Hamburg. Erklärungsversuche nach der Klatsche gegen Leipzig, regelmäßigen Einbrüchen und schon sieben Joker-Gegentoren in drei Spielen.
Wenn es in die unangenehme Analyse geht, dann begegnet Bruno Labbadia Journalisten gerne mit einem enervierenden Kniff: Er schlägt die Reporter mit den eigenen Waffen, indem er wiederkehrende Fragen mit wiederkehrenden Aussagen beantwortet. Und so gab der HSV-Trainer auch nach dem ernüchternden 0:4 (0:0) gegen RB Leipzig sein neuestes Mantra zu Protokoll.
"Es gibt keine neuen oder alten Spieler, es gibt nur die Mannschaft", predigte Labbadia am Sonnabend in der Debatte um die Größe des Vertrauens in die Neuverpflichtungen. Diese hatte in Pierre-Michel Lasogga nun immerhin ein erstes prominentes Bauernopfer gefordert, denn gegen Leipzig musste der etablierte Stürmer für Neuzugang Luca Waldschmidt auf die Tribüne weichen.
Und auch Olympiasieger Douglas Santos durfte endlich sein von den Fans ersehntes Bundesliga-Debüt feiern. Unzufrieden blieb das Volk dennoch - und zwar wegen Alen Halilovic. Schon zur Pause wurde der Kroate von Teilen des Publikums vehement gefordert, doch erst in der 70. Minute schickte Labbadia den hoch veranlagten Kreativspieler für den indisponierten Arron Hunt aufs Feld.
Wechsel-Vorwürfe an Labbadia
Da war das Kind beim Stand von 0:1 mehr oder weniger schon in den Brunnen gefallen, was erst Recht für den Zeitpunkt der weiteren Wechsel gelten sollte. Als das Spiel nach dem dritten Gegentreffer entschieden war, durften ab der 83. Minute auch Waldschmidt und Michael Gregoritsch noch ein wenig Spielpraxis sammeln.
Die Vorwürfe vieler Fans an den Trainer bleiben somit die vorerst gleichen: Labbadia wechselt zu spät, falsch oder gleich gar nicht. Während die Kollegen Ralph Hasenhüttl (Leipzig), Roger Schmidt (Leverkusen) und Markus Kauczinski (Ingolstadt) gegen den HSV jeweils den Sieg respektive späten Punktgewinn einwechselten, blieben Labbadias personelle Eingriffe in den Spielverlauf jeweils ohne Effekt.
Sieben Joker-Gegentore in drei Spielen
Halilovic konnte gegen RB ebensowenig Akzente setzen wie die HSV-Joker in den Spielen zuvor. Ganz anders bei den bisherigen Gegnern: Im ersten Spiel traf Lukas Hinterseer nach seiner Einwechslung zum Ausgleich, beim 1:3 in Leverkusen schrieb Bayer-Stürmer Joel Pohjanpalo bei seinem Kurzeinsatz Hattrick-Geschichte und für Leipzig kam durch die Hereinnahmen des Doppeltorschützen Timo Werner sowie des späteren 4:0-Schützen Davie Selke die Wende.
Macht in der Summe in den ersten drei Spielen sieben (!) Gegentore von der Bank - ein Wert, der in 54 Jahren Bundesliga zuvor noch keinem Erstligisten widerfahren ist. Bei dieser Statistik nur von einem unglücklichen Zufall auszugehen, verbieten weitere Zahlen. Denn in der separaten Tabelle für die zweite Halbzeit befindet sich der HSV im Dauertief.
Nachdem der Dino 2014/15 in diesem Ranking auf dem letzten Platz lag, konnte Labbadia die Mannschaft in der vergangenen Saison immerhin auf Rang 16 führen. Nun steht der HSV mit null Punkten aus drei zweiten Halbzeiten schon wieder auf dem letzten Platz für dei zweiten 45 Minuten. Doch woher rührt der regelmäßige Einbruch?
Forsberg nennt Überraschungsmoment
"Es kann nicht sein, dass wir immer in der zweiten Halbzeit einbrechen", monierte Lewis Holtby nach dem Spiel gegen Leipzig, während Labbadia individuelle Fehler und Johan Djourou ein mentales Problem für den Bruch im eigenen Auftritt ausmachten. "Wir waren eigentlich lange Zeit gut im Spiel", befand der Kapitän.
Das sah selbst der Gegner so. "In der ersten Halbzeit haben wir uns schwergetan, weil Hamburg wirklich gut gespielt hat", sagte Leipzigs Matchwinner Werner. Einen möglichen Erklärungsansatz für den Umschwung lieferte sein Kollege Emil Forsberg. "Wir haben Hamburg in der zweiten Halbzeit mit unserem Pressing geschockt", sagte der Schütze des Elfmetertreffers zum 1:0.
Bilder vom 0:4 gegen Leipzig:
Die besten Bilder vom Spiel HSV gegen Leipzig
Ansteckende Unbeholfenheit beim HSV
Nicht ganz gefasst auf die offensive Wucht aus Sachsen wirkte unter anderem Gideon Jung, der zwar stets gepriesen wird, aber kaum Fortschritte in seiner sportlichen Entwicklung erkennen lässt. Die latente Unbeholfenheit mündet mitunter in Ballverlusten oder Slapstickeinlagen wie gegen Leipzig, als der U21-Nationalspieler seinen Hintermann Djourou im eigenen Strafraum zu Fall brachte.
Dass es bei jener Aktion den erfahrenen Abwehrkollegen traf, mutet für viele Beobachter auch schon nicht mehr als Zufall an. Schließlich gibt auch der Schweizer allzu oft den Bruder Leichtfuß. Am Sonnabend resultierte aus einer dieser Situationen der endgültige K.o.-Schlag zum 0:3.
HSV-Spieler in der Einzelkritik
"Elf Kapitäne" würde Djourou beim HSV gerne ausmachen. Alleine beim Blick auf die Endphasen der ersten drei Saisonspiele drängt sich eher eine Metapher von elf Lemmingen auf. Wie kann es aber sein, dass sich Profis trotz intensiver Vorbereitung auf den kommenden Gegner in erschreckender Regelmäßigkeit bis zur Selbstaufgabe überraschen oder gar übertölpeln lassen?
Schlagen Profis Videoangebote aus?
Zwar folgten auch in Hamburg die Spieler dem Konzept des Trainers, meinte etwa Jungprofi Ashton Götze am Sonnabend in der Analyse von "Matz ab". "Im Spiel ist es dann aber etwas anderes", gestand der derzeitige Ersatzmann, der dann noch Erstaunliches offenbarte. "Nicht jeder beschäftigt sich damit", sagte Götz zu dem Angebot, sich per Videostudium auf den jeweiligen Gegenspieler vorzubereiten.
In der Vergangenheit seien die Mitschnitte über den Gegner jedem Profi zugegangen, aufgrund mangelnden Interesses würden diese inzwischen nur noch auf Nachfrage ausgehändigt. Nach diesem offenen Einblick ließe sich eventuell auch erklären, dass der HSV etwa Gegentore nach Standards wie in der vergangenen Saison durch Darmstadts Aytac Sulu (1:2) hinnehmen muss.
In der Vorbereitung auf das Duell beim SC Freiburg am kommenden Dienstag (20 Uhr) wird Labbadia die Sinne seiner Profis wohl wieder um ein Vielfaches schärfen müssen, soll die Partie im Schwarzwald-Stadion nicht schon zum Schicksalsspiel für den 50-Jährigen werden. Was Hoffnung macht: Freiburgs Joker kommen bislang auf erst einen Saisontreffer.