HSV-Chef vermisst eine Entwicklung. Doch wo bleibt die Entwicklung des Clubs?

Wer behauptet, dass es beim HSV nichts mehr zu feiern gibt, der muss nur etwas genauer hinschauen. Am Sonnabend gab es gleich ein doppeltes Jubiläum: Bruno Labbadias 200. Bundesligaspiel als Trainer. Und Labbadias 100. Pflichtspiel als HSV-Coach. Wem das noch nicht zum Öffnen des Sektes reicht, der darf sich noch auf einen Geburtstag freuen: In diesen Tagen feiert das HSV-Leitbild, das Clubchef Dietmar Beiersdorfer für einen sechsstelligen Betrag erstellen ließ, Einjähriges.

Dummerweise wird nur ausgerechnet nach Labbadias Jubiläums- und gleichzeitig Abschiedsspiel immer deutlicher, dass aus dem gut gemeinten Leit- längst ein Leidbild geworden ist. Denn leider haben die auf elf DIN-A4-Seiten aneinandergereihten Kalendersprüche („Unser sportliches Ziel ist die Etablierung unter den fünf besten Mannschaften in Deutschland und eine ständige Teilnahme an internationalen Wettbewerben“, „Wir sichern die finanzielle Solidität des HSV dauerhaft und unabhängig vom sportlichen Erfolg“ oder: „Unsere sportlichen und unternehmerischen Entscheidungen treffen wir unabhängig“) mit der gelebten Wirklichkeit in etwa so viel zu tun wie der immer noch sieglose HSV mit dem Kampf um die Meisterschaft.

Mehr noch: Ein Jahr nach Verabschiedung des Leitbilds und knapp zweieinhalb Jahre nach der beschlossenen Ausgliederung wirkt der derzeitige Zustand der HSV AG wie eine groteske Persiflage der selbst formulierten Ziele.

Abendblatt-Chefvisite (Geheimtreffen mit Labbadia):

5141106520001_videostill_1474886244439.jpg
Chefvisite #39: Geheimtreffen mit Bruno Labbadia

weitere Videos

    HSV probierte jeden Trainertyp aus

    Schuld hat natürlich, wie immer beim HSV, der Trainer. Labbadia war der siebte Cheftrainer (die zahlreichen Interimstrainer nicht mitgerechnet) seit – genau – Labbadia. Zwischen 2010, als er das erste Mal entlassen wurde, und 2016, als es den gebürtigen Hessen nun zum zweiten Mal traf, gab es keinen Trainertyp, den der HSV nicht ausprobierte. Ein Alter (Veh), ein Junger (Oenning), ein Motivator (Fink), ein Grantler (van Marwijk), ein Akademiker (Slomka) und ein Talent (Zinnbauer). Gescheitert sind sie alle – genau wie jetzt auch wieder Labbadia.

    Fast schon humoristische Züge hat allerdings Beiersdorfers Begründung: Eine sportliche Entwicklung, so der Clubchef, sei nicht erkennbar. Tatsächlich hat es Labbadia nicht geschafft, das Spiel nach vorne zu verbessern, junge Spieler einzubauen oder eine Einheit aus neuen und alten Spielern zu formen. Alles richtig. Doch so wenig eine Entwicklung auf dem Platz zu beobachten ist, so wenig ist eine gesamtheitliche Entwicklung im Club erkennbar. Beiersdorfers Bilanz nach gut zwei Jahren beim HSV in Zahlen: 90 Millionen Euro Transferausgaben, vier Trainerwechsel, zwei Managerentlassungen und: null Komma null Erfolg.

    Hier könnte man einen Punkt – oder besser: ein Ausrufezeichen machen. Doch der dauerhafte Misserfolg ist nur eine Sache. Die andere ist der Umgang mit der selbst verschuldeten Situation. Und an dieser Stelle wird es unverschämt. So heißt es im Leitbild: „Wir sehen unsere Spieler und Trainer als ein sehr hohes Gut ...“ (Seite 4) und: „Wir fördern die Atmosphäre im Volksparkstadion und die Gemeinschaft im HSV.“ (Seite 5). Beide Sätze wurden in den vergangenen Wochen auf derart ungehörige Art und Weise missachtet, dass man es ganz ungeniert als frech bezeichnen muss, wenn sich Beiersdorfer selbst auf mehrfache Nachfrage kaum eigene Fehler entlocken lässt.

    Dabei gab der Vorstandsvorsitzende der HSV AG wenige Stunden nach der telefonischen Entlassung Labbadias offen zu, dass er seinem leitenden Angestellten ganz bewusst schon vor einer Woche die Rückendeckung verweigert hatte. Mehr noch: Man darf es wohl als üble Laune des Schicksals bezeichnen, dass Beiersdorfer eigenen Angaben zufolge bereits im Sommer größte Zweifel an dem Trainer gehabt hat, der ein Jahr zuvor den HSV, zahlreiche Arbeitsplätze und vor allem auch seinen eigenen Job gerettet hatte.

    Labbadia ist Geschichte. Nun ist es Nachfolger Markus Gisdol, der Beiersdorfers HSV-Zukunft sichern muss. Denn eines ist klar: Gelingt nach Labbadias zweiter Amtszeit nicht der Umschwung, dürfte auch Beiersdorfers zweite Amtszeit sehr bald vorbei sein.

    5139531590001_videostill_1474738981640.jpg
    Matz ab mit Schnoor und Hashemian nach Bayern-Spiel

    weitere Videos