers.
Allerdings: Der Gegner will auch nur spielen. Anlass für Gisdols Rauswurf in Hoffenheim war ein 0:1 gegen den HSV, Torschütze Pierre-Michel Lasogga. Na, der wird jetzt was zu hören kriegen.
Für den HSV ist es der 14. Trainerwechsel in zehn Jahren. Labbadia äußerte sich per Facebook: "Es ist schade, dass wir jetzt zu Beginn der Saison nicht die nötigen Ergebnisse erzielen konnten." Er nannte die Zeit beim HSV "wahnsinnig intensiv". Und: "Es hat mir sehr viel bedeutet, Trainer des HSV sein zu können. Ich habe mich jeden Tag mit dieser Aufgabe identifiziert."
Investor Kühne macht Druck
HSV-Investor Klaus-Michael Kühne hat nach Platz zehn in der vergangenen in dieser Saison Platz sechs bis acht als Ziel ausgegeben. Aufgrund der Millionenschulden ist der Verein eigentlich genötigt, einen Europapokal-Wettbewerb zu erreichen. Für die Champions League dürfte es knapp werden nach diesem Bundesliga-Start mit nur einem Punkt...
Leitartikel: Die fehlende Entwicklung von Dietmar Beiersdorfer
Beiersdorfer teilte mit: „Dieser Schritt ist angesichts unseres sportlichen Trends notwendig. Ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt eine Veränderung auf der Trainerposition vornehmen müssen, um nach dem enttäuschenden Saisonstart den sportlichen Turnaround zu schaffen. Nach der langen Vorbereitung und den bisherigen Spielen müssen wir konstatieren, dass unsere fußballerische Entwicklung insgesamt nicht unseren Vorstellungen entspricht.“ Seit seinem Amtsantritt am 8. Juli 2014 hat Beiersdorfer nach Mirko Slomka und Joe Zinnbauer zum dritten Mal den Chefcoach gewechselt.