Hamburg. Eine epische Woche mit Pleiten, Pannen und Politik geht für den Hamburger SV zu Ende. Halilovic aus dem Kader gestrichen.

Die Woche des Wahnsinns hätte nicht besser beginnen ­können: 20 Grad, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein. Am frühen Sonnabend vor genau einer Woche diskutierte Hamburg über die Vorzüge des späten Sommers, die herausragende Akustik der neuen Elbphilharmonie und die wahrscheinliche Höhe des erhofften Sieges gegen den Brauseclub RB Leipzig, mit dem der HSV nach dem eher mittelprächtigen Saisonauftakt die Kurve nach oben bekommen wollte. Passend dazu war im Abendblatt ein Plädoyer für Bruno Labbadia veröffentlicht worden, in dem über den Sinn und Unsinn von Trainerdiskussionen nach nur zwei Spieltagen philosophiert wurde. Eine Woche später ist klar: Dieser so unverschämt harmlos daherkommende Sonnabend war der Anfang vom Ende einer epischen HSV-Woche, die vor allem ein großes Problem hat: Sie ist noch gar nicht vorbei. An diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) empfängt der HSV Rekordmeister Bayern München, am Sonntag könnte die Kaugummi-Entlassung von Trainer Labbadia endgültig vollzogen werden. Aber wie sagt man so schön: Wunder gibt es immer wieder. Doch vor dem Wunder ist nach dem Wahnsinn – und den dokumentiert das Abendblatt noch einmal in sieben Akten.


Akt 1:

Sonnabend, der 17. September

Um 16.21 Uhr deutet sich erstmals an, dass sich der so heiter begonnene Sonnabend ganz anders zu entwickeln droht. Fehlpass Gideon Jung, Fehlgriff René Adler, Strafstoß. Aus elf Metern läuft Leipzigs Emil Forsberg an – 0:1 für RB. Es war der Startschuss einer Blamage, wie es sie im Volkspark schon lange nicht mehr gegeben hatte. Sechs Minuten später: 0:2. Fünf weitere Minuten: 0:3. Die Nachspielzeit: 0:4. Kurz nach dem Schlusspfiff wird Trainer Bruno Labbadia von Sky-Reporter Patrick Wasserziehr gefragt, ob er glaube, dass es nun eine Trainerdiskussion geben könnte. „Wenn der Journalismus mittlerweile so wird, dass man nach dem dritten Spieltag ..., dann machen Sie es gerne so“, antwortet der aufgebrachte Labbadia, der eine Nachfrage später das Interview abbricht. Etwas auskunftsfreudiger ist dagegen Nachwuchsprofi Ashton Götz, der fast gleichzeitig im Abendblatt-Blog „Matz ab“ interessante Einblicke gewährt: Viele seien froh, dass Labbadia bei Misserfolg als medialer Blitzableiter fungiere. Clubchef Dietmar Beiersdorfer zieht sich dagegen vorerst in sein Vorstandsbüro zurück, will sich öffentlich nicht äußern. Noch nicht.

Umfrage: Ist Labbadia noch der richtige Trainer für den HSV?

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    Akt 2:

    Sonntag, der 18. September

    Die Ruhe vor dem Sturm ist nach einer Nacht des Drüberschlafens vorbei. ­Beiersdorfer spricht im Bauch des Volksparkstadions nach dem Auslaufen Klartext: „Wir gehen nicht an unsere Grenzen“, kritisiert er. Zur Trainerdiskussion, die von Tag zu Tag wie eine Lawine immer größer wird und alles unter sich zu begraben droht, sagt er: „Das Gerede im Umfeld ist doch normal. Auch wir sind unzufrieden mit den Ergebnissen. Wir haben das Spiel in einer Deutlichkeit verloren, die nicht sein darf.“ Die Aussagen sind kaum misszuverstehen. Beiersdorfers Forderung: „In Freiburg müssen wir über unsere Grenzen gehen, über die wir bislang noch nicht gekommen sind.“


    Akt 3:

    Montag, der 19. September

    Bevor die Mannschaft am Nachmittag mit der Chartermaschine in den Breisgau fliegt, nimmt das ganz normale HSV-Chaos seinen Lauf. Dass Vorstände, Sportchefs, Trainer und Spieler in Hamburg im Fokus stehen, ist natürlich nichts Neues mehr. Definitiv neu ist aber, dass nun auch die Eltern der Spieler in den Vordergrund rücken. Den Anfang macht Mama Lasogga, deren angeblicher Streit mit Clubchef Beiersdorfer am Rande des Spiels gegen Leipzig im VIP-Raum am Montagvormittag bekannt wird. Augenzeugen sprechen von einer lautstarken Aus­einandersetzung, der HSV nennt es ein „normales Gespräch“. Sei’s drum. Weit mehr als ein „normales Gespräch“ ist wohl das Interview von Papa Halilovic, das von „sportbild.de“ mit der Überschrift „Wir wurden vor Labbadia gewarnt“ versehen wird. Das Bruno-Bashing nimmt seinen Lauf: Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Der Wettanbieter „mybet“ reagiert und macht Labbadia zum Entlassungsfavoriten Nummer eins. Die Quote beträgt 2,5, die kaum noch zu ertragende Trainer-Lawine ist nicht mehr aufzuhalten.

    Akt 4:

    Dienstag, der 20. September

    Der Tag, an dem alles besser werden sollte, endet mit einem Abend, der alles noch viel schlimmer macht. Beim erschütternden 0:1 in Freiburg hat der HSV innerhalb von 90 Minuten nur eine ernst zu nehmende Torchance, die Mannschaft wehrt sich nicht, geht unter. Nach der Partie ist es nur eine Handvoll Spieler, die den Anstand hat, den Dialog mit den zahlreich angereisten HSV-Fans zu suchen. „Sie haben nach so einem Spiel das Recht, uns zu sehen. Es ist eine Frage des Respekts, ihnen danach in die Augen zu schauen“, sagt Torhüter René Adler, der sich nach seinem Fehler vor dem 0:1 entschuldigt und sich zudem vor Trainer Labbadia stellt: „Ich muss ganz klar Flagge pro Bruno bekennen.“ Clubchef Beiersdorfer sieht es anders: „Bruno Labbadia ist unser Trainer. Ich muss ihm nicht jeden Tag Rückendeckung geben.“ Das Urteil, so der Tenor, ist verkündet.

    Akt 5:

    Mittwoch, der 21. September

    Tag eins ohne Rückendeckung fängt für Labbadia genauso bescheiden an, wie der Abend aufgehört hatte. Nach seiner Entscheidung, lediglich im Kraftraum trainieren zu lassen, gehen die Fans vor Ort im Volkspark auf die Barrikaden. Doch gerade als alle mit der sofortigen Entlassung rechnen, überrascht die Presseabteilung des HSV mit der Ankündigung, dass die Spieltagspressekonferenz am folgenden Tag um 13 Uhr stattfinden werde. Mit HSV-Trainer Bruno Labbadia. Dessen Galgenfrist wurde also verlängert, obwohl mit dem doppelten André (Breitenreiter und Villas-Boas) bereits die ersten Nachfolgekandidaten gehandelt werden. Substanzielle Informationen über ein konkretes Interesse an einem der beiden gibt es im Übrigen nicht, aber spekuliert wird trotzdem fleißig weiter. Wer hat noch nicht? Wer will noch mal?

    Akt 6:

    Donnerstag, der 22. September

    Der „Kicker“ und die „Mopo“ berichten großflächig über den angeblichen HSV-Traum von Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann, den dieser umgehend und sehr überzeugend dementiert: „Die Spekulationen sind absurd, ich kann nur den Kopf schütteln.“ Den dürfte auch Investor Klaus-Michael Kühne im Akkord schütteln, während er mit Clubchef Beiersdorfer in der Firmenzentrale von Kühne & Nagel in der HafenCity beim Krisengespräch zusammensitzt. Auch Aufsichtsratschef Karl Gernandt soll an dem Gespräch teilnehmen, das parallel zur möglicherweise letzten Spieltagspressekonferenz von Labbadia im Volkspark stattfindet. „Ich wünsche Herrn Kühne, dass er Hamburg genießt. Es ist eine tolle Stadt“, sagt der Trainer, der bereits vor Wochen von Kühne angezählt worden war: „Abwarten, ob Labbadia das Team in Form bringen kann“, hatte der Milliardär nach dem ersten Spieltag gegen Ingolstadt (1:1) gesagt.

    Drei Niederlagen später weiß Labbadia, was ihm bei Niederlage Nummer vier gegen Bayern München blüht: „Ich bin komplett bei mir selbst“, sagt der 50-Jährige. „Ich versuche auf Dinge einzuwirken, auf die ich Einfluss habe.“

    Keinen Einfluss hat der Coach mehr darauf, dass die Hinterzimmerpolitik im Volkspark längst Hochkonjunktur hat. Gerüchte werden gestreut, dementiert, bestätigt. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Die eine Seite sagt so, die andere so.

    Und auch das Trainerkarussell dreht sich immer schneller. Gute Karten soll nun vor allem der frühere Hoffenheimer Markus Gisdol haben, der nach Informationen der „Bild“-Zeitung allerdings auch von Werder Bremen umworben wird. Der Unterschied zu Werder: Während die Bremer Viktor Skripnik bereits entlassen haben und nun auch offiziell auf Trainersuche sind, hat der HSV offiziell noch einen Cheftrainer. Zumindest auf dem Papier.

    Bilder vom Spiel in Freiburg:

    Labbadia verliert sein Schicksalsspiel in Freiburg

    Der Spielfilm des Untergangs: René Adler kann einen Schuss von Vincenzo Grifo nicht festhalten...
    Der Spielfilm des Untergangs: René Adler kann einen Schuss von Vincenzo Grifo nicht festhalten... © Getty Images
    ...verzweifelt versucht der HSV-Keeper noch, den Ball wegzuspitzeln...
    ...verzweifelt versucht der HSV-Keeper noch, den Ball wegzuspitzeln... © Getty Images
    ...doch da rauscht schon Nils Petersen heran und schießt den Ball ins Netz
    ...doch da rauscht schon Nils Petersen heran und schießt den Ball ins Netz © Getty Images
    Der Freiburger Stürmer war erst 54 Sekunden zuvor eingewechselt worden
    Der Freiburger Stürmer war erst 54 Sekunden zuvor eingewechselt worden © Getty Images
    Damit mussten der HSV und Trainer Bruno Labbadia bereits das achte Joker-Gegentor im vierten Saisonspiel hinnehmen
    Damit mussten der HSV und Trainer Bruno Labbadia bereits das achte Joker-Gegentor im vierten Saisonspiel hinnehmen © Getty Images
    René Adler (r.) und Gideon Jung nach der Niederlage in Freiburg
    René Adler (r.) und Gideon Jung nach der Niederlage in Freiburg © Getty Images
    Nach dem Spiel stellten sich die Spieler dem enttäuschten Anhang
    Nach dem Spiel stellten sich die Spieler dem enttäuschten Anhang © Witters
    Gesprächsbedarf gab es auch mannschaftsintern
    Gesprächsbedarf gab es auch mannschaftsintern © dpa
    Vor allem Adler ergriff das Wort
    Vor allem Adler ergriff das Wort © Getty Images
    Labbadia nach dem Spiel in den Katakomben des Schwarzwald-Stadions
    Labbadia nach dem Spiel in den Katakomben des Schwarzwald-Stadions © Imago/Heubegrer
    Hätte, wenn und aber: Bobby Wood verpasste in der 37. Minute mit einem Pfostenschuss die Führung für den HSV
    Hätte, wenn und aber: Bobby Wood verpasste in der 37. Minute mit einem Pfostenschuss die Führung für den HSV © Witters
    Nach einem Befreiungsschlag von Emir Spahic machte sich der US-Stürmer auf und davon
    Nach einem Befreiungsschlag von Emir Spahic machte sich der US-Stürmer auf und davon © Witters
    Das ist Kampf: Wood gegen Freiburgs Kapitän Nicolas Höfler
    Das ist Kampf: Wood gegen Freiburgs Kapitän Nicolas Höfler © Getty Images
    Auch Aaron Hunt bekam die badische Hartnäckigkeit zu spüren
    Auch Aaron Hunt bekam die badische Hartnäckigkeit zu spüren © dpa
    Ein bisschen Aua gab es dabei auch
    Ein bisschen Aua gab es dabei auch © Getty Images
    Gotoku Sakai verspürte zwischendurch ebenfalls Schmerzen
    Gotoku Sakai verspürte zwischendurch ebenfalls Schmerzen © Witters
    Schicksalsabend im Breisgau? Die HSV-Verantwortlichen Dietmar Beiersdorfer (l.) und Labbadia
    Schicksalsabend im Breisgau? Die HSV-Verantwortlichen Dietmar Beiersdorfer (l.) und Labbadia © Bongarts/Getty Images | Matthias Hangst
    Von seinem Freiburger Kollegen Christian Streich wurde Labbadia herzlich begrüßt
    Von seinem Freiburger Kollegen Christian Streich wurde Labbadia herzlich begrüßt © WITTERS | DenizCalagan
    ...sehr herzlich sogar
    ...sehr herzlich sogar © Imago/Eibner
    Der SCF-Coach ließ Torjäger Nils Petersen auch gegen den HSV zunächst auf der Bank
    Der SCF-Coach ließ Torjäger Nils Petersen auch gegen den HSV zunächst auf der Bank © Imago/Eibner
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    Akt 7:

    Freitag, der 23. September

    Der Cheftrainer auf dem Papier zieht sich zurück: Geheimtraining im Stadion. „Es gibt eine Chance gegen die Bayern“, sagt der tapfer kämpfende Labbadia. In Zahlen ausgedrückt hat diese Chance laut Wettanbietern eine Wahrscheinlichkeit von 1:12. Auf Deutsch: Wer so verrückt ist und ernsthaft zehn Euro auf einen Hamburger Heimsieg setzt, wird im Falle eines tatsächlichen Wunders mit 120 Euro belohnt. Oder in anderen Worten: Ein HSV-Sieg dürfte in etwa so wahrscheinlich wie ein staufreier Sommer auf der A 7 sein.

    Dass Fußball keine Wahrscheinlichkeitsrechnung ist, machten ein paar nimmermüde Anhänger am Freitag vor dem Stadion deutlich. „Jungs, wir glauben an Euch!“, steht auf einem bemalten Bettlaken in Blau-Weiß-Schwarz geschrieben. Doch die Woche des Wahnsinns geht nicht ohne Tusch zu Ende. Um kurz nach 18 Uhr gibt der HSV bekannt, dass Alen Halilovic nicht im vorläufigen 19-Mann-Kader gegen die Bayern dabei ist (siehe unten). Die Nichtnominierung des Kroaten, den Labbadia bereits vor dem Spiel gegen Leipzig streichen wollte, wirkt wie der letzte Nachweis, dass der Trainer vor der Partie gegen die Bayern abgeschlossen hat.

    Hartgesottenen HSV-Anhängern bleibt nur noch eines zu wünschen: Schönes Wochenende!