Hamburg. Sollte den Hamburgern nach dem 0:4 gegen Leipzig in Freiburg nicht der erste Saisonsieg gelingen, droht dem Trainer das baldige Aus.
Es war kurz vor 14 Uhr, als Bruno Labbadia am Montagmittag seine Mannschaft um sich herum versammelte. Tatort Mittelkreis. Der HSV-Trainer stand dort, neben ihm Assistent Eddy Sözer, und redete auf seine Spieler ein. Eine Minute, zwei, drei, vier, fünf Minuten, dann klatschte der Coach aufmunternd in die Hände. Die genauen Worte waren am Rand des Platzes natürlich nicht zu verstehen, aber die Botschaft an sein Team war klar: Nur gemeinsam sind wir stark!
Ob seine Mannschaft gut zugehört hat, wird der Fußballlehrer bereits am heutigen Abend (20 Uhr/Sky) in Freiburg überprüfen können. Labbadia, das wird der Hamburger vor dem so wichtigen Auswärtsspiel nicht gern lesen, ist nach dem schwachen Saisonstart von seinen Spielern abhängig. Das ist er, und auch das wird Labbadia nur ungern lesen, nicht zum ersten Mal. Sechseinhalb Jahre ist es bereits her, als schon einmal die HSV- Mannschaft über seine Zukunft entscheiden durfte. Nicht per Handzeichen, sondern mit den Füßen. Und die versagten auf ganzer Linie. 1:5 verlor der HSV am 25. April 2010 sein Auswärtsspiel in Hoffenheim.
Oder anders: 1:5 verlor Labbadia sein Schicksalsspiel, noch auf der Rückfahrt war die Entlassung des erfolgreichsten HSV-Trainers der vergangenen Jahre besiegelt. „Es hieß damals, die Mannschaft habe gegen den Trainer gespielt. Das war aber totaler Quatsch“, bestritt der damalige Kapitän David Jarolim im Abendblatt-Gespräch zwar vehement, mit Absicht gegen den Trainer gespielt zu haben. Doch den Eindruck, dass bereits vor dem Spiel die Führungsspieler Ruud van Nistelrooy, Joris Mathijsen, Frank Rost und Zé Roberto Stimmung gegen den Coach gemacht hatten, konnte auch Jarolim nicht entkräften.
Das Problem damals wie heute: Einen echten Sportchef, der dem Trainer in einer schwierigen (internen oder externen) Situation zur Seite steht, gab und gibt es nicht. Seinerzeit hatte Ex-Vorstandschef Bernd Hoffmann Ex-Sportchef Dietmar Beiersdorfer entlassen und nicht ersetzt. Und dass es im Hier und Jetzt nun ausgerechnet jener Beiersdorfer ist, der diesmal als Vorstandschef den Manager (Peter Knäbel) entlassen und nicht ersetzt hat, darf man mit Fug und Recht als Laune des Schicksals bezeichnen. Doch was wie ein Kapitel aus dem Buch „Fußballkuriositäten“ klingt, ist wohl eher ein Kapitel aus dem Fußballroman „Ziemlich dumm gelaufen“. Denn damals wie heute ist der Leidtragende: Labbadia.
2010 ist Vergangenheit. In der Gegenwart von 2016 geht es in Freiburg aber erneut um die Zukunft – um Labbadias Zukunft. „Es ist wichtig, dass sich die Spieler gegen Freiburg Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zurückholen“, sagt Clubchef Beiersdorfer und fordert: „Und Punkte.“
Doch wie reagiert Labbadia? Betont der Trainer gegenüber seinen Spielern, die ihn zuletzt im Regen haben stehen lassen, die Wichtigkeit der Partie? Oder versucht er den Druck von der Mannschaft fernzuhalten? „Das ist genau die Frage“, antwortet Labbadia. „Das Ganze hat sich ja verändert. Man hat mittlerweile den Eindruck, dass jedes Spiel überlebenswichtig ist. Davon muss man sich aber auch ein Stück weit freimachen. Ich brauche den zusätzlichen Druck auch nicht an die Mannschaft weiterzugeben.“
Labbadia als medialer Prellbock
Labbadia ist es längst gewöhnt, als universaler Blitzableiter beim HSV herzuhalten. Im Saisonfinale 2014/15, als jedes Spiel als ein Endspiel galt, war es einzig und allein Labbadia, der voranging, den Druck von seinen Spielern und vom ganzen Club nahm und so das Wunder von Karlsruhe schaffte. In der Saison 2015/16, als Ex-Sportchef Peter Knäbel noch vor dem ersten Saisonspiel durch die Affäre „Rucksackgate“ zur „lahmen Ente“ mutierte, war es erneut Labbadia, der als multipler Trainer-Pressesprecher-Clubrepräsentant gefragt war. Und nun, nachdem Knäbel im Sommer tatsächlich entlassen wurde, ist es erneut Labbadia, der sich als medialer Prellbock hergeben muss. „Ich muss jetzt nicht noch zusätzlich auf die Mannschaft draufhauen“, sagt er. „Wenn ich das Gefühl habe, dass die Mannschaft will und alles für den Erfolg tut, und dieses Gefühl habe ich, dann bin ich kein Trainer, der noch einmal zusätzlichen Druck aufbaut. Dann nehme ich den Druck eher auf mich.“
Bilder vom 0:4 gegen Leipzig:
HSV geht mit 0:4 gegen RB Leipzig unter
Labbadia gibt nicht auf. Während sich in Bremen am Montagmittag Werder-Interimstrainer Alexander Nouri vorstellte, arbeitete der HSV-Coach zeitgleich im 110 Kilometer entfernten Hamburg intensiv daran, ein ähnliches Szenario beim HSV zu verhindern. Knapp anderthalb Stunden lang ließ der 50-Jährige seine Mannschaft im Abschlusstraining offensive Laufwege einstudieren, ehe es am frühen Nachmittag zum Flughafen und mit der Chartermaschine in den Breisgau ging.
Der gebürtige Weiterstädter kennt das Geschäft: Gewinnt der HSV in Freiburg, ist die Trainerdiskussion für den Moment beendet. Verliert er aber, ist das Ende der Geschichte nicht mehr fern. Spätestens nach der zu erwartenden Niederlage gegen Bayern München am Wochenende dürften dann Fakten geschaffen werden. „Ich will gar nicht auf das Bayernspiel schauen“, hatte Clubchef Dietmar Beiersdorfer vor der Abreise gesagt. „Das nächste Spiel ist wichtig – und das ist gegen Freiburg.“